Grenzfall auf dem Weg zur Normalität

Werbung
Werbung
Werbung

Kärnten wählt am Sonntag seinen Landtag. Ein knappes Rennen steht bevor. Das Land selbst hat wirtschaftliche Probleme und verliert seine Sonderrolle.

Möchte-Gern-Freistaat, Staat im Staat, Staat am Rande des Staats … Erst vier Monate ist es her, dass Kärnten solche Einschätzungen erfuhr. Von den Meistern der Ferndiagnose am anderen Ende der Südautobahn. Dort, wo die roten Leopolde Gratz und Wagner einst das sehnsuchtsvolle „Nach Kärnten“ aufgestellt haben. Damals, als die Achse noch in Ordnung war – zwischen Villacher Fasching und dem echten Wiener, der nicht untergeht.

Provinzler allesamt. Der Wiener für Europa, der Kärntner für Österreich. Bis Jörg Haider kam. Seitdem steht ein Mikroskop über Kärnten, weil Österreich unter einer Lupe liegt. Die Beobachteten beobachten. Haider und Kärnten. Haider ist tot. Es lebe Kärnten. Die Wahl ist eine Qual für diesen Grenzfall auf dem Weg zur Normalität.

Ausgerechnet dort, wo das Land am urbansten ist, spielt das politische Spitzenpersonal am offensichtlichsten die Provinzposse. In Klagenfurt und Villach, Österreichs Metropolen des Faschingstreibens, nutzen die Volksvertreter jede Narretei zur Wahlwerbung. Damit der Unterschied zum Karneval erkennbar wird, plakatieren sie die wahre Natur Kärntens derart nieder, wie es noch kein anderes Bundesland aushalten musste.

Ein Unikum regiert Klagenfurt

In Klagenfurts City Arkaden ist das Samstag Mittag kein Thema. Im Einkaufszentrum diskutiert eine Elefantenrunde. Ohne Haider-Anklang. Es geht um die Gemeinderatswahl. Die Hauptstadt fällt aus dem Rahmen. Seit zwölf Jahren regiert hier ÖVP-Mann Harald Scheucher. Ein erfolgreiches Unikum im Land der roten Bürgermeister. Aber umstritten.

Die Grünen um Andrea Wulz erinnern Scheucher an seine Wiederwahl 2003. Da versprach er eine Volksbefragung just über jenes Einkaufszentrum, wo er sich nun zur nächsten Amtszeit diskutieren will. Die Befragung gab es nie. Das Image des Drüberfahrers könnte ihm den Posten kosten. Denn die nächste Innenstadt-Bausünde steht an: Tiefgarage samt Kaufhaus auf dem Benediktinermarkt: Nur die Grünen waren immer schon gegen das, wofür jetzt keiner mehr gewesen sein will.

Doch Titelverteidiger Scheucher wirkt trotz Sachproblemen und Bauskandalen noch am sichersten im Porzellanladen. Herausforderin Maria Luise Mathiaschitz bringt ihn weniger außer Tritt als Ewald Wiedenbauer, ihr Vorgänger als SP-Stadtparteichef. Sein Antreten per Namensliste könnte der Löwin, die diesem Sinnbild kaum entspricht, den Einzug in die Stichwahl kosten. Das schaffen wohl eher Scheucher und BZÖ-Chef Christian Scheider. FP-Spitzenkandidat Stefan Petschnig, Organisator des Iron Man, mischt dagegen wie die Grünen bloß mit.

Auch eine Ebene höher wird in Elefantenrunden diskutiert – allerdings nicht im Umgang miteinander. Polemik und Untergriffe dominieren die Auseinandersetzung im Landtagswahlkampf. Im Congress Center Villach schwankt die Stimmung zwischen Lei Lei und Fußballstadion. Obwohl mit dem Grünen Rolf Holub nur ein gelernter Kabarettist am Podium hockt. Wer mit der besten Pointe einnetzt, wird vom Publikum mit heftigem Applaus oder Buhrufen belohnt.

Wer versenkte die Milliarden?

Landeshauptmann Gerhard Dörfler will stolz blaue Flecken zur Schau tragen, ist aber im Austeilen meist schneller. Arbeit schaffen mit öffentlichen Investitionen propagiert der rote Herausforderer Reinhart Rohr, der sich trotz wenig neuen Schwungs auf der Überholspur wähnt. Auf Verwaltungsreform und Sparen beharrt der schwarze Kontrahent Josef Martinz und verharrt in Umfragen nur geringfügig über dem schlechtesten Parteiergebnis aller Zeiten. Der andere selbstdeklarierte Haider-Erbe Mario Canori träumt von Wiedervereinigung unter blauem Dach und Regierungsbeteiligung.

Alle im Proporzsystem zwangsvereinten Regierungsmitglieder haben an diesem Abend viel Gutes für das Land vollbracht. Für die zwei Milliarden Euro Schulden sind allein die Regierungsgegner verantwortlich. Der Verdacht der gegenseitigen Vorteilsnahme lässt sich nicht ganz abschütteln. Zu sehr schwankt die Diskussion zwischen vertraulichem Du und angriffigem Sie. Die einzige Nichtregierungspartei ist klein und grün. Kontrolle ist ihr Motto, nur dazu fehlen auch ihr die Rechnungsabschlüsse der letzten drei Jahre.

Was die Zuseher interessiert, wird nicht beantwortet: Wer will mit wem einen Landeshauptmann wählen? Der Erste soll es werden, sind sich alle Kandidaten über ihr demokratisches Grundverständnis einig. Über die Partnerwahl wird geschwiegen. Respektieren des Wählervotums nennen sie diese Auskunftsverweigerung.

Ohne seinen zum Gottseibeiuns hochstilisierten Langzeitexponenten ist das Land schneller auf dem Weg zur Normalität, als Beobachter von außen wahrhaben wollen. Das ist kein Kompliment für Kärnten, sondern ein Hinweis auf die durchschnittliche Qualität von Landespolitik. Die schwerer wiegenden Zustände sind wirtschaftlicher Natur. Soeben hat die EU den BIP-Vergleich ihrer 271 Regionen veröffentlicht. Kärnten liegt national 33,3 Prozentpunkte hinter seinem nördlichen Nachbarn Salzburg Hier stört es aber mehr, dass die südliche Region Westslowenien schon gleichauf ist mit Koroska, dem Grenzfall in Österreich.

* K. Hämmerle, Politik- und Rechtswissenschafterin, Klgft.

P. Plaikner, Medienberater und Politikanalyst (Tirol, Wien, K.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung