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Gefahren der „neuen Demokratie“

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Einer der bedeutendsten Staat&rechtslehrer der österreichischen Republik, der verstorbene Professor Dr. L. A d a m o v i c h, hat in seinen Werken über die österreichische Verfassung immer wieder darauf hingewiesen, daß die Grundordnung unseres Staatswesens auf drei Prinzipien beruht: dem Bundesstaat, der Demokratie und dem Rechtsstaat. Professor Adamovich mußte noch zu Lebzeiten als Präsident des Verfassungsgerichtshofes in einer Unmenge von Erkenntnissen die andauernden Versuche der Verletzung wichtiger Verfassungsbestimmungen zurückweisen. Von der Oeffentlichkeit kaum beachtet, macht Oesterreich seit 1945 eine Entwicklung mit, durch welche die Verfassungsurkunde zu einem wirklichkeitsfremden Stück Papier zu werden droht und die Garantien der Verfassung kaum noch wirksam werden können.

Das bundesstaatliche Prinzip ist in der österreichischen Verfassung im einzelnen durch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie durch den Bundesrat als oberste Ländervertretung verankert. Nun wurden aber im vergangenen Jahre eine ganze Reihe von Gesetzen wirtschaftlichen Inhaltes durch den Nationalrat verabschiedet, für welche dem Bund normalerweise keine Kompetenz zustünde. Das Parlament hat sich die Sache insofern einfach gemacht, als durch ausdrückliche Verfassungsbestimmungen dem Bünd in diesen Gesetzen die notwendige Zuständigkeit geschaffen wird. Es ist gar kein Zweifel, daß durch diese Vorgangsweise die bundesstaatliche Organisation der Republik Oesterreich innerlich untergraben wird: denn entscheidend ist nicht, ob in der Verfassung steht, daß Oesterreich ein Bundesstaat ist, sondern vielmehr, ob die staatliche Gewalt wirklich zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt wird. Je mehr Agenden den Ländern entzogen bzw. ohne größere Notwendigkeit dem Bund allein übertragen werden, um so mehr entfernt sich die Verfassungswirklichkeit von der Verfassungsurkunde und um so näher rückt die österreichische Staatsorganisation dem Typ des Zentralstaates. Daß die zweite Kammer des österreichischenParlanręntes, nämlich der Bujjfįęsrąt , .diese, JJntjriqldung. jįiejy: apffrält, wurde schon zu wiederholten Malen bedauert. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß der Bundesrat seine Funktion als Länderkammer nicht erfüllt, sondern ebenso nach parteipolitischen Gesichtspunkten funktioniert wie der Nationalrat. Da ein Parlament aber nicht zwei nach Zielsetzung und Struktur völlig ähnliche Körperschaften benötigt, ist der Bundesrat folgerichtig für die gesetzgeberische Arbeit völlig bedeutungslos geworden.

Nun könnte man meinen, daß wenigstens das demokratische und das rechtsstaatliche Prinzip unserer Bundesverfassung sorgfältig beachtet werden. Aber auch dies ist leider nicht der Fall. Als Garant der demokratischen Grundordnung wäre nach der Verfassungsurkunde der Nationalrat als vom Volk gewählte Vertretung anzusehen, dem das Recht der Bundesgesetzgeburlg zusteht, die Bundesregierung verantwortlich ist und der die Tätigkeit der staatlichen Verwaltung zu kontrollieren hat. Immerhin schien es bisher in der Oeffentlichkeit allgemeines Bedauern hervorzurufen, daß unser Nationalrat diesen seinen so wichtigen und umfangreichen Aufgaben als Volksvertretung nicht gerecht zu werden vermag. Mit um so größerem Erstaunen müssen Aeuße- rungen zur Kenntnis genommen werden, die ein solches Abweichen von der Verfassung als erträglich, ja vielleicht sogar notwendig bezeichnen.

ln einer Tageszeitung, die zumindest über gute Beziehungen zum Zentrum österreichischer Innenpolitik verfügt, wenn sie nicht gar als ihr Sprachrohr angesehen werden darf, erschien Ende vergangenen Jahres ein Artikel über „Parlament und Parlamentarier", der dem Nationalrat seine Funktion als Volksvertretung einfach abspricht. Aufgabe des Parlaments ist es nach diesen Ausführungen lediglich, die Beschlüsse der Regierung bzw. Parteiführungen zu sanktionieren, als ein Instrument der öffentlichen Meinung zu funktionieren usw. Die merkwürdige Auffassung von der Stellung österreichischer Parlamentarier dokumentiert sich in einer Charakterisierung, die wörtlich folgendermaßen lautet:

„Je weniger die Bevölkerung vom Parlamentarier spricht, je mehr beginnen diese über sich selbst zu sprechen. Sie machen sich darüber, was Ehre, Würde und Recht des Parlaments heißt, immer wieder Gedanken. Das Gesicht, das es zu wahren gilt, spielt in den Diskussionen eine erhebliche Rolle. Zu einem Ergebnis kommen sie jedoch um so weniger, als sie unter höchst verschiedenen Voraussetzungen an ihr hohes Amt herangetreten sind. Man kann vielleicht drei Gruppen von Parlamentariern unterscheiden:

1. Diejenigen, die ihr Mandat als eine angemessene Abrundung ihrer übrigen Funktionen in der Kammer, Gewerkschaft, Genossenschaft usw. ansehen. Sie sind die gewichtigen Männer im Klub, deren Wort etwas gilt, für die selbst das Parlament jedoch kein zentrales Anliegen darstellt.

2. Die Abgeordneten, die zwar ebenfalls verschiedenen außerparlamentarischen Institutionen verhaftet sind, aber in zweiter Rolle. Sie sind zumeist Direktoren und Sekretäre, intelligent und fleißig, und diejenigen Parlamentarier, welche die Hauptarbeit leisten.

3. Schließlich die Zahl jener, die in dem Mandat eine Art Ehrenrente sehen, auf die sie durch ihre bisher geleistete Arbeit und ihre örtlichen Funktionen ein Anrecht zu haben glauben.“

Hier wird also — unseres Wissens erstmalig — in aller Oeffentlichkeit dem Parlament die Funktion als Beauftragter des Volkes und damit Träger der höchsten Gewalt im Staate aberkannt. Praktisch bedeutet dies zugleich die Negierung des Artikels 1 der Bundesverfassung, der wörtlich lautet: „Oesterreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke au s.“

Die Entdeckung, daß in Oesterreich das Volk und die Volksvertretung immer weniger zu reden haben, ist nicht neu. Schon seit Jahren mahnen nicht zu unterschätzende Stimmen die Volksvertretung, sich ihrer Rechte und Pflichten bewußt zu werden und die undemokratische Bevormundung durch Regierung oder besser gesagt Parteiführungen zu beenden. Sicher ist der Vorwurf nicht ganz unberechtigt, daß sämtliche verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und demokratischen Organisationsprinzipien der Volksvertretung zur Verfügung stehen. Wenn das Parlament dennoch von weniger berechtigten, ja in der Verfassung überhaupt nicht vorgesehenen Institutionen abhängig wird, so ist dies nur durch eine gewisse Schwäche der Abgeordneten selbst erklärlich.

Die Kritik geht manchmal noch weiter, indem sie die Behauptung aufstellt, man müsse froh sein, däß unsere, 165 Abgeordneten nicht das Recht der Gesetzgebung ausüben, weil die Gesetze sonst noch schlechter wären, als sie nach Meinung von Fachleuten ohnedies schon sind. Aber auch für dieses Problem scheint der vorhin zitierte Artikel Aufschlüsse geben zu können. Denn ganz offensichtlich ist der Ausleseprozeß der Parteien darauf gerichtet, möglichst gefügige Abgeordnete, also möglichst wenig starke Persönlichkeiten und scharf profilierte Politiker in die Volksvertretung zu entsenden. Heißt es doch unter anderem wörtlich:

„Aber man muß dem Bedauern auch wieder die Ueberlegung entgegenhalten, ob ein allzu aktives Parlament nicht mehr stören als nützen würde. Man könnte die Forderung erheben, daß mit der Kumulierung von öffentlichen Funktionen radikal Schluß gemacht werde, daß mehr Stürmer und Dränger in die Körperschaften entsendet werden sollten, als es derzeit der Fall ist. Was aber würde herauskommen? Es würden das Parlament, die Kammern, die Parteiführungen usw. in einem Maße rivalisieren, daß es nur noch schwieriger würde, zu einheitlichen Beschlüssen zu gelangen.“

Aus diesen Sätzen läßt sich etwa folgende Grundeinstellung gegenüber dem Parlament erkennen: Zunächst wünscht man kein wirklich unabhängiges Mitbestimmungsrecht der Abgeordneten, damit das Parlament bzw. die im Parlament vorhandenen Stürmer und Dränger nicht mit anderen, offensichtlich beliebteren Machtzentren im Staate rivalisieren (als ob sich dem Parlament als Vertreter des souveränen Volkes überhaupt andere Institutionen rivalisierend gegenüberstellen könnten!). In der weiteren Phase kommt man dann zur Erkenntnis, daß das Parlament eigentlich einflußlos ist und die politischen Entscheidungen durch unnötiges

Mitreden hinauszögert. Und dann scheint letzt lieh die Institution der Volksvertretung überflüssig zu sein.

Man darf uns nicht der Lįebertreibung bezichtigen. Denn in der gleichen Tageszeitung erschien wenige Wochen später ein Leitartikel, in welchem es wörtlich heißt:

„Die vier Säulen der neuen österreichischen Demokratie heißen: Regierung, Parteivorstände, Führungsgremien der Interessenverbände und Landeshauptleute."

Hier liegt also die Bestätigung vor, daß im Aufbau der „neuen österreichischen Demokratie" der Volksvertretung zumindest kein entscheidender Platz eingeräumt werden soll, wobei Wprtbildungen wie „neue Demokratie" an sich nicht ganz unverdächtig wirken und an andere Versuche wie „Volksdemokratie“ usw„ nur allzu leicht erinnern.

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