Held gegen Erlöser

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Im US-Wahlkampf treffen die Vertreter von zwei Parteien, zwei Generationen, zwei Amerikas und von zwei archetypischen Figuren aufeinander.

Michelle Obama weiß, was ihr Mann macht, wenn er zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird: "Er wird die Nation reparieren. Er wird die gebrochenen Seelen der Amerikaner heilen. Er wird sie erlösen!"

Obama ist ein arabischer Name und bedeutet "der Gesegnete". Und tatsächlich sind Barack Obamas Auftritte immer eine Art politischer Gospel und seine Reden säkulares Gebet: Hoffnung ist seine Botschaft, Wechsel, Wandel, theologisch würde man sagen Umkehr, die Essenz seines Evangeliums für eine Nation, die den Glauben an sich und ihre Ideale verloren hat: "Wir sind die, auf die wir gewartet haben!", ruft er messianisch seinen Anhängern zu und setzt nach: "Wir sind der Wandel, nach dem wir gesucht haben!"

Das sind keine Wahlversprechen mehr, das sind Verheißungen. Kein Wunder, dass junge US-Evangelikale, also ganz sicher keine Anhänger der Demokratischen Partei, bei der Umfrage eines religiösen Magazins auf die Frage "Wen würde Jesus wählen?" Obama mit haushohem Vorsprung an die erste Stelle gesetzt haben.

Obama vom Himmel, McCain aus der Hölle

Barack Obama ist der Erlöser, der aus dem Himmel herabgestiegen zu sein scheint. Ihm gegenüber steht John McCain, der Held, der der Hölle entronnen ist. Cindy McCain sagt: "Wir brauchen jemanden von ungewöhnlicher Kraft und Charakterstärke, jemanden genau wie meinen Mann, um uns durch die Untiefen und Stromschnellen zu führen, die vor uns liegen." Und dann bezeugt McCains Frau: "Ich kenne John. Sie können seiner Hand am Steuer vertrauen!"

Vietnam-Kriegskameraden widersprechen, sagen, es sei eher McCains Ungeschicklichkeit im Kampfflieger-Cockpit und weniger die Treffsicherheit der nordvietnamesischen Luftabwehr gewesen, die ihn am 26. Oktober 1967 vom Himmel über Hanoi geholt und in die Kerkerhölle geworfen hat. Wie auch immer: Den Medaillen-Reigen, der John McCains Brust seit seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft ziert, hat er ja nicht dafür bekommen, dass er abgeschossen wurde, sondern weil er durchgehalten hat. In den fünf Jahren und 140 Tagen Gefangenschaft, sagt McCain, hat er Amerika lieben gelernt, "weil es nicht nur ein Ort ist, sondern eine Idee, eine Sache, für die zu kämpfen sich lohnt".

John McCain ist der ewige Soldat: Ehre, Dienen, Kameradschaft, Pflicht sind die Ausrichtungen in seinem Wertekompass. Sein Körper hat sich von Gefangenschaft und Folter nie erholt. Seine Arme kann er nicht mehr über den Kopf heben; bevor er in diesem Wahlkampf auf eine Bühne tritt, muss er jemanden bitten, ihm die Haare zu kämmen.

Doch seinen Kopf hat ihm niemand brechen können. Es war ein Fehler, sagt er, den Vietnam-Krieg nicht noch härter zu führen. Die Amerikaner hätten gewinnen können, glaubt er, ja gewinnen müssen. "Ich werde für meine Sache jeden Tag kämpfen als Ihr Präsident", verspricht er Wiedergutmachung: "Kämpfen Sie mit mir! Kämpfen Sie mit mir! Steht auf, steht auf und kämpft! Wir sind Amerikaner. Wir geben nie auf …"

John McCain ist gerade 72 geworden. Er ist der letzte amerikanische Kriegsheld, der um eine US-Präsidentschaft kandidiert - und selbst er ist ja kein Held, weil er den Feind getötet, sondern weil der Feind fast ihn getötet hat. Seit Vietnam kommen keine amerikanischen Helden mehr nach Hause. Seit Vietnam sind auch die USA in das postheroische Zeitalter eingetreten.

"Die heroische Gesellschaft", sagt der Berliner Politologe Herfried Münkler, "ist die Gesellschaft, in der Krieger und Bürger eins geworden sind, in der jeder Bürger, wenn es denn nötig war, auch ein Krieger zu sein hatte." In der jetzigen postheroischen Zeit jedoch sieht Münkler "eine schrittweise, neuerliche Separierung des Bürgers und des Kriegers". In postheroischen Gesellschaften wächst die "Freikaufmentalität", denn "in Ein-/Zwei-Kind-Familien ist zu viel emotionales Kapital gebunden", als dass noch Söhne freudig in einen Krieg geschickt werden.

Die McCain-Helden von heute arbeiten bei "Blackwater" oder anderen privaten Sicherheitsfirmen, die im Irak und an anderen Kriegsschauplätzen operieren. "Privat-armee übernehmen!", sagen postheroische Gesellschaften, wenn sie eine Mobilmachung ausrufen. Niemand weiß genau, wieviele Söldner in diesen Schattenheeren dienen. Schätzungen rechnen mit bis zu 50.000 im Irak. Wo die Privatarmeen zum größten Teil ihre Kämpfer anwerben, weiß man hingegen sehr genau: in den ärmsten Ländern der Welt.

Postheroische und heroische Zeiten zugleich

Wobei im globalen Maßstab die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ein Problem ist: Während der Westen ins postheroische Zeitalter eingetreten ist, blühen in anderen Teilen der Welt heroische Mentalitäten auf materieller (Vielzahl der Söhne) und ideeller (religiöse Fundamentalismen) Grundlage.

Demnach kandidiert der Held McCain zur falschen Zeit am falschen Ort, während Erlöser Obama im Trend liegt: Er wäre der erste globale Präsident in Zeiten der Globalisierung, ein Schwarzer in einem bunten Land in einer noch bunteren Welt, die es nicht erlaubt, vom Weißen Haus in Schwarzweiß gesehen, in Gut und Böse eingeteilt zu werden. Held McCain will "das Böse vernichten", Erlöser Obama hingegen mahnt zur Demut - zuviel Unheil sei durch die US-Scherenschnitt-Politik der letzten Jahre schon geschehen.

Und "redeem", wovon Frau Obama überzeugt ist, nämlich dass es ihr Mann im Amt schaffen werde, lässt sich nicht nur mit "erlösen", sondern auch mit "reinwaschen" übersetzen. Nach Katharsis aber, nach Reinigung und Neubeginn in Politik und Wirtschaft, sehnen sich nicht nur das rote und das blaue Amerika.

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