Stacheldraht Gefängnis - ©  ErikaWittlieb / Pixabay

Guantánamo und der Fall Murat Kurnaz:"Glaubt mir: Ich habe dort nichts angestellt"

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Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke konnte nicht ahnen, welche Dimensionen der Fall annehmen wird, als eine besorgte Mutter zu ihm kam und sagte: "Mein Sohn ist Häftling JJJFA in Guantánamo Bay."

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Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke konnte nicht ahnen, welche Dimensionen der Fall annehmen wird, als eine besorgte Mutter zu ihm kam und sagte: "Mein Sohn ist Häftling JJJFA in Guantánamo Bay."

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Ein Anwalt, der seinen Mandanten nur aus Erzählungen und von Bildern kennt. Und ein Gefangener, der bis vor kurzem gar nicht wusste, dass er überhaupt einen Verteidiger hat - "surreal und kafkaesk" nennt Rechtsanwalt Bernhard Docke diese Situation, in der sich er und Murat Kurnaz befinden. Unter der Bezeichnung "Bremer Taliban" hat es Kurnaz zu überregionaler Bekanntheit gebracht, und Docke vertritt den einzigen Gefangenen aus Deutschland im US-Gefangenenlager in Guantánamo. Oder besser gesagt: Er versucht es. Denn für die amerikanische Regierung haben die derzeit noch etwa 550 Gefangenen den Status von "feindlichen Kämpfern", denen die Mindestrechte für Straf- oder Kriegsgefangene verweigert werden.

"Das ist wie eine Zeitreise ins Mittelalter, wo es noch keine Menschenrechte gab und wo man sich mit absoluten Herrschern herumschlagen musste", sagt Docke. Alles, was ein Anwalt normalerweise für einen Festgenommenen unternimmt, wird ihm hier verweigert: kein Besuchsrecht, keine Korrespondenz, nicht einmal Telefongespräche. Auf Dockes Schreibtisch in seinem Bremer Anwaltsbüro liegt "Das große Lesebuch" von Alfred Polgar und irgendwo in dem Büchlein des Wiener Essayisten findet sich der Satz: "Der Idealist geht glatt durch Wände und stößt sich wund an der Luft." Rechtsanwalt Docke ist Idealist - spätestens als er vom "inneren Feuer" spricht, das ihn antreibt, gegen dieses "Unrechtslager in der Karibik" anzukämpfen, gibt er sich als solcher zu erkennen. Und wund stößt er sich an pseudo-gesetzlichen Mauern, die sich so unerschütterlich zeigen wie Luft.

Im "karibischen Gulag"

"Ich konnte ja nicht ahnen, welche Dimensionen dieser Fall annimmt", blickt Docke zurück zu dem Tag im Frühjahr vor zwei Jahren als Rabiye Kurnaz in der Tür des für seine guten Amerika-Kontakte bekannten Anwalts stand und um Rechtshilfe für ihren Sohn anfragte. Am 3. Oktober 2001 war der 19-jährige Bremer Schiffsbaulehrling Murat Kurnaz von daheim abgehauen. Von unterwegs hat er noch einmal seine Mutter angerufen und ihr versprochen, bis zum Abend wieder nach Hause zu kommen. Dann war Funkstille, drei Monate lang, bis die Polizei beim Reihenhaus der Familie Kurnaz anläutete - mit einer guten und einer schlechten Nachricht: "Murat lebt, aber er ist ein Häftling in Guantánamo."

Angefangen hat Murat Kurnaz' Weg ins karibische "US-Gulag" (© New York Times) eine Viertelstunde Gehzeit von Dockes Anwaltsbüro in der Bremer Altstadt entfernt: "Islamisches Kulturzentrum e.V." steht über dem Eingang des zweigeschoßigen Flachdachbaus an einer mehrspurigen Ausfallstraße der Hansestadt. Das Haus sieht aus wie eine Lagerhalle, doch hinter dem rissigen Putz und den Milchglasscheiben verbirgt sich die Abu-Bakr-Moschee. Ein aufgestelltes Brett am Boden signalisiert dem Besucher, die Schuhe auszuziehen. Nach wenigen Metern in einem dunklen Flur öffnet sich ein Gebetsraum in der Größe eines Turnsaals. Abgewetzter hellblauer Spannteppich - auf ihm ist Murat Kurnaz gesessen, hat er hier den Entschluss gefasst, nach Pakistan aufzubrechen?

Vollbart her, Keyboard weg

"Murat wollte seine Religion besser kennen lernen", sagt seine Mutter, eine Türkin, die mit dreizehn Jahren nach Deutschland gekommen ist und es mit ihrem Mann, einem Schweißer in der Nachtschicht bei DaimlerChrysler, zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat. "Kannst du ja auch", habe sie ihm geantwortet, erzählt Rabiye Kurnaz der Furche: "Ich habe mir gedacht, das ist doch viel besser, als wenn er irgendwo in der Stadt herumlungert." Mit seinem Freund Selçuk wechselte Murat Anfang 2001 von der Moschee, die er seit Kindertagen mit Vater und Brüdern besucht hat, zu den "Arabischen" in die Abu-Bakr-Moschee. Er ließ sich einen Bart wachsen, "wegen dem Propheten", fing an Arabisch zu lernen, hörte Tonbänder mit Koran-Suren, hängte Diesel-Jacke, Gitarre und Keyboard an den Nagel und lästerte über den bürgerlichen Lebenswandel der Eltern. Als Murat am Abend vor seinem Verschwinden nach Hause kam, schien alles wie immer: Er ging in die Küche, küsste seine Mutter, machte ihr Komplimente und spielte dann noch ein wenig mit seinen Brüdern - aber am nächsten Morgen war er weg.

Zurück blieb Murats Reisebegleiter Selçuk: Bei der Passkontrolle am Flughafen wurde er festgenommen, weil er einmal eine Geldstrafe - sein Hund hatte einen Passanten gebissen - nicht bezahlt hat. Und Murat? Der war unterwegs nach Pakistan, "um den Koran zu lernen", ein Ticket für den Rückflug nach vier Wochen in der Tasche. Aus dem Monat wurden mehr als drei Jahre - und noch ist kein Ende seiner Odyssee abzusehen: Denn obwohl der Oberste Gerichtshof im Juni dieses Jahres den Gefangenen in Guantánamo das Recht auf Haftprüfung und anderen gesetzlichen Schutz zugesprochen hat, "ist in den USA keine rechtsstaatliche Läuterung eingetreten", klagt Rechtsanwalt Docke: "Wir müssen nach wie vor um jeden Zentimeter kämpfen."

Robinson Crusoe

Ende Oktober ist Docke aber ein Etappensieg gelungen: Er konnte erreichen, dass Baher Azmy, ein New Yorker Anwaltskollege, Murat besuchen durfte - einem ausländischen Anwalt verbieten die Sicherheitsauflagen jeglichen Häftlingskontakt. "Die fürchten sich, dass wir uns nicht an die restriktiven Auflagen halten", erklärt Docke und sein Schmunzeln verrät, dass die Amerikaner diese Befürchtung nicht ganz zu Unrecht hegen. 20 Stunden durfte Azmy mit dem Bremer Gefangenen verbringen: Murat sitzt, bis auf eine Viertelstunde Ausgang, den ganzen Tag in einem engen Stahlcontainer. Zudem werden ihm jegliche Informationen über die Außenwelt vorenthalten, beschreibt Azmy seine Eindrücke: "Ein moderner Robinson Crusoe, der nicht einmal etwas über den Irak-Krieg wusste." Trotzdem sei Murat in guter Verfassung, wirke gesund und stark. Sie konnten sogar gemeinsam lachen - "Galgenhumor", nennt das der Anwalt.

"Er kann stark aussehen, aber er hat sicher Probleme", reagiert Rabiye Kurnaz auf den Bericht aus Guantánamo. "Das geht nicht spurlos an einem vorbei", fürchtet die Mutter, und sie hat Angst, dass ihr Sohn einmal als "psychisch Kranker" heimkehrt. Was Murat dem Anwalt über Folter und Verhörmethoden erzählte, darf dieser nicht weitersagen. Anfang Dezember hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes die Zustände im Militärstützpunkt in scharfer Form kritisiert: So gäben die Ärzte in Guantánamo Daten über den Gesundheitszustand der Gefangenen an die Verhörspezialisten weiter, damit sich diese gezielter auf Befragungen vorbereiten können. Das Rote Kreuz spricht von einem System, das darauf angelegt sei, den Willen der Gefangenen zu brechen und sie völlig abhängig zu machen. Erniedrigende Akte, Verharren in unbequemen Positionen, Schläge, extreme Temperaturen, laute Musik ... - die Methoden würden "zunehmend verbessert und repressiver" eingesetzt, schreibt das Rote Kreuz und kommt zu dem Schluss: "ein System der Grausamkeit und eine Form der Folter."

"Es ist ein Skandal, dass das in einem Land mit einer so langen rechtsstaatlichen Tradition passiert", schimpft Bernhard Docke. Aus seinem Faible für die Vereinigten Staaten macht er kein Hehl: An den Wänden in seinem Büro hängen ausschließlich Bilder mit Ansichten aus den USA. Auch seine amerikanischen Freunde, erzählt Docke, "können es nicht fassen", was sich die Bush-Regierung mit Guantánamo leistet: "Das ist dermaßen unter jedem Niveau und die Anklage gegen Murat Kurnaz ist wie ein schlechter Witz", sagt der Anwalt: "In Österreich würde man sagen: Ein großer Schmarren!"

So hält die US-Justiz den an der Ausreise aus Deutschland gehinderten Freund von Murat Kurnaz für einen El-Kaida-Terroristen und späteren Selbstmordattentäter. Besagter Selçuk erfreut sich aber bester Gesundheit und ist "aus allen Wolken gefallen", als er mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde. Anwalt Docke wundert sich: "Warum wurden die deutschen Behörden nicht von dem angeblich so gefährlichen Terroristen und Selbstmordattentäter, der in Bremen frei herumläuft, gewarnt?"

Kontakte zu El Kaida?

Der zweite Vorwurf, den die US-Militärs gegen Murat vorbringen, lautet, er habe in Pakistan in Moscheen übernachtet, in denen auch El-Kaida-Gefolgsleute tätig waren. Einen Kontakt zwischen Murat und diesen Verdächtigen konnten die US-Behörden aber nicht nachweisen. Und auch die Ermittlungen gegen die "Arabischen" in der Bremer Abu-Bakr-Moschee wurden von der deutschen Polizei eingestellt: "Extremistisch relevante Dinge", sagt der zuständige Staatsanwalt, "haben wir nicht festgestellt."

Für Kopfgeld ausgeliefert

"Es ist ein erschreckend dünnes Beweismaterial dafür, dass jemand Jahre in dieser tropischen Hölle hockt", sagt Docke, der jetzt zumindest weiß, wie sein Mandant verhaftet wurde: Murat ist als einziger Ausländer in einem Bus aufgefallen, von der pakistanischen Polizei verhaftet und den Amerikanern übergeben worden. "Wir vermuten, dass Kopfgeld bezahlt wurde", meint Docke. Am 17. Dezember wird Docke vor dem Europarat für Murat Kurnaz und gegen Guantánamo sprechen und zu politischer Unterstützung für seinen Mandanten auffordern - "ein solches Unrecht macht mich immer wieder aufs Neue wütend", sagt er, "das weckt meinen Sportsgeist, da muss ich dagegenhalten."

Rabiye Kurnaz gibt sich mittlerweile schon weniger kämpferisch: Sie will nur weiterhin hoffen, dass "Murat wieder ein normales, ein neues Leben anfangen kann". Bis dahin bleibt der Mutter als einziges Lebenszeichen von ihrem Sohn eine Postkarte: "Liebe Eltern, ich hoffe, dass ich bald nach Hause kommen darf. Nur Gott weiß, wann das ist. Ihr müsst mir glauben, ich habe dort nichts angestellt. Ich vermisse euch, ich liebe euch und meine Brüder", gezeichnet Murat, Häftling JJJFA, 160 Camp X-Ray, im März 2002.

Initiativen gegen Guantánamo: www.ccr-ny.org

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