Gerichtsvollzieher als Krisenlöser?

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Europa wäre gut beraten, politische Nationalismen hintanzustellen und endlich gemeinschaftlich zu handeln. Einige Vorschläge, um die Schuldenspirale der Eurostaaten effektiv zu beenden. Ein Gastkommentar.

Mit ungläubigem Staunen verfolgt die Öffentlichkeit seit Monaten, wie die mit Steuermilliarden geretteten Finanzmarktakteure europäische Staaten aufgrund ihrer hohen Verschuldung unter Druck setzen. Konnten die jetzigen Krisenländer ihre Schuldenquoten in den Jahren vor der Finanzkrise stabilisieren oder verringern, wurden für die Bankenrettung EU-weit zwölf Prozent des BIP ausgegeben. Wer sich ob dieser Logik nur in einem schlechten Traum wähnt, lebt nicht in Griechenland oder Portugal. Die Griechenland verordneten Sparprogramme auf Kosten von Arbeitnehmern, Pensionisten, Sozialleistungen und öffentlicher Infrastruktur zählen zu den radikalsten in der nicht unbedingt durch Moderatheit geprägten Geschichte der IWF. Dabei soll "Wettbewerbsfähigkeit“ durch eine Verringerung der Löhne und Preise, wiederhergestellt werden. Das Resultat ist bekannt: eine tiefe Rezession, welche die griechische Produktion weder wettbewerbsfähig macht noch eine Schuldenreduktion ermöglicht.

Mangelnde Einsicht

Eingestehen kann das die europäische Politik aus drei Gründen nicht: Eine Entschuldung Griechenlands würde möglicherweise zu noch höheren Risikoprämien für andere Länder führen. Zweitens weiß niemand genau, in welchem Ausmaß die Finanzakteure mit Kreditausfallsversicherungen (CDS) auf eine Staatsinsolvenz spekulieren. Drittens gibt es innenpolitische Widerstände aufgrund europäischer Nationalismen. Wer monatelang das Märchen erzählt, die anderen würden "über ihre Verhältnisse“ leben, wird die WählerInnen mit einem Solidaritäts-Aufruf nicht begeistern. Tatsächlich werden die hohen Leistungsbilanzdefizite Griechenlands aber durch das Lohndumping der "Exportweltmeister“ wie Deutschland oder Österreich verursacht. Wie die Lohnentwicklung der letzten Jahre beweist, leben unsere Länder seit Jahren unter ihren Verhältnissen. Schwache Binnennachfrage wird ersetzt durch Exportorientierung. Das aber kann in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum logischerweise nur auf Kosten der Nachbarn gehen. Das bedeutet nicht, die Augen vor strukturellen Problemen Griechenlands zu verschließen.

Was wäre also zu tun? Um die Schuldenspirale effektiv zu beenden dürfen Zinssätze für Staatsanleihen nicht länger von "den Märkten“ diktiert werden.

Umgesetzt werden kann das durch die Ausgabe von europäischen Staatsanleihen, deren Zinssätze unterhalb der nominellen Wachstumsrate aber über Sparbuch-Zinsen liegen.

Seit Jahren überfällig sind Attac-Forderungen: Finanzmärkte regulieren, besteuern und schrumpfen, systemrelevante Banken zerteilen und den Sektor an den Kosten beteiligen. Eine - grundsätzlich erfreuliche - EU-Finanztransaktionssteuer soll laut Kommission erst "spätestens 2018“ kommen und aufgrund geringer Bemessungsgrundlage nur 30 Milliarden anstatt möglicher 300 Milliarden (laut WIFO-Studie) einbringen.

Mittelfristig können nur eine koordinierte Industriepolitik, eine Steuerpolitik mit Mindestsätzen bei Unternehmens-, Kapitalertrags- und Vermögenssteuern sowie Maßnahmen, die Leistungsbilanzen ausgleichen, das wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht in der EU wiederherstellen. Dazu gehören kräftige Lohnsteigerungen in jenen Ländern (v. a. Deutschland und Österreich), die in den letzten Jahren so zurückhaltend waren, um dort die Nachfrage zu stärken. Mit den derzeit - nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit - verhandelten Plänen für eine umfassende europäische wirtschaftspolitische Koordination ("Economic Governance“) beweisen die Eliten aber, dass sie weiterhin die strukturellen Ursachen der Krise ausblenden.

Bedenkliche Entwicklungen

Die geplante "Zurückhaltung“ bei Löhnen und Sozialleistungen, ein Abbau der öffentlichen Dienste, niedrigere Steuern für große Unternehmen und Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte werden die Krise verschärfen. Offen ist noch, ob die demokratisch kaum legitimierte Kommission via Strafsanktionen weitreichende Eingriffsrechte in die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten bekommen soll. Dabei ist es schon jetzt demokratiepolitisch höchst bedenklich, wenn EU, IWF und EZB in Gestalt eines Gerichtsvollziehers auftreten, welcher öffentliches Eigentum an private Investoren verscherbelt.

Die hunderttausenden Menschen auf Europas Straßen wissen, dass dies die Krise so wenig lösen wird wie weitere ihnen abverlangte Opfer.

* Die Autoren sind Gründungsmitglieder von Attac Österreich

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