Die EU versucht beim Lateinamerikagipfel, Vorteile für die europäischen Unternehmen zu erreichen. Wirkliche Probleme werden ausgeklammert.
Der Putsch in Honduras hätte auch fast ein Jahr später noch einen diplomatischen Eklat ausgelöst. Acht von zehn südamerikanischen Staatschefs wollten den großen EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid boykottieren, wenn auch der neue Präsident des zentralamerikanischen Kleinstaates, Porfirio Lobo, eingeladen würde. Die EU hatte Lobo tatsächlich eingeladen. Doch die meisten Staaten Südamerikas hätten angesichts der fortdauernden Verfolgung von Oppositionellen und der Ermordung kritischer Journalisten ihr Kommen verweigert. Die diplomatische Katastrophe für die EU konnte nur verhindert werden, weil Lobo dem Rat folgte, zu Hause zu bleiben.
Seit über zehn Jahren treffen sich die Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und der Karibik regelmäßig mit den Amtskollegen aus der EU. So auch am 17. und 18. Mai in Madrid. Doch die Hoffnung auf politisch Herzeigbares ist gering.
Zu jedem Gipfel gibt es einen Alternativgipfel. Unter dem Motto Enlazando Alternativas – Alternativen vernetzen – diskutieren ab 14. Mai die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Themen, die ihrer Meinung nach auf den offiziellen Treffen zu kurz kommen oder von der falschen Perspektive angegangen werden. Da gibt es Foren über Menschenrechte, Workshops über Ernährungssouveränität statt großflächigem Anbau von Exportprodukten, Kulturveranstaltungen und ein Tribunal der Völker, bei dem über das Verhalten europäischer transnationaler Konzerne zu Gericht gesessen wird.
Übergreifendes Thema des offiziellen Treffens in Madrid ist die Technologie. Die heiklen Themen werden ausgelagert: das vorläufige Scheitern des Assoziationsabkommens mit Zentralamerika und der weitere Umgang mit Honduras.
Das Assoziationsabkommen mit Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica wird erst einen Tag nach dem offiziellen Gipfel verhandelt. Kritiker meinen, dabei ginge es um die Öffnung der jeweiligen Dienstleistungssektoren für europäische Konzerne; den sicheren Zugang zu den südamerikanischen Bodenschätzen, den Urheberrechtsschutz zu Gunsten der Konzerne, die Verbesserung des Schutzes von Investitionen aus Europa und Beseitigung von Zollschranken.
Proteste der Zivilgesellschaft
Von der Zivilgesellschaft wird dieses Abkommen, das von den zentralamerikanischen Regierungen angestrebt wird, heftig bekämpft. CIFCA, eine Plattform entwicklungspolitisch engagierter katholischer Organisationen hat eine Dokumentation veröffentlicht, die nachweist, wie solche Unternehmen die Menschenrechte verletzten. Der Anwalt Luis Guillermo Pérez Casas, Geschäftsführer von CIFCA, greift den Fall der spanischen Union Fenosa heraus, die in Guatemala und Nicaragua die Stromversorgung übernommen hat. Zuerst werden die Tarife erhöht und dann geht man gegen Menschen vor, die den Strom illegal abzapfen. Pérez Casas: „Fenosa installiert Akkumulatoren, damit Leute, die das Netz anzapfen, einen starken Stromschlag bekommen. Daran sind mehrere bereits gestorben.“
Raül Romeva von den spanischen Grünen und EU-Abgeordneter: „Ich sehe ganz klar das Interesse europäischer Konzerne, sich in Zentralamerika an Ausschreibungen zu beteiligen. Was ich weniger deutlich sehe, ist, dass es zentralamerikanische Unternehmen gibt, die in Europa konkurrenzfähig wären.“
Diese klare Asymmetrie zugunsten der Europäer soll durch verstärkte Entwicklungsgelder ausgeglichen werden. Doch Europa hat sich den freien Zugang zu den Märkten für seine Molkereiprodukte und Fleisch gesichert, was befürchten lässt, dass man zur alten Politik der Ausfuhr von Überschussproduktion zurückkehren will und damit mittelfristig zumindest die regionale Milchwirtschaft ruiniert.
Spanien machte Dampf, dass dieses Dokument in Madrid schon abgesegnet werden könnte. Doch Ende April sind die Verhandlungen in Brüssel festgefahren. Auch das Abkommen mit der Andengruppe kommt nicht in vollem Umfang zustande. Denn die linken Regierungen in Bolivien und Ecuador wollten das wirtschaftliche Ungleichgewicht stärker berücksichtigt haben und ihre Märkte nicht unbeschränkt öffnen. Das stieß bei den europäischen Freihandelsstrategen auf wenig Gegenliebe. Also zogen sich Bolivien und Ecuador ganz zurück. Ein Freihandelsabkommen wird es jetzt nur mit Peru und Kolumbien geben.
Der Alternativgipfel greift die Philosophie der indianisch beeinflussten Regierungen von Bolivien und Ecuador auf, die der Wachstumsideologie eine Absage erteilen. Gustavo Hernández, der in Brüssel ein Netzwerk der Europa-Andengruppe koordiniert, sieht darin einen entscheidenden Perspektivenwechsel, der das 21. Jahrhundert prägen werde: „Wir wollen nicht besser leben. Das ist die Entwicklungsideologie. Besser leben geht zulasten der Menschen oder zulasten der Umwelt. Wir wollen gut leben.“
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