Gefühlte Ratlosigkeit

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Die Niederlagen von Sozialdemokraten und Konservativen bei der jüngsten Landtagswahl machen die Koalitionsparteien noch ratloser. Die Folge ist Stillstand. Das ist genau das, was wir nicht brauchen.

Lange genug hat man uns erklärt, nicht die gemessene, nein, die gefühlte Temperatur sei das Wesentliche, sei das, was zählt. Jetzt haben wir verstanden und stellen für das Politische fest: So viel gefühlte Ratlosigkeit war noch nie wie in diesen Tagen, da die Wähler den Regierenden eine blanke Abfuhr erteilen und die Ärzte auf die Straße gehen. Selten noch hat Politik so taub und tumb, sprich: unerfahren, so rat- und konzeptlos gewirkt.

Sie waren gewarnt, die Sozialdemokraten und die Volkspartei dieser Großen Koalition. Sie würden, sagten ihnen Umfragen voraus, auch bei der Tiroler Landtagswahl deutlich an Stimmen und Mandaten verlieren. Nur mit halben Mitteln und halbem Herzen versuchten sie dagegenzuhalten. So, als wären Wahlen etwas Schicksalhaftes, kaum Beeinflussbares. Unter dem Druck politischer Konkurrenz und der vermuteten Aussichtslosigkeit, die eigene Botschaft bei medialem Gegenwind unters Volk zu bringen, geben manche Politiker den Kampf um Durchsetzung ihrer Argumente schon auf, ehe sie ihn führen.

Ein unheimliches Phänomen hat sich ins Politische eingeschlichen, wie die Reaktionen auf das schwarz-rote Wahldebakel zeigten. Es gibt neuerdings diesen Fatalismus, die Dinge mit ernster, teils bitterer Miene zur Kenntnis zu nehmen, aber nichts zu tun. Es gibt diese resignative Haltung des politischen Establishments, Kritik und Protest einfach abzuwinken, statt sich damit auseinanderzusetzen.

Die Rechthaber unter den Machthabern, namentlich der Volkspartei, haben zuvor in Salzburg und in der Steiermark, zuletzt mit dem Wahldebakel in Tirol, einen hohen Preis für trügerische Selbstsicherheit und nonchalante Untätigkeit bezahlt. Und die Sozialdemokraten sind in Niederösterreich und dann in Tirol sang- und klanglos untergegangen, so, als wären sie lediglich Zählkandidaten außerhalb des eigentlichen Wettbewerbes. Ein Schicksal jenem der Grünen nicht unähnlich, nur liegen diese gegenwärtig unter der Geringfügigkeitsgrenze anstrengungswerter Aufmerksamkeit. Ein Umstand, der nicht mit Häme, sondern mit Sorge festzuhalten ist, weil ein ökologisch-intelligentes Korrektiv ausfällt. Was allerdings ebenfalls nicht, siehe oben, Schuld der Wähler, sondern jene des Parteiestablishments ist.

Die Ergebnisse dieser jüngsten Landtagswahlen mögen lediglich die Parteien wirklich aufregen, doch die Umstände, unter denen sie zustande kamen und wie darauf reagiert wird, die halten wir für bestürzend. Die heillos wirren Debatten über Ursachen und folgende Rücktritte lassen nur einen Eindruck zu: Wir fühlen hier flächendeckende und tiefe Ratlosigkeit, aber nicht nur hier.

Die Ärzte verweigern der Regierung die Zustimmung zum Gesundheitspaket, das in Tat und Wahrheit ein Paket zur Sanierung maroder Krankenkassen ist. Keck, wie er ist, warnte Sozialminister Buchinger die Ärzte schon, sie mögen nicht Opfer ihrer Kampfrhetorik werden. Ein souveräner Minister spräche anders. Und Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky meinte gar, es gebe mit den Ärzten nichts mehr zu verhandeln. Eine gelassene Ministerin würde hingegen nichts unversucht lassen, die Ärzte zu überzeugen. Die Ratlosigkeit im Umgang mit der Gesundheitsreform hat die Koalition nur durch jene in der Behandlung der Pensionsfrage übertroffen: Debatte und Entscheidung über die Pensionsautomatik, sprich Einsparungen bei steigenden Kosten, wurden auf Herbst vertagt. Im Wesen dieser Nicht-Lösung liegt das Problem.

Österreich stehen 2009 zuerst zwei Landtagswahlen, dann Europawahlen und im Herbst neuerlich zwei Landtagswahlen bevor. Angst vor Wahldebakeln verstärkt die Ratlosigkeit, derentwegen die Koalition das für sie Nächstliegende tun wird, nämlich nichts. Lebensmittel werden teurer, Energie aus Rohöl wird unfinanzierbar, die Pensionskosten steigen ins Unermessliche, die nächste kritische Bildungsstudie wird kommen - und kaum etwas wird die Regierung zu Handlungen treiben, denn sie hat, sofern sie das je hatte, ihr Selbstvertrauen verloren und sich eine Führungsdebatte ihrer Parteien eingehandelt. Damit zeigt die gefühlte Ratlosigkeit ihr wahres Wesen: Sie ist echt.

claus.reitan@furche.at

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