Gemeinden schlittern in eine Finanzierungskrise

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Steigende Ausgaben, weniger Einnahmen: Die Hälfte der Gemeinden kann heuer nicht ausgeglichen bilanzieren. Nach dem Gemeindetag befasst sich eine Konferenz mit der Misere. Dessen Gastgeber analysiert die Problematik.

Noch ist es in Europa nicht so weit wie in den USA, wo Gemeinden in der Krise aus Geldnot ihre eigene Lokalwährung drucken. Aber die finanzielle Lage der europäischen Gemeinden ist dramatisch. Für Österreich erwartet Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer, dass heuer rund die Hälfte der 2.300 Gemeinden nicht ausgeglichen budgetieren kann. Bis 2013 wird nach einer Prognose die Finanzierungskrise alle Städte und Gemeinden treffen.

Die Wirtschaftskrise treibt auch die Haushalte der 12.000 deutschen Städte und Gemeinden ins Defizit. Voriges Jahr betrug der Fehlbetrag der Kommunen vier Milliarden Euro, dieser negative Trend wird anhalten. Dabei hatten Deutschlands Städte und Gemeinden 2008 mit einem Saldo von plus 7,6 Milliarden Euro noch schwarze Zahlen geschrieben.

Hauptgrund für den Absturz dieser Haushalte sind Einbrüche bei den Steuereinnahmen im Zuge der Wirtschaftskrise. Zudem trifft der Anstieg der Ausgaben für Gesundheitswesen, Pflege, Kinderbetreuung und Schulwesen die Gemeinden hart. Die Kosten der Altenbetreuung erhöhen sich derzeit um sieben Prozent, bald jedoch um 20 Prozent jährlich.

Ausbruch aus der Spirale

Es ist ein Teufelskreis: Mit den Umsätzen sinkt die Steuerleistung von Firmen, worauf die Gemeinden wegen geringerer Einnahmen weniger Aufträge erteilen.

Sind Städte und Gemeinden also nur Opfer steigender Ausgaben und sinkender Steuereinnahmen?

Nicht ausschließlich. Auch sie haben lange über ihre Verhältnisse gelebt. Konkurrenz statt Kooperation unter den Kommunen hat teure Doppelstrukturen geschaffen. Für Finanzierungen wurden oft auch in den Gemeinden riskante Geschäfte abgeschlossen.

Was bedeutet das für die Bürger? Die Folgen spüren nahezu alle. Aufwendungen für Bildung und Kultur werden # wie meist in wirtschaftlichen Krisenzeiten # gestrichen oder zumindest stark gekürzt. Das örtliche Handwerk wird den Mangel an Gemeindeaufträgen spüren. Rund 60 Prozent der deutschen Gemeinden planen, kommunale Leistungen zu reduzieren. Gespart werden soll bei Schwimmbädern, Büchereien und Theatern, bei der Straßenbeleuchtung, bei der Jugend- und Seniorenbetreuung, beim Nahverkehrsangebot, beim Straßenbau oder bei den Kinder-Tagesbetreuungseinrichtungen. Gebühren und Steuern werden erhöht oder neu eingeführt. Auch beim Personal müssen die Kosten runter, Investitionspläne werden zusammengestrichen.

Diese Problematik wird durch die Landflucht verschärft, unter der gerade viele kleine Gemeinden leiden. Denn die Verteilung der Steuereinnahmen richtet sich nach der Anzahl der Gemeindebürger. Ziehen Bürger weg, sinken die Einnahmen der Gemeinden, was die Qualität kommunaler Infrastruktur mindert # und noch mehr Bürger in Zentralen abwandern lässt. Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel benachteiligt kleinere Gemeinden, die nur 696 Euro pro Einwohner erhalten, während Städte mit über 50.000 Einwohnern exakt 1.132 Euro für jeden Bürger erhalten.

Vorschläge zur Verbesserung der Lage liegen vor. Einer davon lautet #Interkommunale Zusammenarbeit#, etwa bei den Bau- und Wirtschaftshöfen, den Standesämtern, der Bau- und Personalverwaltung. In den vorliegenden Expertisen wird den Gemeinden dringend empfohlen, Aufgaben neu zu ordnen und auszulagern, die Organisation zu straffen. Gemeinsame Ausschreibungen könnten Kosten senken.

Städte und Gemeinden drängen etwa vorige Woche beim Gemeindetag in Graz zudem darauf, der Bund solle nicht ständig Aufgaben zu den Kommunen verlagern, für die er zuständig sei. Beispiele dafür seien Passwesen oder Kinderbetreuung.

Zentralisierung löst nichts

Die von Wirtschaftskreisen geforderte Zusammenlegung von Gemeinden und Reduktion des Föderalismus # und damit Stärkung zentralistischer Strukturen # ist ineffektiv und unintelligent. Gerade Unternehmer sollten daran interessiert sein, dass öffentliche Entscheidungsabläufe in ihrer Umgebung bürgernah, unbürokratisch und kostengünstiger stattfinden als in fernen Zentralen. Daher ist der Widerstand der Gemeindeorganisationen gegen gewaltsame Zusammenlegung richtig.

Es ergibt keinen Sinn, wenn durch die Erosion des Föderalismus und des Regionalismus die Bürgernähe verloren geht, während die Europäische Union nach mehr Bürgernähe sucht und diese über Propaganda in eigener Sache herstellen will. Mit ausufernder zentraler Steuerungsmacht unter dem Motto Effizienz sind die skizzierten Probleme nicht zu lösen.

Regionale und kommunale Selbstverwaltung sind tragende Säulen der parlamentarischen Demokratie. Wenn den Regionen und Kommunen durch Finanznot die Freiheit zur Entscheidung in eigenen Angelegenheiten genommen wird, dann folgt der Finanz- und der Wirtschaftskrise eine der Demokratie.

Debatte über öffentliche Services

Der Vortrag von Johannes Hahn, in der Europäischen Kommission zuständig für Regionalpolitik, ist am Montag, 20. September, der Auftakt der 6. Konferenz der Regionen und Städte, zu der das von Franz Schausberger geleitete Institut der Regionen Europas (IRE) nach Salzburg lädt. Hunderte Kommunalpolitiker, Beamte und Fachleute aus Dutzenden Ländern beraten über die Sicherung öffentlicher Dienstleistungen in der Zukunft. (C. R.)

Konferenz der Regionen und Städte

19. bis 21. September, Salzburg,

www.institut-ire.eu

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