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Fundamente ßr die Zukunft legen

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Gerechtigkeit für Opfer der NS-Verfolgung fordert Gideon Eckhaus. Wir Oster-reicher haben eine Verantwortung den vertriebenen Juden gegenüber.

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Gerechtigkeit für Opfer der NS-Verfolgung fordert Gideon Eckhaus. Wir Oster-reicher haben eine Verantwortung den vertriebenen Juden gegenüber.

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DIEFURCHE: Vor kurzem wurde das Entschädigungsgesetz und die Einrichtung eines Fonds beschlossen Was halten Sie als einer der offiziellen Vzr-treter der betroffenen, aus Osterreich vertriebenen beziehungsweise der Ermordung in Lagern entkommenen Juden von diesem Gesetz? Gideon Eckhaus: Zuerst möchte ich an den Beginn unserer Verhandlungen mit Österreich im Juni 1994 zurückgehen, als wir vor allem auf rasche und annehmbare Schritte Österreichs gedrängt haben, um den noch lebenden Opfern zumindest etwas annehmbares Symbolisches anzubieten. Ein großer Schritt war mit dem Neis-ser/Fuhrmann-Abkommen erreicht worden. Dann hat man das mit der Bemerkung „Sparpaket” und mit der Andeutung, das könnte Wellen in der Bevölkerung erzeugen, die die Politiker vermeiden wollen, abgelehnt. Zum Gesetz selbst kann man noch nicht viel sagen: Die wichtigsten Punkte sind darin nicht enthalten, etwa, wer im Detail anspruchsberechtigt sein wird, wann, wie und wieviel ausbezahlt werden soll.

DIEFURCHE: Und der Fonds im Parlament

Eckhaus: Wir haben die Verhandlungen nicht mit dem Parlament oder einem Fonds begonnen, sondern mit der Regierung, um auf schnelle Art und Weise zu einem befriedigenden Resultat zu gelangen. Damals glaubten und hofften wir, daß bis zu den Jubiläumsfeiern nicht nur die Beschlüsse gefaßt gewesen wären, sondern mit der Auszahlung begonnen werden hätte können, was bis heute nicht realisiert wurde. Zum Fonds selbst: die im Gesetz nicht enthaltenen Punkte müssen erst in den Fondsrichtlinien beschlossen werden.

DIEFURCHE: Worum ging es bei Ihren ursprünglichen Forderungen* eckhaus: Prinzipiell geht es uns darum, daß Österreich für seine ehemaligen Bürger, die vertrieben oder zu Opfern wurden, etwas leisten muß, nachdem es den entrechteten und vertriebenen Österreichern mit großer Verspätung möglich gemacht wurde, die österreichische Staatsbürgerschaft zurückzuerwerben. Wichtig ist mir auch, daß jedem 'einzelnen - auch nichtjüdischen - Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Gerechtigkeit widerfährt. Im Detail haben wir drei grundlegende Forderungen, von denen wir nicht abweichen können:

1. eine Grundzahlung für jeden, der bis 1938 in Österreich auf die Welt gekommen ist oder danach in einem der verschiedenen Lager geboren wurde.

2. eine Vererbungsberechtigung für jeden, der seine Ansprüche anmeldet, und zwar rückwirkend für alle, die im Juni 1994, dem Beginn der Verhandlungen, noch gelebt haben.

3. Übernahme der Verantwortung durch den Staat für die Pflege der jüdischen Friedhöfe und Gedenkstätten sowie Aufnahme der Thematik in Erziehung und Bildung der österreichischen Bevölkerung, vor allem der Jugend. Es sollte - um die nationalsozialistische Politik der Ausradierung der europäischen Juden in Österreich nicht erfolgreich sein zu lassen - auch Forschung über die Nachkommen der überlebenden österreichischen Juden geben, was in der Bereitstellung von Stipendien und Studiengeldern seinen Ausdruck finden muß.

DIEFURCHE: Gibt es über die Zahl der Betroffenen Schätzungen' eckhaus: Unseren Erhebungen zufolge gibt es in Israel heute maximal noch 3.500 aus Österreich stammende Juden, um ganz sicher zu gehen, sagen wir als Obergrenze 5.000. In der restlichen Welt schätze ich die Zahl der österreichischen Juden auf höchstens 15.000. Das ergibt eine Höchstzahl von 20.000. Dazu kommen, wie man mir sagte, etwa 5.000 nichtjüdische Betroffene. Das heißt, die Höchstzahl aller noch lebenden Betroffenen könnte etwa 25.000 betragen. Ich bin aber skeptisch und glaube nicht, daß wir diese Zahl noch erreichen werden. Täglich sterben Dutzende...

DIEFURCHE: Welche Höhe sollen die Entschädigungszahlungen haben' eckhaus: Von unserer Seite her haben wir nie über Beträge gesprochen, aus dem einfachen Grund, weil es Sache Österreichs ist, ein Angebot zu machen. Seinerzeit wurde im Neisser/Fuhrmann-Abkommen eine Summe von vier Milliarden Schilling genannt. Ich will von mir aus keinen Betrag nennen, es darf aber kein Almosen sein - trotz Sparpaket. Im Prin -zip geht es ja nicht ums schellende Geld, sondern es handelt sich um ein Einbekenntnis in Form einer Geste, die von Österreich her fehlt, und das kann - leider - nur in Geld ausgedrückt werden.

DIEFURCHE: Wzrum erwarten sie gerade jetzt eine Änderung der österreichischen Position1 eckhaus: Alle österreichischen Juden wissen und schätzen, daß Franz Vranitzky als erster Bundeskanzler und Staatsmann Österreichs im Parlament ein Bekenntnis zur Mitverantwortung - man kann sagen - gewagt hat. Diese und nachfolgende Erklärungen wie etwa während seines Besuches in Israel 1993 haben eine große Hoffnungswelle unter den

österreichischen Juden bewirkt. Das war einzigartig. Danach wurde von uns aber Tacheles, die Umsetzung von Ansprachen in Taten, erwartet. Die Ansprachen von Präsident Klestil haben ebenfalls Hoffnungen geweckt. Und jetzt ist der allerletzte Zeitpunkt, eine wenigstens symbolische Zahlung zu leisten, nachdem die österreichischen Juden jahrzehntelang durch Schläue und Unehrlichkeit in die Irre geführt worden waren.

DIEFURCHE: Wie stehen Sie zum heutigen Osterreich? eckhaus: Man sagt, daß das heutige Österreich anders ist als das damalige, aber das ist ein bisserl widersprüchlich, wenn man gleichzeitig sagt: „Hör zu, wenn jetzt diese Zahlungen kommen, was sich da erregen könnte Auf der anderen Seite glaube ich, daß es auch für Österreich wichtig ist, für seine Vergangenheit im Nationalsozialismus und Holokaust einzustehen. Von den österreichischen Juden tragen viele trotz des erlittenen Schicksals keinen Haß gegen Österreich, sondern eine große Verbitterung, und zwar nicht nur wegen dem, was die Nazis getan haben - weil das waren die Nazis, und das kann man ja nicht gutmachen, das muß man nur bedenken - Verbitterung besteht, weil Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg alles getan hat, um gerade den Juden nicht näher zu kommen, nicht zu helfen. Österreich trägt in vielen Fällen durch unterlassene Hilfeleistung nach Kriegsende Mitschuld am sozialen Elend vieler österreichischer Juden. Vor allem Krankheit, Verlust der nächsten Verwandten, Sprach- oder allgemein Integrationsschwierigkeiten machten den Überlebenden der „Endlösung” zu schaffen. Viele sind elend zugrunde gegangen. Ihnen hätte geholfen werden können.

DIEFURCHE: Warum tun Sie sich das an? eckhaus: Aus ganz persönlichen Gründen: Ich bin in Wien auf die Welt gekommen. Mein erster „Augen-Blick” war Wien. Meine Großeltern und meine Mutter sind in Wien begraben - auf solcher Erde möchte man Heil finden - obwohl ich weiß, daß auf dieser Erde und von den Händen von Österreichern auf anderen Erdteilen viel jüdisches Blut vergossen wurde.

Auch nachdem ich mit 151/2 Jahren als Knabe alleine hierher gekommen war, bin ich mit Juden aus Österreich in Verbindung geblieben, und ich hab' sehr viele gebrochene Menschen getroffen. Ich kenne die Leiden meiner Landsleute, und so ist es mir eine natürliche Verpflichtung. Und es ist auch eine Ehre, für die noch Verbliebenen und auch für Österreich, nicht nur für uns Juden, endlich einen Schritt machen zu können, bei dem man Fundamente für die Zukunft gießen könnte, vor allem für die junge Generation, den jungen Israelis und den jungen Österreichern. Würd' mich freuen, wenn ich das erleben könnte ...

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