Für's Pflegen bestraft

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Der aktuelle Pflegenotstand ist erst der Anfang einer veritablen Personalkrise in vielen Dienstleistungsberufen, meint Madeleine Petrovic.

Der Wahnsinn hat Anfang der 1990er Jahre begonnen: unter dem Eindruck des damaligen Aufschwungs der Haider-fpö als Anti-Ausländer/innen-Partei haben die damaligen spö-övp-Koalitionen begonnen, das Fremdenrecht zu verschärfen und zu verbürokratisieren. Ausländische Menschen wurden ausschließlich als "Sicherheitsrisiko" dem Innenressort zugewiesen. Die bosnischen Kriegsflüchtlinge der frühen 90er Jahre hatten noch eine Chance auf Integration und Akzeptanz - zum Vorteil aller. Ein Beispiel: Bei mir in Gloggnitz wohnten vorübergehend zwei vertriebene bosnische Familien mit vier Kindern, alle damals noch ganz klein. Diese Familien sind geblieben - bestens integriert, bis heute mit uns, mit allen Nachbarn befreundet.

Die kleine Katarina von damals hat schon sehr jung als Helferin in einem Alten-und Pflegeheim gearbeitet und absolviert jetzt ihre Diplomausbildung. Pflegebedürftige Menschen liegen ihr am Herzen, sie sind bei ihr in besten Händen. Abgesehen von der zentralen menschlichen Komponente hat die Integration dieser Menschen volkswirtschaftlich viele Vorteile. Nichts läuft schwarz an den öffentlichen Kassen vorbei, und allein diese Familien haben in all den Jahren schon so viel an Sozialbeiträgen geleistet, dass die Unterstützungen von damals schon vielfach wieder hereingekommen sind.

Nationaler Irrweg

Seit damals hat sich politisch vieles verändert. Die politische Polarisierung von rechts außen hat dazu geführt, dass Menschen mit anderem Reisepass vielfach als Gefahr dargestellt wurden; Jobs, Wohnungen und soziale Errungenschaften sollten demnach nur ja nicht den Fremden zukommen. Im Bereich der Pflege ist es besonders dramatisch und offenkundig, aber auch in anderen Dienstleistungsbereichen führt der nationalistische Irrweg bereits offenkundig in eine Sackgasse - ein großer Schaden besonders für das Tourismus-und Erholungsland Österreich.

Die Zeiten haben sich geändert. Gut ausgebildete Menschen aus den neuen eu-Ländern, aus den neuen Balkan-Staaten oder der Türkei haben es nicht mehr nötig, als Bittsteller/innen an eu-Türen zu klopfen und im wunschlosen Unglück der Illegalität ohne Sozialversicherung und rechtliche Stabilität zu verharren, sondern sie können selbstbewusst zwischen Angeboten aus etlichen weitblickenden eu-Staaten wählen. Nicht Geld oder Finanzkapital wird in Zukunft knapp sein, sondern menschliche Qualitäten, persönliches Know-how. Die Gebote der Stunde heißen Bildung, Qualifikation für alle - und planvolle Integration.

Die von den Grünen immer eingeforderte Debatte über soziale und wirtschaftliche Notwendigkeiten in einer alternden Kommunikations-und Dienstleistungsgesellschaft wurde als weltfremd und anti-österreichisch abgetan und demagogisch verzerrt. Und nun der neue Gipfel im Bereich der Pflege, wo das övp/fpö-Schlamassel herrscht:

Wo der Staat versagt hat

Familien, alte Menschen, Pflegebedürftige werden dafür bestraft, dass sie individuell und in Eigenregie das organisiert haben, wozu der Staat nicht in der Lage war und ist: ein menschenwürdiges Leben mit persönlichen Dienstleistungen, die zur Wahrung der Eigenständigkeit notwendig sind. Rechtsextreme Agitation und Propaganda haben das unvernünftigste Fremden-und Aufenthaltsrecht in ganz Europa geschaffen. Es gibt - außer für die eng und rein monetär definierte Gruppe der so genannten Schlüsselkräfte - keine Möglichkeit, legal neue ausländische Dauer-Arbeitskräfte, nicht einmal solche aus den neuen eu-Mitgliedstaaten, zu beschäftigen. Selbst für die Zusammenführung von Kernfamilien gibt es Quoten - und mittlerweile werden unter bestimmten Umständen sogar die Ehepartner von Österreichern abgeschoben. Dass zudem auch Einbürgerungen - außer für russische Star-Sopranistinnen oder internationale Super-Sportler - de facto nahezu verunmöglicht wurden, bringt die wirtschaftliche Unvernunft und das menschliche Desaster zur Spitze.

Um die Koalition mit klar nationalistischen Kräften nicht zu gefährden, hat die övp christliche Werthaltungen ebenso gekippt wie rationale Überlegungen hinsichtlich des in Zukunft sicher wachsenden Bedarfs an Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der Pflege. Die sofortige Einstellung aller laufenden Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Pflegenotstand ist ein Gebot der Stunde. Man darf nicht Menschen dafür bestrafen, dass sie hilfsbedürftig sind.

PS: Eine Bitte an die Gewerkschaft: Bitte nicht die ausländischen Pfeger/innen bei den Behörden vernadern! Nutzt die Chance, bietet ihnen Hilfe an! Das Ziel ist klar: menschenwürdige, leistbare Dauer-Pflege unter arbeits-und sozialrechtlichen korrekten Bedingungen für die Pflegehelfer/innen.

Die Autorin ist stv. Bundessprecherin der Grünen.

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