Handys, Jeans und leere Kassen

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Kinder leiden besonders darunter, wenn das Familieneinkommen nicht für die Teilnahme am sozialen Leben reicht.

Dass der 13-jährige Martin bei der Schullandwoche nicht dabei ist, wundert in seiner Klasse niemanden mehr. Bei Tagesausflügen ist er auch meistens krank. Oder er kann nicht mit, weil er angeblich zum Zahnarzt muss. Es ist in der Klasse ein offenes Geheimnis, dass seine Mutter nicht genug Geld hat, um allen ihren drei Kindern Ausflüge, Schiwochen und sonstige Aktivitäten zu ermöglichen.

Martin ist einer von fast 270.000 unter 20-Jährigen, die in der österreichischen Statistik als armutsgefährdet aufscheinen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie in einem Haushalt leben, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. 90.000 von ihnen sind akut arm, weil in der Familie zum geringen Einkommen noch eine weitere Belastung hinzukommt wie Schulden, Leben in einer Substandardwohnung oder das Unvermögen, neue Kleider zu kaufen. In Mehrkindfamilien und bei Alleinerzieherinnen wachsen überproportional viele armutsgefährdete Kinder auf, da die Eltern nur sehr schwer in vollem Umfang am Arbeitsleben teilnehmen können.

"Meistens ist es so, dass Eltern versuchen, ihre prekäre finanzielle Situation zu verbergen. Dieses Verhalten übernehmen die Kinder und suchen Ausreden dafür, dass sie dieses und jenes nicht haben", erklärt Christian Theiss, steirischer Kinder- und Jugendanwalt und Mitinitiator der Plattform für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Kinder schämen sich dafür, dem Standard nicht entsprechen zu können, nicht die tollen Markenjeans und das neueste Handy zu haben. "Aber sie äußern solche Wünsche oft gar nicht, weil sie ihrer Familie helfen wollen, mit dem auszukommen, was da ist", erklärt Theiss weiter. "Sie übernehmen auf diese Weise sehr früh Verantwortung."

An Aktivitäten nicht teilnehmen, Trends nicht mitmachen können bedeutet für die Kids Ausgrenzung. "Es ist noch kein Zeichen von Armut, wenn sich ein Kind das neueste Computerspiel nicht leisten kann. Aber wenn es die Hälfte oder noch mehr von all den Dingen nicht hat, die man in einem bestimmten Alter haben muss, weil das die Gruppe so vorgibt, fällt es auf", erläutert Theiss. Nur sehr wenige Kinder seien in Österreich davon betroffen, dass sich die Situation ihrer Eltern auf Grundbedürfnisse wie die Nahrungsversorgung auswirkt. "Aber es geht ja auch um die Dinge, die das Leben schön machen", gibt Theiss zu bedenken. Die Reaktion vieler Kinder auf den Mangel daran sei, dass sie sich zurückziehen. "Sie wollen sich ja nicht ständig damit konfrontieren, was sie alles nicht haben", erklärt der Jugendanwalt. Wenig soziale Kontakte und ein geringes Selbstwertgefühl seien die Folge.

Die größte Chance für Kinder, aus der Armut zu entkommen, sei eine gute Bildung, ist der Jugendanwalt überzeugt. "Sie eröffnet Wahlmöglichkeiten. Die Jugendlichen können aus mehr Berufen auswählen und einen finden, der zu ihnen passt."

Allerdings ergab eine Studie der Universität Graz, dass Kinder in armutsgefährdeten Haushalten ungünstigere Entwicklungsbedingungen in schulischer und beruflicher Ausbildung haben. Zwischen der sozialen Stellung der Eltern und dem Ausbildungsweg der Kinder bestehe ein klarer Zusammenhang. Armutskarrieren der Herkunftsfamilie würden oft nahtlos fortgesetzt.

Auch das seit dem Jahr 2001 ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld birgt keine Lösung. Der Salzburger Armutsbericht 2002 bestätigt zwar, dass es Einkommenseinbußen lindert. Die Armutsgefährdung verhindern könne es jedoch nicht. Zudem wäre der flächendeckende Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen wichtig. Nicht nur, um eine Berufstätigkeit der Eltern zu ermöglichen. Der Bericht zitiert den Spezialisten für Familienökonomie an der Universität Graz, Richard Sturn: "Die Bedeutung schulvorbereitender Erziehung ist gerade bei Kindern aus von Armut betroffenen Schichten als Voraussetzung eines günstigen Verlaufs von Bildungskarrieren empirisch bestens dokumentiert."

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