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"Die Welt“ über die bei der Berlin-Wahl erfolgreiche Piraten-Partei und ihre Vertreter - diese hätten die Partei bereits jetzt als kleinmütig entlarvt.

Das Auffälligste an der Piraten-Partei ist ihre bürgerliche Harmlosigkeit. Wer ihre Forderungen zur Berliner Abgeordnetenhauswahl durchliest (bei der sie 8,9 Prozent der Stimmen erzielt hat), findet viele gute und schlechte Ideen, wie sie auch in den Programmen anderer bürgerlicher Parteien stehen könnten, von der Stärkung freier Schulen bis zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Ansonsten ist der Blick der Piraten auf die Welt entschieden studentisch.

Jeder soll so lange studieren, wie er will, und zwar umsonst, und auch der öffentliche Nahverkehr, mit dem man von seiner - vor Mieterhöhung bitte staatlich geschützten - Studentenbude in Kreuzberg in die Universität kommt, soll nichts kosten. Dagegen spielen Ideen, die für weniger Privilegierte wichtig sind, wie drei freie Kita-Jahre für Geringverdienende oder Umschichtung der Schulausgaben zugunsten der Grundschulen in den Problembezirken, bei den Piraten gar keine Rolle. Man bekommt den Eindruck, die Piraten sind die Partei der Nochnichtbesserverdienenden, die später als Juristen in die FDP, falls es sie dann noch gibt, als Lehrer zu den Grünen oder als Webdesigner zur Röttgen-CDU gehen werden.

Eingeschränkte Transparenz

Diesem durch und durch bürgerlichen Habitus entspricht es, dass die Piraten auf ihrem ureigenen Feld, dem Thema digitaler Offenheit und Transparenz, zwar für die Offenlegung aller möglichen Verwaltungsvorgänge und politischer Prozesse sind, den Bürger jedoch von der Transparenz ausnehmen. Nicht nur, dass sie wider alle Vernunft den Abbau von Überwachungskameras im öffentlichen Raum fordern. Das könnte man noch aus einer urliberalen, ja libertären Haltung ableiten, die - wie die Piraten schreiben - dem Staat das Recht abspricht, den Bürger unter Generalverdacht zu stellen. Der Verlust an Sicherheit wäre halt der Preis der Freiheit.Was die Piraten aber als kleinmütige Partei der künftig Privilegierten entlarvt, ist die Tatsache, dass diese angeblichen Radikaldemokraten des digitalen Zeitalters ausgerechnet vor einer Forderung zurückschrecken: der Offenlegung aller Steuerunterlagen. In Deutschland werden Fragen nach dem Verdienst behandelt, als unterlägen sie dem Beichtgeheimnis. Das ist nicht einzusehen.

Reichtum, Beichte, Buße

Es ist ja keine Sünde, viel Geld zu haben, und keine Schande, wenig zu verdienen. Doch ist die Frage, was einer verdient und womit, und wie viel er davon in Form von Steuern und Abgaben der Gesellschaft zurückgibt, nicht unwesentlich bei der Beurteilung seiner Rolle und Äußerungen im öffentlichen Leben. Die Demokratie wird ja nicht nur durch die Macht des Staates gefährdet, sondern auch durch die Macht des anonymen Geldes. Und: Wieso haben wir keine Scheu, unserem Steuerberater und dem Steuerbeamten unsere Einnahmen und Ausgaben offenzulegen, wohl aber der Öffentlichkeit?

Das Steuergeheimnis erklärt das Finanzamt zur Kirche, die nach Beichte und Buße Absolution erteilt. Dabei wird natürlich wie bei der Beichte kräftig gelogen. Wer Steuerehrlichkeit will, sollte Steueröffentlichkeit fordern.

Man wende nicht ein, die Forderung sei utopisch. In Norwegen etwa wurden die Steuerunterlagen aller Bürger bereits 1863 zur öffentlichen Informationsquelle erklärt. Seit 2002 stehen sie sogar für jedermann einsehbar - aufgepasst, ihr Piraten! - im Internet. Also, ihr Piraten: Werdet eurem großen Namen gerecht! Seid nicht so brav! Hisst den Jolly Roger und entert die finstere Festung des Steuergeheimnisses!

* Die Welt, 21. September 2011

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