Gut und Böse im luftleeren Raum

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Zwei neue Schulbücher zum Ethikunterricht verkörpern sein Grundproblem: die Unklarheit des weltanschaulichen Standpunkts.

Die Forderung nach der Einführung eines Ethik-unterrichts ist eine der Konsequenzen des Religionswandels, den man in den letzten Jahrzehnten in Europa beobachten kann. Die methodischen Probleme, die dabei entstehen, spiegeln sich in den beiden neuen Ethik-Lehrbüchern wider. Da es noch keinen Ethik-Lehrplan gibt, sind sie für das Schulfach Philosophie zugelassen worden. Dies ist Etiketten-Schwindel, der möglicherweise suggerieren soll, dass das Fach Ethikunterricht an die Stelle des Faches Philosophie treten könnte, quasi als angewandte Philosophie. Doch Ethikunterricht kann kein Ersatz für Philosophie-Unterricht sein. Schon deswegen, weil jede Ethik, egal, ob man dabei an die Antike, an Kant oder an moderne Ethik-Theorien denkt, in ein größeres Denksystem eingebettet ist. Das gehört zum kleinen Einmaleins, doch die beiden Ethik-Bücher tun so, als ob sie einen objektiven Standpunkt wiedergeben würden. Und das ist ein Grundsatz-Problem des Ethikunterrichts: die Deklaration des weltanschaulichen Standpunktes. Im Rahmen des konfessionellen Religionsunterrichts stellt sich dieses Problem nur bedingt; der Lehrer ist von der Konfession, die er oder sie unterrichtet, ja beauftragt. Doch Ethikunterricht ist nicht nur Training in Argumentation und Entscheidungsfindung, sondern soll Werte wie Toleranz, Freiheit und Menschenwürde vermitteln, vieldeutige Begriffe, sodass sich die Frage nach der weltanschaulich-politischen Deutung durch die Ethik-Lehrer stellen wird. Freilich: Weltanschauung und Religion sind Privatsache. Doch wenn es einen gesellschaftlichen Diskurs über Wertefragen geben soll, und den muss es in einer demokratischen Gesellschaft geben, dann muss Position bezogen werden - offen und fähig zur Argumentation. Genau das tun die beiden Bücher nicht. Sie geben eine pluralistische Haltung vor, wobei doch in Wirklichkeit sehr vieles schon entschieden ist.

Das Buch von Anita Kitzberger und Eugen Maria Schulak macht immerhin deutlich, dass es in der Ethik um ein "Für & Wider" geht - so der Titel des Buches, das eine Begriffsklärung und einen kleinen Leitfaden zur Entscheidungsfindung an den Anfang stellt. Die Textbeispiele aus der philosophischen Literatur geben mindestens den Eindruck eines Überblicks. Dass freilich Ethik "Selbstbestimmung" und Moral "Fremdbestimmung" sei, lässt den Verdacht auf einen unreflektiert aufklärerisch erscheinenden Gestus entstehen, was sich bei der Lektüre des Buches bestätigt.

Fehler und Klischees

Das andere, kürzlich erschienene Buch, "Perspektiven" von Karl Heinz Auer, stellt Fragen der Entscheidungsfindung erst ans Ende des Buches. Ansonsten zeichnet es sich - freundlich gesagt - durch eine gewisse Unbefangenheit aus, was sich sowohl im philosophischen Ansatz als auch im Umgang mit den Religionen äußert. Zwar werden laut Titel "Perspektiven" angeboten, doch ist kein Klischee zu peinlich oder zu falsch. Mutter Teresa steht fürs Christentum, ein iranischer Soldat für den Islam, Gandhi propagiert die Kuh für den Hinduismus und orangefarbene Mönche Allerweltsweisheiten für den Buddhismus. Grob fehlerhafte Information - etwa ein Bild der indischen Göttin Durga mit dem Untertitel: Gott Shiva oder die Feststellung, im Protestantismus gäbe es Priesterinnen, sowie fehlende Basisinformationen - über die "Fünf Säulen des Islam" erfährt man zum Beispiel nichts - ergänzen die Darstellung.

Das Buch von Kitzberger/Schulak ist hier etwas besser sortiert. Die Haken sind versteckter: etwa die Frage des "Kopftuchs" als Beispiel für eine ethische Grundsatz-Diskussion zu nehmen, benützt ein von der westlichen Presse erzeugtes Klischee, um islamische Kulturen zu charakterisieren und dies zu einer ethischen Streitfrage zu stilisieren. Die Komplikationen eines ethischen Diskurses spart man sich natürlich, wenn man gesellschaftlich dominante Klischees als Tatsachen voraussetzt.

Ethik ist ein Teil der Philosophie, und daher mit Grundsatzfragen beschäftigt, auch dort, wo es um angewandte Ethik geht - wie im Falle des Ethikunterrichts. Ansonsten verkommt er zu einem Weltanschauungs-Cocktail. Hier sollte jedoch die Fähigkeit zur Reflexion von ethischen Fragen vermittelt werden, was für die demokratische Gestaltung einer postindustriellen, ökonomistischen Gesellschaft nötig ist.

Die Autorin ist Religionsjournalistin beim ORF-Hörfunk und Lehrbeauftragte am Institut für Philosophie der Universität Wien.

PERSPEKTIVEN - Menschsein im Spannungsfeld ethischer Normen

Hg. von Karl Heinz Auer, Verlag öbv&hpt, Wien 2003, 300 Seiten, e 24,85

FÜR & WIDER - Arbeits- und Lesebuch der Ethik. Von Anita Kitzberger und Eugen Maria Schulak. Manz Verlag Schulbuch, Wien 2002. 272 Seiten, e 17,-

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