"Gegen Durchfall hilft nicht mehr Essen"

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Für Michael Prüller, den stv. Chefredakteur der "Presse", führt die Entwicklungszusammenarbeit zu keinen wirklichen Entwicklungserfolgen - ADA-Geschäftsführer Botschafter Michael Linhart widerspricht.

Die Furche: Herr Prüller, in Ihren Leitartikeln für die "Presse" beschäftigen Sie sich regelmäßig mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit, und Sie ziehen dabei fast ausschließlich eine "traurige Bilanz" - ist Entwicklungszusammenarbeit sinnlos?

Michael Prüller: Ich möchte da unterscheiden: Für ein Dorf, eine Region, ist es natürlich spürbar, wenn dort aus Entwicklungshilfegeldern ein Wasserwerk oder eine Schule gebaut wird. Insofern ist es nicht so, dass diese Projekte sinnlos sind. Andererseits, was haben die großen Beträge an Entwicklungshilfe bewirkt: Länder, die starke Empfänger von Entwicklungshilfe sind, bleiben starke Empfänger; es scheint also eine Gewöhnung an die Hilfe zu geben, aber keine Entwicklung.

Die Furche: Herr Linhart, stimmt das: Hilft Entwicklungszusammenarbeit im kleinen, aber große Veränderungen sind nicht möglich?

Michael Linhart: Nein, da gibt es gerade bei den Partnerländern der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit konkrete Gegenbeispiele: Kap Verde ist dabei, seinen Status als Entwicklungsland zu verlieren. Und auch bei Bhutan sehen wir sehr große Fortschritte.

Prüller: Aber man fragt sich da schon: Gab es in diesen Ländern Voraussetzungen, die gar nicht von der Entwicklungshilfe beeinflusst waren? Zum Beispiel eine Regierung, die anständig und fähig ist und den Boden so aufbereitet, dass der Humus der Entwicklungshilfe sehr gut wirken kann. Es gibt ja auch eine Reihe von Ländern, die es ohne Entwicklungshilfe geschafft haben, Ansätze von Wohlstand zu erreichen - durch strukturelle Änderungen, durch die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen ...

Linhart: Es gibt nicht ein Modell, das überall anwendbar ist. Und man muss auch sektorielle Fortschritte würdigen: In Uganda zum Beispiel geht die Aids-Rate massiv und beispielhaft für Afrika zurück. Für jedes Land braucht es maßgeschneiderte Modelle.

Prüller: Um normale wirtschaftliche Investitionen anzulocken, muss man sein Haus in Ordnung haben; um für Entwicklungshilfe attraktiv zu sein, ist es kontraproduktiv, wenn man sein Haus in Ordnung bringt. Statistiken von iwf und Weltbank zeigen, dass wenn ein Land einmal anfängt Geld zu bekommen, die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass dieses Land jahrzehntelang abhängig bleibt. Auch in der bilateralen Entwicklungshilfe bleiben die Empfänger immer dieselben. Gibt es da keine Hilfe, die tiefer in die Strukturen wirken könnte?

Linhart: Natürlich genügt es nicht mehr, dass wir nur einen Brunnen bauen. Dazu braucht es Wasser- und Abwassermanagement, dazu braucht es die Sicherheit, dass die Menschen diesen Brunnen auch unbeschadet erreichen können, Friedenssicherung, Aufbau von lokalen Strukturen und Kapazitäten, Kampf gegen Korruption - das alles und mehr muss heute gute Entwicklungszusammenarbeit leisten. Doch die Fülle der Aufgaben und die Schwierigkeiten dabei sollen uns nicht dazu bringen, uns aus diesen Ländern zu verabschieden, denn treffen wird es immer die Armen.

Prüller: Es geht nicht ums Verabschieden, aber manche Entwicklungsländer gleichen für mich einem Patienten, der schweren Durchfall hat. Ohne Änderung in seinem Inneren kann man noch soviel Essen in ihn hineinstopfen, das wird umgehend den Körper wieder verlassen und es bleibt nur sehr wenig zurück.

Die Furche: Soviel wird für die Entwicklungszusammenarbeit - vor allem was Österreich betrifft - aber doch gar nicht aufgewendet. Der Streit, bis wann wir endlich 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bereitstellen, dauert schon seit Jahrzehnten an. Wie wichtig sind neben Know How ausreichende Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit?

Linhart: Die sind absolut wichtig. Es braucht mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern. 0,7 Prozent ist ein Ziel, das wir uns seit langem gesetzt haben und dafür gibt es ja auch mittlerweile sehr viel öffentliche Akzeptanz. Und die eu und die österreichische Regierung haben sich mit dem Zwischenzielen 0,33 und 0,51 Prozent ja auch dazu verpflichtet. Daneben gibt es eine rege Diskussion über die Aufbringung weiterer Mittel, etwa der Tobin-Steuer. Aber allein wenn die Geberländer jene Beträge aufwenden, zu denen sie sich bekannt haben, ist ein wichtiger Schritt getan, um die Entwicklungsziele zu erreichen.

Prüller: Es geht nicht darum, wieviel Geld zur Verfügung gestellt wird, sondern es geht darum, wie das Geld verwendet wird. Es gibt viele Stimmen aus den Entwicklungsländern, die sagen: In erster Linie brauchen wir nicht Geld, denn das Geld hat unsere Regierungen an eine Kultur des Jammerns und Handaufhaltens gewöhnt. Die wirklich wichtigen Weichen, die man stellen müsste, um die Länder nachhaltig aus dem Entwicklungsstadium herauszuführen, sind Dinge wie die Garantie von Rechtssicherheit oder der Einschluss möglichst großer Bevölkerungsteile am politischen und wirtschaftlichen Geschehen.

Linhart: Egal von welcher Seite wir das Pferd aufzäumen, wir werden auch dafür mehr Geld brauchen. Zum Beispiel um lokale Strukturen aufzubauen; es fehlt ja am Einfachsten: Eine Bäuerin in Mosambik transportiert soviel zum Markt, wie sie am Kopf tragen kann, weil sie kein anderes Transportmittel hat; und daher macht es für sie auch keinen Sinn, mehr anzubauen. In Trockenzeiten fehlen dann aber die Nahrungsmittel und die Menschen leiden Hunger. Da sind wir in einem Teufelskreis und um aus dem herauszukommen, müssen wir bei grundlegenden Dingen ansetzen - und das kostet Geld.

Prüller: Der peruanische Sozialwissenschafter Hernando de Soto sagt: Der Westen braucht gar nichts für uns tun. Unsere Armen wären viel reicher, als es jede Entwicklungshilfe je zustande bringt, wenn wir es schaffen, sie in die normale Wirtschaft zu integrieren. Erster Schritt dafür ist die Rechtssicherheit auf ein bestimmtes Stück Land. Dass diese Menschen also einen Titel auf das Land bekommen, auf dem sie wohnen. Erst dann können sie dieses Land mit einer Hypothek belasten, einen Kredit aufnehmen, ein Geschäft anfangen, eine Werkstatt eröffnen, ohne fürchten zu müssen, dass ihnen morgen alles wieder weggenommen wird. Mit Rechtssicherheit beginnt jede erfolgreiche Entwicklung - und das sind Dinge, da braucht man kein Geld. Deswegen ist für mich diese Zahl 0,7 so ein Zahlenfetischismus. Denn überall dort, wo gewisse Summen zur Verfügung gestellt werden, steigt ja nicht nur die Professionalisierung der Geber, sondern auch die der Empfänger. Und mit der steigenden Flut an Geld werden auch die Schiffe der Profiteure angehoben.

Linhart: Diesen Problemen können wir entgegenwirken. Wenn man einen Entwicklungsplan sukzessive abarbeitet, schaut, wo und warum es noch Defizite gibt, kann man gute Ergebnisse erzielen. Ein wesentlicher Faktor ist die Harmonisierung und Kooperation zwischen den Gebern. In Mosambik gibt es allein im Gesundheitsbereich 400 verschiedene Projekte - das führt natürlich zu Zweigleisigkeiten und Reibungsverlusten. Hier sind wir Geber gefragt, gemeinsame Projekte in Abstimmung mit dem Partnerland durchzuführen.

Die Furche: Sollten sich die Geberländer, also vor allem eu und usa, nicht zuerst einmal auf den Abbau von Handelsbarrieren gegenüber den Entwicklungsländern einigen?

Prüller: Handelsbeschränkungen gibt es nicht nur zwischen reichen und armen Ländern, sondern diese Barrieren existieren vor allem zwischen den armen Ländern selbst. Und es gehört zur Jammerkultur vieler Entwicklungsländer, ständig auf diese Handelsbarrieren im Agrarsektor hinzuweisen. Dabei ist es für mich schwer verständlich, dass Länder, die jahrzehntelang Entwicklungshilfe bekommen haben, um Gewerbe und industrielle Strukturen aufzubauen, heute immer noch ausschließlich einfachste Agrarprodukte exportieren können.

Linhart: Die Beseitigung der Handelsbarrieren ist wesentlich, aber nicht alles. Wir müssen zuerst die Länder dabei unterstützen, die Qualität ihrer Produkte zu erhöhen, um sie markt- und konkurrenzfähig zu machen. Genauso ehrlich muss man dem einen oder anderen Land sagen, dass es in diesem oder jenen Bereich nicht konkurrenzfähig ist: Geh neue Wege, suche andere Möglichkeiten, aber auch dabei muss man diese Länder dann unterstützen. Auch das ist Inhalt unserer Zusammenarbeit.

Prüller: Was für das einzelne Land gilt, dass die Beteiligung möglichst vieler am Wirtschaftsleben Wohlstand schafft, das gilt global genauso. Je mehr den Ländern eine Teilnahme an der Weltwirtschaft ermöglicht wird, desto besser kann auch für diese Länder die arbeitsteilige Wirtschaft funktionieren. Der größte Armutsvernichter, siehe China, siehe Indien, ist die Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft.

Linhart: Da spielt vor allem die regionale Komponente eine wichtige Rolle. Wenn es im südlichen Afrika einen so starken Markt wie Südafrika gibt, dann müssten doch auch die Länder rundherum profitieren können. Aber bis es soweit ist und dass es soweit kommt, braucht es Unterstützung - und die müssen wir geben.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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