"Geben Sie nicht Bulgarien Schuld!"

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Philip Dimitrov, Bulgariens erster Premier nach Fall des Kommunismus, hat nach 17 Jahren sein Ziel erreicht.

Die Furche: Herr Dimitrov, mit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien wurde die Bildung einer rechtsextremen Fraktion im Europäischen Parlament ermöglicht - ist das für Sie ein Wermutstropfen bei Ihrem Start als Europaabgeordneter?

Philip Dimitrov: Ich finde unseren Beitrag zu dieser Fraktion bedauerlich und ich bin auch persönlich unglücklich über die Bildung dieser rot-braunen Gruppierung. Allerdings, es hat diese Politiker schon vorher in der EU und im europäischen Parlament gegeben - dieses Gedankengut war also schon da und ist nicht erst von Bulgarien und Rumänien gekommen. Deswegen, geben Sie jetzt bitte nicht Bulgarien und Rumänien allein die Schuld.

Die Furche: Wie soll das Europäische Parlament darauf reagieren?

Dimitrov: Wir müssen sie hier so wie zuhause sehr ernst nehmen, mit ihnen diskutieren, debattieren; wir dürfen die politische Auseinandersetzung keinesfalls scheuen und müssen sie politisch entzaubern.

Die Furche: Sie haben bei Ihrer ersten Rede als EU-Parlamentarier von einem "historischen Moment" für Ihr Land und für Sie selbst gesprochen ...

Dimitrov: 17 Jahre meines Lebens habe ich für diesen Moment gearbeitet. Seit dem Fall der Berliner Mauer fühlten Menschen wie ich, dass Bulgarien mit dem kommunistischen System brechen und den Weg zu einem westlichen Staat einschlagen muss - jetzt sind wir am Ziel. Es ist großartig, wir haben unseren Traum wahr gemacht. Vergleichen Sie: Auch Russland hat einige Zeit diesen Traum geträumt - doch wo steht Russland jetzt? Und was haben wir Bulgaren erreicht?

Die Furche: Demokratie, Marktwirtschaft ...

Dimitrov: ... mehr - Demokratie gibt es in Indien auch, Marktwirtschaft hat auch Taiwan und Bolivien. Wir wollten auch nicht nur Wachstum. Wir wollten das alles und mehr, wir wollten ein normales westliches Land werden - das beinhaltet, der NATO und der EU beizutreten. Für uns geht das Hand in Hand, das war und ist nicht trennbar.

Die Furche: Sind Sie jetzt enttäuscht über den nicht so herzlichen Empfang in der EU, über die vielen Vorbehalte und Befürchtungen, die mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens einhergehen?

Dimitrov: Ich bin nicht enttäuscht, und ich sehe auch keinen Grund, warum irgendein Bulgare enttäuscht sein soll. Wir haben einige Probleme und wir bringen einige davon auch in die EU, das stimmt schon. Aber unsere Probleme sind ähnlich denen der anderen osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Und was an positiven Veränderungen in den anderen Ländern seit ihrem Beitritt möglich war, sollte auch im Fall von Bulgarien möglich sein.

Die Furche: Was schlagen Sie vor, um die EU-Krise zu beheben?

Dimitrov: Ich würde nicht von Krise sprechen, wir haben andere, wirkliche politische Krisen erlebt. In der EU sehe ich derzeit ein Problem mit der Demokratie. Angesichts der Gefahr von nicht-demokratischen Regimen hat sich die Demokratie gut entwickeln können, heute fehlt dieses Bewusstsein. Bulgarien kann keine Lösung für dieses Problem bringen, aber uns ist der hohe Wert von Demokratie vielleicht noch etwas mehr bewusst. Und für uns hat auch die transatlantischen Beziehung einen wichtigen Stellenwert. EU und USA vergessen allzu leicht, wie wichtig es ist, zusammenzustehen. Vor allem im Bereich der Energieversorgung, um sowohl Chávez als auch Putin widerstehen zu können.

Die Furche: Muss, soll, kann die EU Russland widerstehen?

Dimitrov: Russland ist ein schwieriges Land. Seit 1991 hat es große Anstrengungen gegeben, mehr Demokratie und Freiheit in Russland zu schaffen. Und auch wir glaubten daran, an die Freiheit, an die Marktwirtschaft in Russland, aber wir wurden enttäuscht, und das ist keine gute Art, aus einem Traum aufzuwachen.

Die Furche: Was wünschen Sie sich für die EU in den nächsten Jahren?

Dimitrov: Mehr Zusammenhalt, besonders in Fragen der Energie. Mehr Deregulierung, besonders in Sachen Dienstleistung und vor allem mehr Wachstum.

Die Furche: Und mehr Soziales?

Dimitrov: Wachstum ist der wichtigste Faktor für soziale Entwicklung, Wachstum schafft Jobs.

Die Furche: Noch eine Frage an den gerade der EU Beigetretenen - soll jetzt Schluss sein mit der Erweiterung, vor allem, wie soll es mit Bulgariens Nachbar Türkei weitergehen?

Dimitrov: Religion darf kein verhindernder Faktor für einen EU-Beitritt sein. Ich weiß nicht, von welchem Zeitraum wir reden, aber generell: Die Tür für die Türkei sollte nicht geschlossen werden.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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