7116676-1996_18_05.jpg
Digital In Arbeit

Für Großschadensversicherung

Werbung
Werbung
Werbung

Die heutigen Beitragssätze des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes sind gar nicht so gering; sie betragen für Arbeiter 7,9, für Angestellte 6,8 und für Pensionisten 3,5 Prozent des Bruttobezuges. Selbständige, die keinen Arbeitgeber haben, welcher ihnen die halbe Beitragslast im Bahmen seiner Fürsorgepflicht abnimmt, zahlen noch mehr. Mit Becht wird darauf hingewiesen, daß jede Erhöhung des Beitragssatzes zu einem weiteren Ansteigen der heute schon auf Rekordhöhe befindlichen Lohnnebenkosten führen würde. Es zeugt nicht gerade von sozialer Phantasie, wenn man sich angesichts dieser Situation wieder bei den Pensionisten schadlos halten will, die ohnedies Betroffene des Sparpakets sind. Das in diesem Zusammenhang verwendete Argument, alte Menschen würden ja auch am meisten Leistungen in Anspruch nehmen, ist keineswegs fair. Bekanntlich ist der Biskenausgleich ein Wesenselement jeder Versicherung - besonders einer solchen, die ihrem Namen das Wort „sozial" voranstellt. Jeder Pensionist hat junge und gesunde Zeiten miterlebt, in denen er mehr zahlte, als er beanspruchte und das sollte ihm in seinen alten Tagen nicht zugute kommen?

Sicher wird man hingegen über die alsbaldige Einführung einer Kostenbeteiligung, also eines sogenannten „Selbstbehaltes" nachdenken müssen. Daran wird kein Weg vorbeiführen. Natürlich gibt es gewichtige Gegenargumente, wie sie etwa vom Gewerkschaftsbund ins Treffen geführt werden. Weniger ist dabei ernstzunehmen, daß derart die exakte Halbierung der Kosten zwischen Arbeitgeber und Dienstnehmer gestört würde, wohl aber die aufgezeigte Gefahr, daß gerade der Kranke und vor allem der chronisch Leidende betroffen wäre sowie daß gerade sozial Schwache zum Handkuß kämen. Es gibt allerdings schon heute und vor allem angesichts der höchst

leistungsfähigen Daten verarbei-tungssysteme genug Möglichkeiten, bei langdauernder Erkrankung oder bei geringem Einkommen Ausnahmen oder Ermäßigungen gelten zu lassen. So gibt es ein ausgeklügeltes System der Befreiung von der Rezeptgebühr.

Es wäre jedenfalls unzulässig, eine für sehr viele Menschen zumutbare Belastung nur deswegen abzulehnen, weil davon bestimmte, durchaus definierbare Kreise zu sehr betroffen wären. Dagegen gibt es sehr viele und keineswegs von der Hand zu weisende Argumente pro Kostenbeteiligung. Das stärkste ist wohl, daß sie für große Kreise der Versicherten, nämlich Beamte, Landwirte und Gewerbetreibende bereits gilt und dort keineswegs als unzumutbar empfunden wird. Die genannten Gruppen bestehen keineswegs nur aus Beichen und bekanntlich zählt der Großteil der öffentlich Bediensteten, die nicht im vielzitier-

ten Licht stehen, zu den Beziehern durchaus bescheidener Einkommen. Es kann auch niemand behaupten, daß die Selbständigen und Beamten durch die Mitzahlung daran gehindert würden, rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen - ein Argument, das ja bekanntlich auch immer wieder von den Gegnern des Selbstbehaltes verwendet wird. Eine analoge Begelung für das ASVG würde immerhin etwa zweieinhalb Milliarden erbringen. Keineswegs sollte man aber bei Beurteilung dieser Frage nur die Kostenseite in Betracht ziehen. Sicher würde ein Selbstbehalt dazu beitragen, das Kostenbewußtsein zu stärken und er könnte der überflüssigen, weil etwa mehrfachen, Erbringung von Leistungen entgegenwirken. Auf längere Sicht gesehen wird es überhaupt notwendig sein, den Charakter der sozialen Krankenversicherung in Bich-tung einer Großschadensversicherung zu verlagern, wie sie in anderen Sparten sinnvollerweise durchaus besteht.

Mit der Einführung einer Kostenbeteiligung ist aber sicher der be-

stehende Beformbedarf noch nicht erfüllt. Die Beziehung der Ärzte zu den Kassen, ihre Vorgangsweise als die eigentlich Verfügungsberechtigten, die sozusagen am Geldhahn der öffentlichen Mittel sitzen und über deren Fließen verfügen, werden gründlich zu überdenken und wohl auch neu zu ordnen sein. Heute sind die Mediziner in vieler Hinsicht Quasibedienstete der Kassen und verfügen mit ihren Kammern über eine gewerkschaftsähnliche Organisation, die den Lohnkampf dirigiert. Mit problematischem Erfolg übrigens, denn von einer „gerechten" Honorierung der Ärzte kann wohl keine Bede sein und es bestehen krasseste Einkommensunterschiede, die sachlich nicht begründbar sind. Unter den Äskulapjüngern finden wir heute wahre Krösusse und arme Schlucker, die sich als Praktiker rund um die Uhr abrackern müssen. Es mag wie eine Illusion klingen, aber es muß eine neue Solidarität der Patienten, der Behandler und der Gemeinschaftseinrichtung Kasse errungen werden.

Schafft sinnvolle Anreizsysteme!

Dabei wird man nicht mit verschärften Kontrollen oder Sanktionen bei überflüssiger Inanspruchnahme auskommen können, sondern es werden eher Anreizsysteme überdacht werden müssen, mit den knappen Mitteln sorgsam umzugehen. Es gab in dieser Hinsicht schon sehr konkrete Versuche, doch müssen sich die erst wirklich bewähren und wären weiter zu entwickeln. Mehr sinnvolle Planung, die ordnet, aber nicht einengt, wird vor allem im Bereich der Inanspruchnahme der teuren Kranken-hausbehandlung notwendig sein. Wir haben ein Gesundheits- und ein Sozialministerium. Es wäre hoch an der Zeit, daß wir wieder Sozial- und Gesundheitspolitiker erleben, die sich mit fortschrittlichen Ideen durchsetzen und damit das tun, was man von Begierenden in schwierigen Zeiten mit Fug und Becht erwarten darf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung