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Heraus aus dem Budget!
Am 29. März traf ein Parteienverhandlungskomitee die Vereinbarung, zur finanziellen Sanierung der Krankenversicherungsträger auch Mittel des Kinderbeihilfenfonds heranzuziehen. Wenn diese Gefahr in letzter Stunde noch abgewehrt werden konnte, so ist dies nicht zuletzt den Familienorganisationen zu danken. Schon am 9. März legten sie gegen den Plan Protest ein. Am 30. März traten sie abermals mit einer Stellungnahme zu den inzwischen abgeschlossenen Parteienverhandlungen an die Öffentlichkeit. Außerdem gingen den Verhandlungspartnern zahlreiche Telegramme und Briefe zu, in denen die Abgeordneten gebeten und beschworen wurden, die Argumente der Familienorganisationen nochmals in Erwägung zu ziehen. Das geschah dann auch in letzter Minute.
Es ist keine müßige Reminiszenz, auf diese Argumente nachträglich nochmals einzugehen, denn es wurden Schwächen unserer Familiengesetzgebung sichtbar, deren eheste Behebung ein dringliches Anliegen der Volksvertretung werden muß. Es wurde auch offenkundig, daß der in letzter Minute abgewehrte Griff nach den Familiengeldern gewiß keiner bewußt „familienfeindlichen“ Gesinnung entsprang, wohl aber einer völligen Verkennung des Wesens des Familienlastenausgleichs und zum Teil einem „familienpolitischen“ Konzept, das noch sehr stark, wenn auch unbewußt, von einem falschen Bild vom Menschen und der Gesellschaft bestimmt wird, von einer Weltanschauung, in der die Familie keinen legitimen Standort hat.
Die Familienorganisationen erhoben den Vorwurf einer zweckwidrigen Verwendung von Fondsmitteln. Diese Mittel dienen nach dem Wortlaut des Kinderbeihilfengesetzes „zur Erleichterung der Versorgung der in nichtselbständiger Arbeit stehenden Bevölkerungskreise mit Bedarfsartikeln“, nach dem Wortlaut des Familienlastenausgleichsgesetzes „zur Erleichterung der Gründung und Erhaltung der Familie, zur Anbahnung eines Familienlastenausgleichs und zur Ergänzung der auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechtes vorgesehenen Kinderermäßigung“. Ausschließlich für diese Zwecke wurde 1950 der „Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfe“ und 195 5 der „Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen“ geschaffen. Das alte Kinderbeihilfengesetz und das neue Familienlastenaus-gleichsgesetz, beide heute so völlig ineinander verzahnt, daß sich auch der Fachmann in dem Gewirr einander zugeordneter Paragraphen nur schwer zurechtfindet, dienen unbestreitbar ein und demselben Zweck: dem allgemeinen Ausgleich der Familienlasten, und zwar durch Gewährung von „Beihilfen“ und „Ergänzungsbeträgen“ zu Beihilfen.
Wenn jene Regierungspartei, die sich vor allem zur Wahrung der Interessen der unselbständig erwerbstätigen Bevölkerung berufen erklärt, seinerzeit größten Wert auf den Weiterbestand des alten „Kinderbeihilfenfonds“ (neben dem neu errichteten „Familienbeihilfenfonds“) legte, so wohl deshalb, weil die Aufbringung der Mittel dieses Fonds durch Verzicht der Unselbständigen auf eine generelle Lohnerhöhung ermöglicht wurde, weil diese Mittel also in einem gewissen Sinn „Lohnteile“ darstellen. Ganz gewiß aber geschah dies nicht in der Absicht, die Mittel dieses Fonds eines Tages den Familien nicht mehr direkt zukommen zu lassen, zur „Deckung mit Bedarfsartikeln“, sondern aus denselben auch andere familienpolitische Leistungen, die nicht zum allgemeinen Familienlastenausgleich gehören, ja sogar Leistungen, die schon lange vor Einführung der Kinderbeihilfe von anderen Einrichtungen im Interesse der Familien erbracht wurden, finanziell abzudecken. Mit Recht machten die Familienorganisationen geltend, daß sich andernfalls auch die Forderung rechtfertigen ließe, zum Beispiel die Renovierung von Schulgebäuden, die Fahrtermäßigungen für Kinder und Schüler auf den öffentlichen Verkehrsmitteln oder die Säuglingswäschepakete künftig ebenfalls aus Mitteln der Ausgleichsfonds zu finanzieren.
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Der drohende Rückschritt wurde also verhindert. Aber ist der Fortschritt damit schon gesichert? Weder Gesetzgebung noch Verwaltung haben sich bis heute zu klarer Einsicht in das Wesen des Familienlastenausgleichsfonds durchgerungen. Das muß nun endlich geschehen. Der Motivenbericht zum Familienlastenaus-gleichsgesetz spricht klar von einem Ausgleich „zwischen jenen, die die Familienlasten im Interesse der Gesamtgesellschaft tragen, und jenen, die solche Lasten nicht zu tragen haben, aber bewußt oder unbewußt daraus Nutzen ziehen, daß es andere für sie tun“. Der Gesetzgeber hatte demnach eindeutig einen gesellschaftlichen Ausgleich der Familienlasten beabsichtigt. Dennoch ist die apodiktische Behauptung gang und gäbe, daß es „der Staat“ sei, der den Familien zu „helfen“ habe.
In seinem grundlegenden Referat auf dem Internationalen Familienkongreß 1959 in Wien hat der Präsident des Österreichischen Familienbundes, Univ.-Prof. Dr. Hans Schmitz, der einmütigen Überzeugung der Fachwelt Ausdruck verliehen, als er erklärte, es sei die Pflicht der Gesellschaftsglieder, die Familienlasten untereinander auszugleichen, und dem Staat komme dabei nur die Rolle des Durchführenden zu. Eine staatliche Subventionierung der Kinder aus allgemeinen Budgetmitteln entspreche einem Konzept, dessen konsequente Verwirklichung uns in den chinesischen „Volkskommunen“ vor Augen gestellt sei. Das Ziel echter “FattiHterrpoIitik ist“-'die SiAettmg= deri Freiheit der Familie und die Stärkung der Verantwortung in der Familie. Dies erfordert, daß die Familien durch eine Einkommensumverteilung innerhalb der Gesellschaft instattd gesetzt werden müssen, die ihnen gestellten Aufgaben aus eigener Kraft zu erfüllen. Es geht nicht um Subventionen der öffentlichen Hand aus den Mitteln des Budgets I Das Modell aller in diese Richtung weisenden Bestrebungen ist die gemeinschaftliche Versorgung (und damit letztlich auch die gemeinschaftliche Erziehung, Formung und Heranbildung) der Kinder auf Staatskosten und durch den Staat. Das mündet also in die Negierung der gesellschaftlichen Eigenständigkeit der Familie und in die Aufhebung ihrer naturgegebenen Funktion innerhalb der Gesellschaft — das Gegenteil dessen, was die Familienbewegung anstrebt.
Mangels einer Klarheit über die Grundsätze trägt aber die Finanzverwaltung dem Konzept des gesellschaftlichen Familienlastenausgleichs in der Praxis wenig Rechnung. Denn die Mittel der beiden Ausgleichsfonds werden nicht gesondert verrechnet, sondern wie allgemeine Budgetmittel behandelt. Und hinsichtlich der Zweckbindung der Mittel ist die Gesetzgebung nicht frei von Unklarheiten und Zweideutigkeiten. So ist die Zweckgebundenheit „für Maßnahmen im Rahmen des Familienlastenausgleichs“ zwar im 30, Abs. 4, des Familien-lastenausgleichsgesetzes klar zum Ausdruck gebracht, der 10 des Kinderbeihilfengesetzes entbehrt jedoch einer analogen Bestimmung. Nur diese Umstände haben die Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung der Mittel heraufbeschworen.
Damit war auch der Anlaß geschaffen, die Frage der Verwendung der Fondsüberschüsse aufzurollen. Seit 1952 haben die Familienfonds folgende Überschüsse aufgewiesen:
Überschüsse der Ausgleichsfonds* in Millionen Schilling (rund) ,
1952 72,9
1953 91,6
1954 244
1955 356
1956 234
1957 343
1958 166 irlßw i: 1959 ho-170 (geschätzt)
Die Überschüsse bildeten sich bis 1954 beim Atfsgfeichsfonds für Kinderbeihilfe, seit 1955 beim Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen.
Bisher blieb die Annahme zumindest unwidersprochen, die Finanzverwaltung habe aus diesen Überschüssen Reserven gebildet, der Staat habe wie ein kluger Hausvater „für schlechte Zeiten vorgesorgt“ — zumindest aber diese unverbrauchten Mittel den Zwecken des Familienlastenausgleichs gutgeschrieben. Das Bundesfinanzgesetz 1960 hat jedoch das Vertrauen der Familien in diesem Punkt erschüttert. Artikel 7, Ziffer 5, ermächtigt nämlich das Finanzministerium, „im Jahre 1960 nicht in Anspruch genommene zweckgebundene Einnahmen einer Rücklage zwecks Verwendung in den nächstfolgenden Verwaltungsjahren zuzuführen“. Und in den „Erläuterungen zum Bundesfinanzgesetz 1960“ wird die Feststellung getroffen, daß diese Ermächtigung „erstmalig“ vorgesehen sei.
Soll das heißen, daß die Überschüsse der vergangenen Jahre im allgemeinen Budget stillschweigend inkameriert, das heißt den Familien entzogen wurden? Zweifellos wären die Familienerhalter schon für eine Versicherung von kompetenter Stelle dankbar, daß eine solche Verwendung nur in Form einer Anleihe beim Familienbeihilfenfonds folgt ist. Was die Familien auf alle Fälle verlangen werden, ist die künftige Herausnahme des Familienlastenausgleichs aus dem Budget, also gesonderte Fondsverrechnung mit monatlicher öffentlicher Rechnungslegung! Eine Voraussetzung dazu ist es, die Fonds mit Rechtspersönlichkeit auszustatten und ein kontrollierendes Organ zu bestellen, dem Vertreter der Familienbewegung anzugehören haben. Überschüsse, soweit sie nicht zur Bildung einer Reserve für Zeiten rückläufiger Konjunktur dienen, müssen zu gegebenem Zeitpunkt zur Verbesserung der Ausgleichszahlungen verwendet werden.
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