Genialer Anführer der Hisbollah-Idee

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Vom Slumkind zur arabischen Kultfigur: Warum Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah

"allen in der arabischen Welt eine historische Lektion" erteilte.

Milde lächeln die dunklen Augen über dem üppigen, graumelierten Vollbart: Hassan Nasrallahs Konterfei ist allgegenwärtig im Nachkriegs-Libanon. Es ist das Gesicht des Widerstandes, der wiedergefundenen arabischen Würde. Frischgedruckte Plakate mit dem Porträt des Hisbollah-Chefs hängen an Ruinen, kleben auf Heckscheiben in Autos oder an Fenstern von Lebensmittelgeschäften. Der Name Nasrallah erlebt einen Boom in den Entbindungsstationen der Palästinensergebiete und anderswo in der arabischen Welt. Frischgebackene Eltern ehren mit diesem Namen ihre Neugeborenen. Die arabische Welt hat wieder einen Nationalhelden.

Gehetzt von israelischen Bomben und verteufelt als skrupelloser "Terrorchef", hat sich Hassan Nasrallah als brillanter Stratege und Politiker von eindrucksvollem Format erwiesen. Das gestehen ihm sogar seine Feinde zu. "Erfolgreiche Verteidigung ist Sieg", frohlockt der schiitische Geistliche. Während des 33-tägigen Krieges hatte er den seit Jahrzehnten durch die Unfähigkeit ihrer Führer und die israelisch-amerikanische Hegemonialpolitik gedemütigten arabischen Massen eingehämmert: "Durch die Bereitschaft zum Opfer, die Bereitschaft zum Leiden" würden sie "die verlorene Würde wiederfinden".

Israels Armee entmystifiziert

"Politisch wird Nasrallah herausgefordert werden", man werde ihn umwerben, opponieren und lange über ihn diskutieren, "doch was Organisation und Logistik betrifft, so hat er allen in der arabischen Welt eine historische Lektion erteilt", analysiert der Beiruter Daily Star. Nasrallahs größtes Verdienst ist in den Augen vieler Araber die "Entmystifizierung" der israelischen Armee. Weil Israel sein Kriegsziel - Zerschlagung oder Entwaffnung der Hisbollah - verfehlte, haben die israelischen Streitkräfte die Aura der Unbesiegbarkeit verloren. Hisbollah sei heute "die beste Guerillatruppe der Welt", meint ein libanesischer Experte. Selbst Israelis, wie Ex-Geheimagent Yossi Alpher, zollen Nasrallah Respekt: "Ein superber Führer - er ist klug, charismatisch und hat Mut."

Das "Hisbollah-Modell" wird zweifellos andere, ähnlich gesinnte Gruppen in der arabischen Welt inspirieren, zu straffer Führung, eiserner Disziplin, Unbestechlichkeit, Engagement, Effizienz und Mut, um überall dort einzuspringen, wo korrupte, autokratische und uncharismatische politische Führer versagen. Hisbollahs erfolgreiche Verteidigung wird - ungeachtet der schweren Zerstörungen des Libanons - radikalen Gruppen im gesamten Mittleren Osten Auftrieb geben.

Karriere ohnegleichen

Es ist der Höhepunkt einer höchst ungewöhnlichen Karriere - Nasrallahs starke Anziehungskraft ruht zu beträchtlichem Teil in seiner eigenen Lebensgeschichte und in seiner Persönlichkeit: Als ältestes von zehn Kindern eines armen Gemüsehändlers 1960 in den Slums von Beirut geboren, begann er mit 15 Jahren im irakischen Nadschaf das Studium der Theologie, wurde zwei Jahre später aus dem Land gejagt und setzte 1987 seine Studien in der heiligen Stadt der iranischen Schiiten, Qom, fort. Während er in Nadschaf und Qom enge Kontakte mit theologischen Führern der Schiiten knüpfte, baute er, jung, charismatisch und ein mitreißender Redner, im Libanon eine Anhängerschar junger Schiiten auf, die zunehmend Führung bei ihm suchten. So spielte er auch eine wichtige Rolle bei der Gründung der Hisbollah 1985. Er nahm aktiv an den Bürgerkriegskämpfen im Libanon teil und wurde auch verwundet. Sein persönliches Engagement sichert ihm bis heute die absolute Loyalität seiner Kämpfer.

Nachdem die Israelis 1992 den kurz zuvor neu ernannten Generalsekretär der Hisbollah und Mentor Nasrallahs, Abbas al Musawi, ermordet hatten, übernahm der erst 32-jährige Geistliche die Führung der Organisation. Er verdankte diesen ungewöhnlichen, die Hisbollah-Hierarchie ignorierenden Aufstieg der direkten Intervention der iranischen Führer Khamenei und Rafsandschani.

Seine neue Karriere begann er mit patriotischen Brandreden und dem Schwur, den Feind, wenn dieser ihn konfrontiere, im Kampf - und nicht in der Diplomatie - zu besiegen. Er verkündete blutige Vergeltung für den Mord an Musawi, wenige Wochen später explodierte vor der israelischen Botschaft in Buenos Aires eine Bombe. 29 Menschen wurden getötet. Nasrallah allerdings leugnet jede Verantwortung für diesen Terrorakt.

Aus seinem Hass auf Israel und dessen Schutzmacht usa machte er nie ein Hehl. Doch gegenüber seinen libanesischen Mitbürgern erwies sich Nasrallah, seit er die Hisbollah 1992 in Parlamentswahlen führte, als kluger politischer Taktiker. Er baute Hisbollah auch zu einer politischen und sozialen Organisation auf, die sich der Bedürfnisse der im Libanon traditionell vernachlässigten Schiiten annimmt, Spitäler und Schulen baut und führt. Für viele Schiiten ist Nasrallah schon lange ihre so lange nicht gehörte Stimme im Staat.

Als Staatsmann profiliert

Dabei bemühte sich der Geistliche stets um nationalen Konsens. Übereifrige Widerstandskämpfer wies er nach eigenen Aussagen einmal mit den Worten zurecht: "Unsere Sorge gilt der Nation, dem Wohl des Staates." Und als "Staatsmann", der sich um nationale Einheit in der Stunde der Not sorge, würdigt auch der Daily Star Nasrallah, dessen jüngste, von Verantwortung getragene Fernsehreden sich positiv von jenen anderer libanesischer Politiker abgehoben hätten.

Nasrallah stimmte dem uno-Waffenstillstand zu, obwohl die Resolution eine Entwaffnung seiner Organisation vorsieht. Und in Sorge um das gute Einvernehmen mit den anderen politischen Gruppen im Libanon wies er energisch die jüngste Kritik des syrischen Präsidenten Assad an der antisyrischen Parlamentsmehrheit in Beirut zurück. Nasrallah will es sich mit diesem Block nicht verscherzen, hofft er doch offensichtlich, seine neugewonnene Stärke politisch in mehr Macht für die diskriminierten libanesischen Schiiten (fast 50 Prozent der Bevölkerung) umzumünzen. Doch von der von Israel und den usa geforderten Entwaffnung seiner Hisbollah will Nasrallah nichts wissen. Der Zeitpunkt sei jetzt der falsche, argumentiert er, eine solche Debatte wäre sogar "unmoralisch", denn wer würde schließlich den Libanon bei einem erneuten israelischen Angriff verteidigen - eine Frage, die viele Libanesen überzeugt.

Nach Ende der Kampfhandlungen schafft es Nasrallah jetzt, seine militärischen Erfolge in politische umzumünzen, indem er tatkräftige Hilfe für den Wiederaufbau organisiert. Familien, die ihr Heim verloren haben, gleichgültig welcher Religion sie angehören, erhalten im Schnitt 12.000 Dollar für die Miete eines Jahres, bis Hisbollah das Haus neu errichtet hat. Nasrallah profiliert sich als Wohltäter, der Verzweifelte schon während des Krieges beruhigte, dass er sie nicht im Stich lassen werde. Im Wettlauf um die Seelen der Menschen gewinnt er damit enormen Vorsprung vor der bisher völlig abwesenden Regierung. Alle verstehen die Botschaft: "Der Staat sind wir."

Die enormen Summen, die dafür nötig sind, werden nur zu einem Teil aus iranischen Hilfsgeldern gespeist. Nasrallah hat sich geschickt seine eigenen Finanzquellen geschaffen, durch die religiös vorgeschriebene sozialen Steuern, durch großzügige Spenden reicher libanesischer Schiiten und durch kluge Veranlagung der Gelder. Nasrallah hat sich nicht zuletzt auch dadurch mehr Eigenständigkeit geschaffen. Zwar hat der Iran die Hisbollah militärisch aufgebaut und gestärkt, doch im Guerillakampf wie in anderen Bereichen haben die Berater aus dem "Gottesstaat" der Hisbollah nichts mehr zu lehren.

Vor Erniedrigung bewahren

Sogar der Iraner und Hisbollah-Mitgebründer Ali Akbar Mohtashemi erkennt: Nasrallah und seine Männer seien "Studenten, die bereits ihre Lehrmeister übertreffen". Und im arabischen Fernsehsender Al Jazeera gestand Nasrallah zu Kriegsbeginn offen: "Keine syrische oder iranische Persönlichkeit hatte Informationen (über Hisbollahs Strategie). Ich habe sie nicht informiert und niemanden konsultiert. Wir sind eine Widerstandsgruppe, die auf libanesischem Boden operiert." Selbst Angehörige des israelischen Geheimdienstes konnten keinerlei Hinweise auf iranische oder syrische Verwicklung in diesem Krieg feststellen.

Die Botschaft ist klar: Trotz des strategischen Bundes mit Damaskus und Teheran wird Hisbollah zunehmend eigenständig agieren. Nasrallah sieht seinen Kampf dennoch als Teil eines Krieges um die politische Identität des Mittleren Ostens: Sollte der Widerstand (im Libanon und in Palästina) zusammenbrechen, "so versinkt die ganze arabische Welt mit ihren Regierungen und Völkern in ewiger Erniedrigung. Die Arroganz Israels und Amerikas, Einmischung und Plünderung" würden noch mehr zunehmen.

Die Problematik fasst der langjährige UN-Berater im Libanon, Timur Goksel, so zusammen: "Man kann Hisbollah nicht zerstören, denn sie ist eine Idee, nicht nur eine Miliz. Wenn man versucht, sie zu vernichten, wird sie nur noch radikaler. In dieser Weltgegend ist es enorm wichtig, Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln. Man darf Hisbollah nicht marginalisieren, nicht dämonisieren. Man muss direkt mit ihr reden."

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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