"Gewaltlosigkeit ist nicht nur eine Strategie"

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Gewaltlosigkeit ist auch das Programm, dem sich der Enkel Mahatma Gandhis verschrieben hat. In Indien findet diese Art der Problemlösung derzeit allerdings kaum Anwendung, wie Arun Gandhi in einem Gespräch über die Situation des Subkontinents feststellt. asdasdasd

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Gewaltlosigkeit ist auch das Programm, dem sich der Enkel Mahatma Gandhis verschrieben hat. In Indien findet diese Art der Problemlösung derzeit allerdings kaum Anwendung, wie Arun Gandhi in einem Gespräch über die Situation des Subkontinents feststellt. asdasdasd

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dieFurche: Herr Gandhi, Sie setzen sich seit Jahren für die Gewaltlosigkeit ein.

Arun Ghandi: Meine Frau und ich haben über 30 Jahre versucht, sozial und wirtschaftlich unterdrückten Menschen in Indien mit Mahatma Gandhis Philosophie der Gewaltlosigkeit zu helfen. Das Programm war sehr erfolgreich. Die Menschen, denen wir einst halfen, helfen jetzt anderen. Wir gingen in die USA, um eine vergleichende Studie über rassistische Vorurteile in Amerika, Kasten-Vorurteile in Indien und das Apartheidsystem in Südafrika zu erstellen. Seit 1991 haben wir ein Institut in Memphis, Tennessee und halten Vorträge in der ganzen Welt.

dieFurche: Ist es möglich auf diese Art Menschen zu verändern? Kommen zu ihren Vorträgen nicht nur jene, die ihrer Philosophie ohnehin interessiert gegenüberstehen?

Ghandi: Viele kommen einfach aus Neugierde zu unseren Vorträgen. Wir zeigen ihnen anhand von Beispielen, wie Gewaltlosigkeit funktionieren kann. Auf diese Weise haben wir in den USA viele Menschen erreicht - vor allem Jugendliche, die nach alternativen Handlungsmodellen suchen.

dieFurche: Haben gewaltlose Strategien auch in der Politik eine Chance?

Ghandi: Sie haben keine Chance, wenn wir sie nur als Strategien betrachten. Gewaltlosigkeit ist nicht bloß der Verzicht auf physische Gewalt. Die Abwesenheit von Krieg bedeutet noch lange nicht Frieden. Gewaltlosigkeit bedeutet Liebe, Verständnis, Mitgefühl füreinander - basierend auf Ehrlichkeit. Heutzutage sind wir leider alle in unserem Materialismus gefangen und kümmern uns nicht mehr umeinander. Von Kindheit an wird uns beigebracht, nur an uns selbst zu denken und nicht an andere. Das ist der Grund für all unsere Konflikte. Doch wir können das verändern, wenn wir unsere Beziehungen auf Liebe und Verständnis zu allen Menschen aufbauen.

dieFurche: Im letzten Jahr kam es in Indien immer wieder zu Konflikten: Fundamentalistische Hindus haben Christen und Muslime angegriffen. Was steckt hinter diesen Konflikten?

Ghandi: Indien ist, nachdem es 1947 unabhängig wurde, nicht der Philosophie der Gewaltlosigkeit gefolgt, sondern schuf dieselben Systeme wie alle anderen Staaten der Welt. Daß die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Armen und Reichen hier so groß ist, hat die Probleme noch angeheizt. Und Politiker, die um ihre Macht fürchten, nützen diese Konflikte zusätzlich für ihre Zwecke. Als die Briten Indien regierten, praktizierten sie ein System von "teile und herrsche". Sie ermutigten die fundamentalistischen Hindus zu kämpfen, unterstützen die Teilung der Gesellschaft in Kasten. Denn wenn die Menschen in Indien gegeneinander kämpften, konnten sie sich nicht mit anderen Problemen beschäftigen und die Regierung konnte sie besser kontrollieren. Die Regierung des unabhängigen Indien praktiziert nun dieselbe Strategie.

dieFurche: Und die Verfolgung der Christen in Indien?

Ghandi: Die Christen sind in Indien eine sehr kleine Minderheit von nur 2,4 Prozent der Bevölkerung. Als die fanatischen Hindu-Fundamentalisten begannen, mit den Muslimen zu kämpfen, die zwölf Prozent darstellen, setzten sich diese zur Wehr. Daher verlagerten die Fundamentalisten ihre Feindseligkeiten auf die viel kleinere Gruppe der Christen. In den meisten Fällen leben in Indien Hindus, Muslime und Christen und alle anderen religiösen Gruppen friedlich zusammen. Konflikte treten nur dort auf, wo Politiker daraus Kapital schlagen.

dieFurche: Der Erzbischof von Delhi hat berichtet, die Konflikte hätten sich verstärkt, seit die fundamentalistische BJP-Partei an der Macht ist. Nun stehen im Herbst in Indien Neuwahlen ins Haus. Wird das die Lage ändern, und was werden die Wahlen im Herbst Ihrer Meinung nach bringen?

Ghandi: Hoffentlich nicht die fundamentalistische Hindu-Partei BJP wieder an die Macht. Wir wollen eine Partei, die säkularer und offener ist. Leider sehe ich im Moment keine, die fähig wäre, eine stabile Regierung zu schaffen. Es gibt viele kleine, regionale Gruppen. Jede will mehr Macht. Daher gibt es wenig Stabilität. Ich fürchte, das wird noch eine Zeitlang so weitergehen. Es ist zum Teil eine Folge davon, daß die Kongreßpartei seit der Unabhängigkeit Indiens die politische Szene dominiert hat. Es war in Wirklichkeit eine Ein-Parteien-Demokratie, man könnte sogar sagen: eine Ein-Familien-Dynastie. Nun hat diese Partei ihren Einfluß auf die Leute verloren. Sollte ein Staat mit 980 Millionen Menschen politisch wirklich von einer einzigen Familie abhängen?

dieFurche: Es gibt immer wieder Stimmen, die behaupten, die Christen seien selbst nicht ganz unschuldig an den jüngsten Konflikten mit fundamentalistischen Hindus. Denn sie hätten in der Vergangenheit häufig versucht, Hindus mit unlauteren Mitteln zur Konversion zum Christentum zu bewegen, etwa durch Drohungen oder Geschenke.

Ghandi: Die Christen und Muslime kamen nach Indien, um die Leute hier zu ihrer Religion zu bekehren. Sie wollten nicht einfach mit den Menschen hier zusammenleben. In Indien sind rund 80 Prozent der Menschen hinduisitisch. Wenn Menschen, die den Hinduismus ablehnen, anderen Geschenke anbieten, um sie zum Christentum oder zum Islam zu bekehren, dann löst das viele unangenehme Fragen aus. Auf der anderen Seite wirft es nicht gerade ein gutes Licht auf den Hinduismus und die Indische Regierung, daß 50 Jahre nach der Unabhängigkeit Indiens noch immer manche Menschen so arm sind, daß sie für fünf Pfund Reis zum Christentum übertreten. Was wir tun müssen ist, diesen Menschen eine ökonomische Basis geben. Aber statt dessen nehmen die Fundamentalisten eine Kleinigkeit zum Anlaß und machen eine große Sache daraus.

dieFurche: Ist nicht ein wichtiger Aspekt, daß viele Christen der niedrigsten Kaste der sogenannten "Unberührbaren" angehören? Welche Rolle spielt das Kastenwesen im heutigen Indien?

Ghandi: Im Grunde existiert das Kastenwesen noch immer im heutigen Indien. Das einzige was die Indische Regierung getan hat, war, die Diskriminierung aufgrund der Kaste, der Herkunft und des Geschlechts für illegal zu erklärten. Das Problem dabei ist, daß die Beweislast bei Fällen von Diskriminierung beim Opfer liegt. Im Normalfall sind die Opfer sehr arm, sehr ungebildet, in den meisten Fällen kennen sie nicht einmal die Gesetze genau. Meist sind es ihre Arbeitgeber, die sie diskriminieren und von denen sie wirtschaftlich abhängig sind. So wird nur ein minimaler Prozentsatz der Fälle von Diskriminierung tatsächlich angezeigt. Unsere einzige Chance ist, den Menschen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Aber ganz werden wir das Kastensystem wohl nie abschaffen können, weil solche Systeme in jeder Gesellschaft existieren, auch hier in Österreich oder in den USA.

dieFurche: Vor kurzem beging Indien den ersten Jahrestag seiner umstrittenen Atomtests in der Wüste von Rajasthan. Die indische Regierung hat die Explosionen als "technologischen Meilenstein" gelobt, während Kritiker meinen, die Atomtests hätten weder Indiens Sicherheit noch dem Frieden in der Region gedient. Noch im April hatte die Indische Regierung angekündigt, den internationalen Atomteststoppvertrag zu ratifizieren. Anfang Mai dagegen hat Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee erklärt, sein Land werde keine Verträge unterschreiben, die einen Verzicht auf Atomtests oder die Herstellung von Atomwaffen zum Ziel hätten.

Ghandi: Als Indien 1947 die Unabhängigkeit erlangte, schuf es eine demokratische Konstitution, auch ein Justizsystem, das dem anderer demokratischer Länder sehr ähnlich ist. Auch die Menschenrechtsberichte über Indien sind im großen und ganzen recht akzeptabel. Die Menschen hier haben gehofft, daß nach der Unabhängigkeit jene Staaten, denen die Demokratie ein Anliegen ist, Indien bei der Lösung seiner Probleme unterstützt würden. Doch statt wirklicher substantieller Hilfe bekam Indien nur Herablassung und Spott. Die westlichen Medien berichteten nur über die negativen Aspekte des Landes, die Armut, die Obdachlosigkeit und den Hunger. Auf der anderen Seite haben wir China. China war nie eine Demokratie, hatte nie ein vergleichbares Justizsystem wie Indien. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in China sind erschütternd. Auch in China gab es immer viele Probleme: Armut, Hunger, Konflikte. Auch China hat Atomwaffen entwickelt und im Gegensatz zu Indien sogar Handel damit getrieben, aber niemand beklagt sich darüber bei China. China wird respektiert, es spielt eine wichtige Rolle in den Vereinten Nationen. Nun sagt sich Indien: Wenn China so respektiert wird und der Westen Milliarden in diesen Land investiert, warum sollen wir dann demokratisch sein, und freundlich dem Westen gegenüber und nichts dafür bekommen? Was China kann, können wir auch: Wir können Atomwaffen entwickeln und so Druck auf den Westen ausüben, um seine Hilfe zu erzwingen.

Das Gespräch führte Alexandra Mantler-Felnhofer.

Zur Person Ex-Journalist und Menschenrechtler Arun Gandhi wurde 1934 geboren und verbrachte die ersten 23 Lebensjahre in Südafrika. Dort leiteten seine Eltern den von seinem Großvater Mahatma Ghandi gegründeten Phönix-Ashram. Mit 12 Jahren verbrachte Arun ein Jahr in Indien bei seinem Großvater. Damals lernte Arun Mahatma Gandhis gewaltfreien Kampf am Höhepunkt des Unabhängigkeitskampfes aus nächster Nähe kennen. Ab 1956 arbeitete er in Indien als Journalist. Später übernahm er die Herausgabe des Magazins "Imprint", einer Zeitschrift für politische und kulturelle Probleme Indiens. 1958 heiratete er Sunanda, eine Beraterin für mißhandelte Frauen. 1987 übersiedelten beide in die USA, wo sie das M. K. Gandhi Institute for Nonviolence gründeten.

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