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41 libanesische Parlaments-Abgeordnete verschanzen sich in einem Hotel. Aus Angst, ansonsten vor der Präsidenten-Wahl ermordet zu werden.

Auch ein goldener Käfig ist ein Käfig: Nobel-Appartements, Fitnessclub, Swimmingpool, 24-Stunden-Service und internationale Küche - alle Annehmlichkeiten, die das Fünf-Sterne-Hotel "Phoenicia" im Zentrum von Beirut seinen Gästen bietet, können 41 von ihnen nicht über ihre tatsächliche Situation hinwegtäuschen: Sie sind eingesperrt, sie sind Gefangene. Und das schon seit bald zweieinhalb Monaten. Seit dem 19. September, einem Mittwoch, an dem der libanesische Parlamentarier Antoine Ghanem von einer Autobombe getötet wurde. Erst am Tag vor seiner Ermordung war Ghanem aus Abu Dhabi zurückgekehrt, wo er sich aus Angst vor Anschlägen aufgehalten hatte. Zur Neuwahl des Präsidenten ist er nach Beirut gekommen, weil ihn seine Fraktion gerufen hat, weil jede Stimme zählt. Die Wahl fand nicht statt, wurde verschoben und wird seither immer wieder verschoben. Am Freitag dieser Woche ist ein nächster Termin anberaumt - Antoine Ghanem kann daran nicht mehr teilnehmen, so wie ein halbes Dutzend anderer Politiker der pro-westlichen Regierungskoalition im Libanon, die in den letzten zwei Jahren Attentaten zum Opfer gefallen sind.

Mit Ghanems Tod schrumpfte die Regierungsmehrheit im Parlament vor den anstehenden Präsidentenwahlen auf nur mehr 68 von 127 Stimmen. In einer Nacht- und-Nebel-Aktion, ohne Warnung, und ohne sich von ihren Familien verabschieden zu können, wurden daraufhin 41 Parlamentarier zu ihrem eigenen Schutz und zum physischen Erhalt der Mehrheit in einen gesonderten Hoteltrakt des "Phoenicia" verlegt. Die anderen 27 anti-syrischen Abgeordneten versteckten sich bereits entweder im Ausland, oder hatten sich ihre Häuser in Festungen umbauen lassen.

Leben in Todesangst

"Ich würde tausend Mal lieber zuhause sein, bei meiner Frau, meiner Familie, als hier in diesem Hotel wie in einem Gefängnis auf den Tag X warten zu müssen", klagt der Abgeordnete Wael Abou Faour. Er hat erst vor kurzem geheiratet, und das Paar erwartet im Februar ihr erstes Kind. Eine Tochter - soviel ist sicher; dass der Vater bis dahin das "Phoenicia" verlassen darf, ist auch zu hoffen; ob er aber jemals wieder ein freies Leben ohne Todesangst leben wird können, ist mehr als ungewiss. Alaa Dine Terro, ein anderer Abgeordneter im "Phoenicia", musste tagelang warten, bis man ihm seinen neugeborenen Sohn ins Hotel brachte, damit er ihn sehen und halten konnte.

Carlos Eddé, Parteiführer des Nationalen Blocks im Libanon, berichtete im Gespräch mit der Furche im Europäischen Parlament in Straßburg auch noch von einem anderen Abgeordneten, der mit Zahnschmerzen im Hotel saß und warten musste, bis ein vertrauenswürdiger Zahnarzt die zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen passieren durfte. Eddé war ins Europäische Parlament gereist, um von der EU mehr Unterstützung einzufordern (siehe Interview unten und den Redaktionsblog unter www.furche.at).

Unterstützer und Anhänger der zu ihrer eigenen Sicherheit eingesperrten Abgeordneten bezeichnen das "Phoenicia" als "Freiheits-Hotel" oder "Unabhängigkeits-Hotel" und vergleichen das Gebäude mit der Festung Rashaya im Bekaa-Tal, wo 1943 die libanesischen Freiheitskämpfer von der französischen Kolonialmacht festgehalten wurden.

"Mäuse, die sich verkriechen"

Der politische Gegner höhnt indes über diese Sicherheitsvorkehrungen und macht sich darüber lustig. So schimpfte der frühere pro-syrische Minister Wi'am Wahhab die untergetauchten Abgeordneten "Feiglinge" und spottete: "Nur richtige Männer können einen Staat aufbauen, aber sicher nicht Mäuse, die sich in der Erde verkriechen." Andere Kritiker unterstellen den Abgeordneten, sie würden die Gefahr bewusst übertreiben und sich im "Phoenicia" verschanzen, um sich damit das Interesse der Medien und die Solidarität der nationalen und internationalen Öffentlichkeit sowie die Unterstützung westlicher Regierungen zu erschleichen.

Die Hotel-Exilanten können nur mit einem Argument dagegenhalten, doch dieses wiegt schwer: Bisher wurden nur Politiker und Journalisten und Unterstützer aus dem Lager des anti-syrischen "14. März" ermordet - das ist doch kein Zufall! Unter dem Begriff "14. März" haben sich jene libanesischen Politiker zusammengeschlossen, die sich den politischen Idealen der an diesem Tag im Jahr 2005 abgehaltenen größten Demonstration im Verlauf der "Zedernrevolution" verpflichtet fühlen. Das wichtigste Ziel dieser Fraktion ist die Unabhängigkeit des Libanons von Syrien.

Und wenn die Parlamentarier im "Phoenicia" die Vorhänge an ihren Appartmentfenstern zur Seite schieben, sehen sie genau auf jenes Stück Straße, auf der vor bald drei Jahren ihre Unabhängigkeitsbestrebungen den Ausgang nahmen. Die Straße ist wieder asphaltiert und nur mehr die Trümmerfassaden der angrenzenden Häuser erinnern an den 14. Februar 2005, an dem der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri einem Bombenattentat zum Opfer fiel. Der Mord löste ein politisches Erdbeben aus, das in der "Zedernrevolution" mündete. Syrien wurde dadurch letztlich gezwungen, seine jahrzehntelange Vormachtstellung im Libanon aufzugeben und seine militärischen Truppen abzuziehen.

Was keineswegs heißt, dass Damaskus nicht weiterhin und über vielerlei Kanäle politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf den Nachbarn ausübt. Als wichtigster Mittelsmann Syriens im Libanon galt bis zum vergangenen Freitag Staatspräsident Emile Lahoud. Um Schlag Mitternacht ist dessen Präsidentschaft jedoch ausgelaufen. Seither steht der Libanon ohne Präsidenten da und in der ständigen Gefahr, in den Ausnahmezustand oder gar erneut in einen Bürgerkrieg zu schlittern.

Ein neuer Bürgerkrieg?

Ministerpräsident Fouad Siniora versucht zwar zu beruhigen und die Angst vor einem politischen Chaos zu zerstreuen: "Kein Libanese muss sich Sorgen über die Sicherheitslage machen", sagte er, doch die vielen Soldaten und Barrikaden und gepanzerten Fahrzeuge in den Straßen Beiruts sprechen eine andere Sprache. Die Wahl eines Nachfolgers für Lahoud erweist sich deswegen so schwierig, weil die anti-syrische Koalition unter Saad Hariri, dem Sohn des ermordeten Ex-Premiers, mit ihrer (noch) einfachen Mehrheit im Abgeordnetenhaus jetzt die Chance sieht, einen eigenen Kandidaten auf den nach libanesischer Verfassung wichtigen Präsidentenposten zu wählen.

Die pro-syrische Opposition versucht hingegen, dies unter allen Umständen zu verhindern. Sie drängt auf einen Kompromiss-Kandidaten, doch ein solcher Konsens-Politiker ist im tief gespaltenen Libanon schwierig zu finden. Die libanesische Verfassung lässt zudem bei den Regeln für die Wahl des Präsidenten einen weiten Interpretationsspielraum. Der wird von beiden Lagern zum eigenen Vorteil genutzt. Am kommenden Freitag schlägt der Gong für die nächste Runde in diesem Kampf. Doch auch wenn sich die beiden Fraktionen auf einen neuen Präsidenten einigen können, der Abgeordnete Wael Abou Faour bleibt pessimistisch: "Die Syrer haben uns, die vom, 14. März', zum Tod verurteilt; wenn sie uns jetzt nicht aus politischen Gründen umbringen, werden sie es später tun - aus Rache."

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