"Geheim? Geht nicht!"

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Wolfgang Pilch, Hauptdirektor für Patentinformation in der Dienststelle Wien des Europäischen Patentamtes, über "Erfindungshöhen" und den Think Tank China.

Die Furche: Herr Direktor Pilch, Sie hatten im Berner Patentamt einen namhaften Kollegen: Albert Einstein. Beflügelt der Umgang mit Erfindern eigene Geistesblitze?

Wolfgang Pilch: Einstein war nicht sehr angetan von seiner Tätigkeit. Ich bin aber von der Arbeit des Patentprüfers angetan, daher kann ich nicht sagen, dass mich Einstein inspiriert hat. Eher im Gegenteil - zumindest in diesem Punkt ...

Die Furche: Sie sind studierter Nachrichtentechniker. Haben Sie selbst schon etwas patentiert?

Pilch: Nein, das dürfte ich auch nicht. Ich war vor meinem Wechsel ins Europäische Patentamt ja lange Zeit auch Patentprüfer beim nationalen, österreichischen Patentamt, und dort gibt es eine Verhaltensregel, wonach man selbst keine Erfindungen anmelden soll. Es ist ja nicht auszuschließen, dass man durch die Beschäftigung mit Anmeldungen auf Wege geführt wird, die einem anderen nicht offen stehen.

Die Furche: Wie muss ein Erfinder dem Patentprüfer beweisen, dass er tatsächlich der Erfinder einer Sache ist?

Pilch: Man geht einmal vom guten Glauben aus, dass der Anmelder keine kriminelle Energie aufgewendet hat. Es gibt natürlich Sonderfälle, wo sich jemand durch Vertrauensbruch in den Besitz der Erfindung eines anderen gebracht hat - doch das muss wiederum vor dem Patentamt oder ordentlichen Gerichten ausgefochten werden. Im Patentprüfungsverfahren wird jedenfalls "nur" festgestellt, ob eine Idee tatsächlich erfinderisch ist.

Die Furche: Wie läuft das in der Praxis ab?

Pilch: Der Anmelder muss eine vollständige Beschreibung seiner Erfindung abgeben, sodass ein "Durchschnittsfachmann" - das ist ein Kunstbegriff für jemanden, der alle Veröffentlichungen, die es auf der Welt je gegeben, kennt, aber selbst kein begnadeter Erfinder ist - auf Grund der Beschreibung in der Lage sein muss, diesen Gegenstand herzustellen. Es ist also unzulässig, wenn es plötzlich heißt: "Und um diesen Effekt zu erzeugen, benötigen Sie die von mir geheim gehaltene Verbindung soundso ..." Das geht nicht! Und auf Grund dieser Beschreibung und nach Recherchen in unseren Datenbanken prüfen dann unsere Fachleute die Neuheit und Erfindungshöhe des Gegenstandes ...

Die Furche: Was heißt "Erfindungshöhe"?

Pilch: Dieser Begriff wurde eingeführt, weil es ja sein kann, dass ein Gegenstand zwar noch nicht ident in einer anderen Schrift gefunden wurde, aber trotzdem keine wesentliche Neuerung besteht. Wenn es etwa ein Patent für die Erfindung gibt, einen Türstopper dadurch herzustellen, dass eine Metallplatte neben die Tür gelegt wird, und jemand anderer sagt: "Ich nehme aber eine Steinplatte!", dann wäre sicher keinerlei Erfindungshöhe gegeben.

Die Furche: Wie unterscheidet sich eine Erfindung von einer Entdeckung?

Pilch: Hier gibt es immer Grenzfälle. Aber eine Erfindung ist im Grunde etwas, wo eine technische Problemlösung durch technische Mittel gefunden wird.

Die Furche: Warum kann man dann beim Europäischen Patentamt Gene patentieren?

Pilch: Das kann man so nicht sagen: Man kann Verfahren patentieren, und es gibt eine umfangreiche gesetzliche Regelung zur Frage, was auf dem Gebiet der Gentechnik patentiert werden kann. Das ist durch die Kommission vorgegeben, und das Europäische Patentamt hält sich daran. Dass es immer wieder spektakuläre Fälle gibt, ist eine andere Sache (vgl. unten).

Die Furche: Man kann ein Patent als Schutz eigener Erfindungen sehen - oder als der Öffentlichkeit vorenthaltenes Wissen. Was ist Ihre Definition?

Pilch: Ein Patent ist die Möglichkeit, jemand anderen daran zu hindern, die von mir zum Patent angemeldete Erfindung ohne Rechtsfolgen zu benützen. Aber ich bekomme damit kein Sonderrecht. Damit wird auch der gesamten Diskussion über die Zulässigkeit von Patenten der Wind aus den Segeln genommen: Wenn also jemand ein Patent auf einen Biotech-Vorgang hat, dann hat er damit nicht die Berechtigung, diesen Prozess auch durchzuführen. Alle diese Dinge können immer nur im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Landes stattfinden. Und die sind bekanntermaßen unterschiedlich.

Die Furche: Wobei in der EU auch bezüglich eines Gemeinschaftspatents unterschiedliche Meinungen herrschen. Was wären die Vorzüge gegenüber dem derzeitigen "europäischen Patent"?

Pilch: Das europäische Patent, das in einem einzigen Verfahren in einer der drei Amtssprachen deutsch, englisch oder französisch abgefasst wird, zerfällt ja zum Zeitpunkt der Erteilung in ein Bündel nationaler Patente, also in derzeit maximal 31 Patente, wobei dann Übersetzungen vorzunehmen sind. Und das ist teuer. Beim Gemeinschaftspatent wird hingegen nur ein Patent erteilt, das in allen EU-Staaten Geltung haben müsste. Derzeit gibt es aber noch keine Einigung darüber, in welche Sprache diese Patente übersetzt werden sollen.

Die Furche: Ein Gemeinschaftspatent könnte nicht zuletzt vor dem EuGH angefochten werden ...

Pilch: Ja, es wäre auch unmöglich, dass eine Patentschrift in Frankreich angefochten wird, dort untergeht und dann in Deutschland weiter besteht - wie das beim europäischen Patent möglich wäre. Ein Gemeinschaftspatent wäre also ein absoluter Durchbruch.

Die Furche: Sie haben mit Kollegen das Internationale Patentdokumentationszentrum (Inpadoc) ins Leben gerufen, das die Keimzelle der Wiener Dienststelle des Europäischen Patentamts ist. Welches der 74 Länder, deren Patentschriften Sie verwalten und auswerten, hat derzeit die Nase vorn?

Pilch: China. Wir haben schon in den 70er Jahren die europäische Industrie gewarnt, dass es gefährlich ist, die Patentschriften einzelner Staaten zu ignorieren und zu glauben, dass China nur die verlängerte Werkbank Europas sei. Mittlerweile ist China bereits der Think Tank Europas geworden. Und wenn wir nicht imstande sind, ihre Patentschriften zu lesen, dann werden wir in Kürze keine Möglichkeit mehr haben, konkurrenzfähige Produkte herzustellen. Wobei wir nicht erwarten können, dass uns China wie Japan Übersetzungen sämtlicher Patentschriften liefert. Es wird also die Aufgabe des Westens sein, sich Zugang zu den chinesischen Schriften zu schaffen.

Die Furche: Ganz andere Phänomene gibt es in Amerika: Dort hat kürzlich der Mobilfunkkonzern Cingular Wireless ein US-Patent für "Emoticons", also Gefühls-Kürzel für Handys, angemeldet. Wäre so etwas in Europa denkbar?

Pilch: Wir bemühen uns, dass es nicht zu solchen spektakulären Patenten kommt. Auf Grund der "Erfindungshöhe" und der Tatsache, dass in Europa das direkte Patentieren von Software nicht möglich ist, sind solche Skurillitäten unwahrscheinlich. Aber Fehler gibt es natürlich immer.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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