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Für viele Flüchtlinge gibt es kein Zurück

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Die schwierige Lage im ehemaligen Jugoslawien macht eine Rückkehr für viele bosnische Flüchtlinge in ihre alte Heimat unmöglich. Bis Mitte nächsten Jahres soll ihnen nun Aufschub gewährt werden.

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Die schwierige Lage im ehemaligen Jugoslawien macht eine Rückkehr für viele bosnische Flüchtlinge in ihre alte Heimat unmöglich. Bis Mitte nächsten Jahres soll ihnen nun Aufschub gewährt werden.

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Einen lag nachdem der Nationalrat das Integrationspaket verabschiedet hat, präsentierte Innenminister Karl Schlögl einen Entwurf, der den weiteren Verbleib bosnischer Kriegsflüchtlinge hierzu.-lande regeln soll. Vorgesehen war das Ende der Betreuungsaktion von Bund und Ländern für Ende August.

Der 30. Juni 1998 soll es werden, jener endgültig letzte Tag, bis zu dem die Bund-Länder-Aktion für bosnische Kriegsflüchtlinge laufen soll. Um, wie es der Innenminister ausdrückte, den in Betreuung befindlichen Flüchtlingen „zum letzten Mal” einen Aufschub zu gewähren.

Zum letzten Mal sollen deren Aufenthaltsbewilligungen nach dem Sonderparagraphen 12 verlängert werden, die sonst Ende August ungültig geworden wären. Der Verordnungsentwurf befindet sich derzeit in Begutachtung.

Von den ursprünglich mehr als 90.000 bosnischen Flüchtlingen, die ab 1992 in der Betreuungsaktion waren, konnte sich ein Großteil integrieren. Das monatliche Taschengeld in Höhe von 1.500 Schilling bekommen nur noch die rund 9.200 in Betreuung lebenden Flüchtlinge. Alle anderen sind bereits zurückgekehrt oder haben Arbeit gefunden, meist als Hilfskräfte, so wie die Eltern der 17jährigen Mariza. Sie selbst hat gerade die Abschlußprüfungen ihres ersten Lehrjahres an der Krankenpflegeschule Stockerau bestanden. Jetzt hat sie zumindest die schulischen Voraussetzungen, um weiterzumachen. Sonst kann sie nur hoffen. Ihre Aufenthaltsbewilligung erlischt Ende Juni, die ihrer Eltern in ein paar Monaten. Wenigstens ihre Lehre möchte Mariza hier beenden, damit nicht all die Jahre umsonst waren. Damit sie nicht mit nichts ins Nichts zurückkehren muß.

Zweimal war sie seit Kriegsende in der Nähe ihrer ehemaligen Heimatstadt Zvornik, die jetzt in der Bepu-blika Srbska liegt, sieben Kilometer von der Grenze zur bosnischen Föderation weg. Einreisen erschien ihr zu gefährlich. Ihr Elternhaus ist seit fünf Jahren besetzt, eine serbische Familie wohnt darin. Aufgerüttelt erinnert sie sich sich an Schreie in der Nacht. Nur 50 Meter von ihrem Haus weg sei ein Konzentrationslager der Serben gewesen. Menschen seien dort ermordet worden und Frauen vergewaltigt, erzählten ihr die Leute. Einmal hat sie die Finger eines Jungen gesehen, abgeschnitten und zu einer Kette zusammengeknüpft. Aufgehängt -am Tor des Lagers. Ihr ehemaliger Nachbar habe das getan, ein Serbe.

Zurück, nein, eigentlich kann sie sich das nicht vorstellen. Zu stark ist ihij Feindbild gegenüber den Eroberern und die Angst vor eigenem Leid. Das Haus ist weg, die Freunde, es gibt nichts, das auf sie wartet.

Mehr Schutz für Menschenrechte

Nach dem neuen Verordnungsentwurf des österreichischen Innenministers kann sie bleiben, vorerst. Das Papier hat die Beobachtungen des Flüchtlingshochkommissariates der Vereinten Nationen (UNHCB) ernst genommen. In dessen Bericht heißt es: „Es ist offensichtlich, daß die derzeitige Kombination von Gesetzen und gängiger Praxis die Mehrheit der ursprünglichen Eigentümer an der Bückkehr hindern wird.” Die rechtliche Lage in der Bepublica Srbska bevorzugt serbische Vertriebene und teilt ihnen Wohnraum zu. Minderheiten wie Moslems und. Kroaten müssen warten.

Mitte Juni forderten wegen dieser Ausgrenzungspolitik geschlossen die Oberhäupter aller religiösen Gruppen in Sarajewo einen dauerhaften Frieden für ihr Land. Sie zeigten sich besorgt über die schleppende Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton. Zugleich verlangten sie die Bespektierung der fundamentalen Grundrechte jedes einzelnen Menschen. Mit der Vorlage „Bosnien Herzegowina - von Versprechen zur Wirklichkeit” schlägt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) in dieselbe Kerbe. Sie fordert den neuen internationalen Chefkoordinator für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, Carlos Westendorp, auf, sich mehr für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen. Die Unterzeichner des Abkommens haben nach Einschätzung von ai nur wenig Willen gezeigt, den früheren Gegnern wieder die grundlegenden Menschenrechte zu gewähren.

Kritik kommt auch vom Europäischen Parlament: Die kroatische Be-gierung müsse den Verfolgungen ethnischer Serben Einhalt gebieten und für deren Sicherheit sorgen, heißt es in einer Besolution.

Flüchtlinge werden oft abgeschoben

Gelingen kann das nach Ansicht der UNHCB-Mitarbeiterin Alessandra Morelli nur, wenn die Helferländer auch weiterhin bereit sind, ihre Hilfsprogramme konsequent fortzusetzen. Osterreich zum Beispiel hat sein Wiederaufbaubudget für 1997 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 70 Millionen Schilling verringert. In den Kantonen Zentralbosnien, Zenica-Doboj und den nördlich anschließenden Kantonen der Bepublica Srbska sollen heuer 108 Millionen Schilling in die Wasser- und Energieversorgung sowie das Bildungs- und Verwaltungswesen gesteckt werden. Humanitäre Hilfe ist nicht mehr vorgesehen.

Dabei fehlt es im ehemaligen Kriegsgebiet nicht nur an Wohnraum und Infrastruktur. Geschätzte drei bis acht Millionen Personenminen liegen in Bosnien und Teilen Kroatiens verstreut. So viele, daß es nach Ansicht des Mine Clearing Centers 20 Jahre dauern könnte, das Gebiet wieder sicher begehbar zu machen.

All dies konnte Länder wie Deutschland oder die Schweiz bislang nicht davon abhalten, bosnische Flüchtlinge abzuschieben. Anfang Juni protestierten mehr als tausend Bosnier anläßlich der deutschen Innenministerkonferenz in Bonn gegen die Zwangsabschiebungen. Aufgrund der Forderungen einiger Ko-alitions- sowie Oppositionspolitiker beraten die Innenminister jetzt erneut über die Abschiebekriterien. Wie in der Verordnungsvorlage des österreichischen Kollegen sollen ethnische Zugehörigkeit und Herkunftsort entscheidend für den weiteren Verbleib sein, nicht mehr wie bisher der Familienstand.

Hierzulande sollen weiterhin jene bis zum 30. Juni 1998 bleiben dürfen, die minderjährig und schutzbedürftig sind, krank oder alt, Lehrlinge, Schüler und Studenten bis zum Abschluß ihrer Ausbildung sowie gemischt ethnische Paare.

Für die 17jährige Krankenpflege-schülerin Mariza ist die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung kein Problem mehr, wenn die Verordnung des Innenministers in Kraft treten sollte. Ihre Familie wird sich darüber hinaus bemühen, eine sogenannte Aufenthaltsverfestigung zu bekommen, die allerdings nach dem neuen Fremdenrechtsgesetz erst nach fünf bis acht Jahren beantragt werden kann. Seit Jänner gelten für in Österreich lebende Ausländer nämlich neue Spielregeln. Die Neuzuwanderung soll erschwert werden, Integration bereits hier lebender erleichtert. Läuft die jetzt geplante Verlängerung der Bund-Länder-Aktion für bosnische Flüchtlinge im Juni 1998 aus, müssen sich die dagebliebenen Bosnier genau wie alle anderen Einwanderer ganz hinten in die Wartelisten für Aufenthaltsbewilligung und Arbeitsbewilligung einreihen.

Innenminister Karl Schlögl ist davon überzeugt, daß lediglich einige hundert der verbliebenen 9.200 Bosnier bleiben möchten. Und für die wäre es seiner Meinung nach kein Problem, die nötigen Bewilligungen zu bekommen. Eine eigene Sonderquote für sie ist allerdings nicht vorgesehen.

Unterdessen starten in Mödling zehn Flüchtlinge in Bichtung Heimat. Der Bus nach Odzak wird eskortiert von Lastwagen, die vor allem Haushaltsgeräte, Möbel und Kleider geladen haben. Unsichere Gesichter spiegeln den angespannten Zustand der Beisenden wider. Nur einer lebt von der Illusion, von den Bildern, die er von einem Land im Kopf hatte, bevor Krieg war: Mit Atemschutzgerät ist der Schwerkranke unterwegs. Er hat nur noch einen Wunsch: er will zu Hause sterben.

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