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Grundfragen der Demokratie

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Diskussionen um neue Formen des Parlamentarismus sind Auseinandersetzungen um Grundfragen der Demokratie. Die Parlamentsreform ist ein Stück Staatsreform. Eine kritische Analyse des österreichischen Parlamentarismus der Gegenwart macht die Reformnotwendigkeit augenscheinlich. Aus diesem Grund sind daher Vorschläge für eine Neugestaltung unseres parlamentarischen Lebens grundsätzlich zu begrüßen. Die Möglichkeit einer wirksamen Reform ist jedoch erst dann gegeben, wenn die Zielsetzungen und Maßstäbe hierfür hinreichend geklärt sind. Nicht immer klar erkennbar sind sie in den vor einiger Zeit von den Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Christian Broda und Leopold Gratz veröffentlichten Vorschlägen („Für ein besseres Parlament — für eine funktionierende Demokratie“). Diese sind als Anregung für eine Auseinandersetzung über staatspolitische Probleme zweifellos wertvoll, erscheinen aber anderseits bei Konfrontation mit aen Strukturen unseres rechtlichen und politischen Systems nicht widerspruchslos. Ladislaus Rosdy hat bereits vor kurzem in der „Furche“ (Nr. 22 vom 31. Mai 1969, „Solostimmen zur Parlamentsreform“) kritisch zu den Reformvorschlägen Stellung bezogen. Der folgende Beitrag soll die Auseinandersetzung unter Beschränkung auf einige wenige Aspekte fortsetzen, die meiner Auffassung nach jedoch von grundsätzlicher Bedeutung sind. Broda-Gratz betonen in ihrem Vorwort, daß die dargelegten Ansichten ihre persönliche Auffassung enthalten. Gleiches gilt für die gegenständliche Kritik.

Zunächst fällt auf, daß grundsätzliche Fragen einer Parlamentsreform in dem von Bruno Kreisky stammenden Vorwort angeschnitten werden, für die Broda-Gratz jedoch keine Vorschläge bieten, ja, die sie nicht einmal behandeln. Wenn Kreisky meint, daß es einer ernsten Diskussion bedarf, inwieweit es neben den demokratisch gewählten Organen Gremien geben darf, in denen parapolitische Entscheidungen fallen, die das Parlament präju-dizieren. schneidet er damit ein ebenso prinzipielles Problem einer parlamentarischen Reform an wie mit dem Vorschlag, sich Gedanken über die Privilegierung der Parlamentarier (Immunität und Befreiung von der Verpflichtung zur Steuerleistung) zu machen. Alle diese Probleme finden in den Vorschlägen von Broda-Gratz keine Erwähnung. Ob dies auf eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit über die Aufgaben einer Parlamentsreform zurückzuführen ist, läßt sich nicht feststellen. Es fällt jedoch in diesem Zusammenhang die divergente Deutung des bekannten Satzes von Kelsen auf, daß der Parlamentarismus die einzig mögliche reale Form ist, in der die Idee dar Demokratie innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute erfüllt werden könne. Von Kreisky wird diese Aussage in ihrer Gültigkeit für heute angezweifelt. Für Broda-Gratz jedoch liegt auch in unserer Zeit kein Grund vor, diese Worte nicht für völlig zutreffend zu halten.

Wider die „Sterilität der Verwaltung“

Als Hauptmotiv für die Forderung nach einer Erweiterung der technischen und personellen Einrichtungen

des Parlaments führen Broda-Gratz den Mangel der Initiative der Vollziehung an Die Vorwürfe, die sie dabei erheben, sind konzentriert: Der große, mächtige und gut ausgebildete Vollziehungsapparat könne eine qualitativ weit bedeutsamere Rolle spielen und ganz andere Initiativen entwickeln, als dies heute der Fall sei; die Eigeninitiative der Ver-

waltung sei in den letzten Jahren erschreckend zurückgegangen. Auf jenen Gebieten, auf denen nicht starke Interessenvertretungen ihre Forderungen anmeldeten und wo es sich auch nicht um reine Verwal-tungsmotwendigkeiten handelte, habe die Regierung in den letzten Jahren auf Entschließungen des Nationalrates, die den Wunsch nach bestimmten gesetzlichen Regelungen enthielten, mit langen Berichten geantwortet, in denen sie sich außerstande erklärte, dem kundgetanen Willen der Gesetzgebung zu entsprechen.

Diese Vorwürfe muten gerade in einer Zeit, in der im Parlament von der Opposition der Regierung beharrlich vorgehalten wird, daß sie

das Parlament mit Regierungsvorlagen überschwemme und dadurch eine gewissenhafte parlamentarische Arbeit unmöglich mache, eigenartig an. Sie entsprechen aber auch nicht den Tatsachen. Es ist unschwer zu beweisen, daß eine Reihe von Gesetzesbeschlüssen gerade in den letzten Jahren auf Regierungsvorlagen zurückgehen, die keineswegs durch den Druck starker Interessenvertretungen ausgelöst wurden, sondern den Initiativen der Regierung entstammen (zum Beispiel Kraftfahrgesetz, Waffengesetz u. a.). Ähnliches gilt für die von der Bundesregierung dem Nationalrat vorgelegten Berichte. Im Sommer 1966 legte die Bundesregierung dem Nationalrat bereite zum zweitenmal einen Bericht über die Stellung der politischen Parteien im öffentlichen Leben vor. Dieser Bericht enthielt sehr konkrete Vorschläge: Auf Verfassungsebene Verankerung des Grundsatzes, daß die Parteden bei dar politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, und des Rechtes zur freien Bildung von Parteien, weiters Erlassung von einfach-gesetzlichen Bestimmungen über die Rechtspersönlichkeit der politischen Parteien und ihre Gliederung. Dem Parlament wurden hier fundierte und realisierbare Vorschläge gemacht, dennoch ist das Problem der Institutionaiisierung der politischen Parteien in Österreich bis jetzt offen geblieben. Es gehört auch heute noch zu jenen Fragen, die an die Spitze jeder Demokratie- und Par-larnentsreform gestellt werden müssen.

Wider die „mächtige Verwaltung“

Die Forderung nach einer besseren Ausgestaltung der personellen und

technischen Einrichtungen des Parlamente wird weiter damit begründet, daß sich die Verwaltung bei ihrer Tätigkeit auf einen gut ausgebildeten Apparat stützen könne und die Position des Parlaments von vornherein schwächer sei. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß die weitaus größere Zahl der Gesetze auf von der Bürokratie ausgearbeitete Regierungsvorlagen zurückgeht. Ebenso wie die Verwaltung besitzen heute fast alle großen Interessenvertretungen hochspezialisierte und bestens geschulte Stäbe für ihre Arbeit. Dem Parlament fehlen solche Einrichtungen. Dieser Umstand führt jedoch nicht wesensnotwendig zu der Alternative, dem Parlament einen ebensolchen gigantischen Apparat zur Seite zu geben. Vielmehr wäre zu überlegen, das Parlament von seiner Gesetzgebungsbürde zu entlasten und mehr zur Stätte der politischen Auseinandersetzung von Regierung und Opposition werden zu lassen.

Parlament und Personalpolitik

Im Kapitel „Der Nationalrat“ v'Seite 20 ff.) erstatten Broda und Gratz Vorschläge zur Verbesserung der Voraussetzungen für die Arbeit des Nationalrates. In diesem Zusammenhang fordern sie die Mitwirkung des Hauptausschusses des Nationalrates bei Ernennungsvorschlägen der Bundesregierung für leitende Beamte (Beamte der Dienstklasse IX und Richter der Standesgruppen 7 und 8) sowie bei der Ernennung von leitenden Organen dar Nationalbank, der verstaatlichten Banken, der verstaatlichten Unternehmungen, der Monopole und Bundesbetriebe und dergleichen. Inwieweit hiermit eine Verbesserung der Voraussetzungen der Arbeit des Nationalrates bewirkt werden soll, wird nicht gesagt. Tatsache ist jedoch, daß eine Verwirklichung dieser Vorschläge dem Parlament eine Mitwirkung in Personalfragen bringen würde, wie sie ganz bewußt in der Verfassung bisher vermieden wurde. Es entspricht dem Wesen das parlamentarischen Ragie-rungssystems in Österreich, personalpolitische Fragen im großen und ganzen vom Parlament fernzuhalten. Die Konsequenzen der vorgeschlagenen Regelung liegen auf der Hand: Eine Besetzung aller angeführten Stellen nach dem politischen Stärkeverhältnis wäre die unausbleibliche Folge, die Vorstellung einer von politischen Einflüssen weitgehend freien Personalpolitik wäre damit ad absurdum geführt. Daß derartige Funktionen nicht zum Tätigkeitsbereich eines „aufgewerteten Parlaments“ gehören, ist offenkundig. Ein weiterer Verbesserungsvorschlag gibt zu denken. Nach Broda-Gratz sollen die Ernennungsvonschläge (Dreiervorschläge) für den Präsidenten, Vizepräsidenten, die Mitglieder und Ersatzmiitgliieder des Verfassungsgerichtshofes sowie den Präsi-

denten und Vizepräsidenten des Ver-waltungsgerichtshofes an den Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung mit qualifizierter Mehrheit erfolgen. Zur Begründung dieser Vorschläge wird ausgeführt, „daß eine Zuständigkeit der Bundesregierung für die Erstattung von Vorschlägen für die Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes beziehungsweise des Präsidenten beziehungsweise des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofes systemwidrig ist“. Welchem System der Modus der bisherigen Bestellung widerspricht, ist allerdings nicht näher ausgeführt. Offensichtlich soll hiermit wieder ein halber Schritt zu jener Situation zurück getan werden, die der Verfassungsgeber des Jahres 1929 bewußt geändert hatte. Im Zuge der in diesem Jahr ergangenen Verfassuingsnovelle wurde nämlich im Bemühen um eine „Ent-politisierung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes“ die Bestellung der Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerdchtshofes, die bis dahin ausschließlich den gesetzgebenden Körperschaften zustand, an den Bundespräsidenten übertragen, wobei das Vorschlagsrecht hiefür auf Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat aufgeteilt wurde. Durch diese Verfassungsänderung wurde gerade auf dem Gebiete der Kompetenz zur Ernennung von höchsten Staatsorganen ein „neues System“ geschaffen.

Im Licht der Gewaltenteilung

Die angeführten Beispiele sollen eines zeigen: Vorschläge zur Erstattung einer Parlamentsreform sollen sich, sofern nicht Strukturveränderungen der Verfassung beabsichtigt sind, an die Baugesetze unserer Ver-fassungsordnung .halten. Zu ihnen gehört als bedeutendes staatsgestaltendes Boinaäp die Gewaltentailung. Ihr Hauptzweck ist die Beschränkung der Macht zum Schutz des einzelnen. Die drei klassischen Bereiche der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Verwaltung stehen zueinander in einem wohl abgewogenen System der „checks and balances“. Ziel jeder sinnvoll verstandenen Gewaltenteilung, ist es, der Tendenz zur konzentrierten Zusamrnenballung der Staatsgewalt feste Schranken zu setzen. Sie soll, „ein Gleichgewicht der sichtbaren Gewalten begründen“ (Imlboden). Dieses grundsätzliche Anliegen muß auch Maßstab jeder Demokratie- und Partiamentsreform sein.

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