Hingehen, mitdenken, mitreden

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Eingeschlafene demokratische Prozesse zu beleben, ist äußerst schwierig. In kleinen Gemeinden gelingt es auch - aber nicht immer.

Die Trends laufen anders in der oberösterreichischen Gemeinde Munderfing. Während zahlreiche Kommunen Österreichs über Arbeitskräfteabwanderung und fehlenden Elan klagen, verzeichnet der Innviertler Ort von Jahr zu Jahr mehr Arbeitsplätze. Seit 1991 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Gemeinde von 423 auf fast 700 erhöht. Diese Steigerung wiegt umso mehr, als der größte Arbeitgeber des Ortes - ein Bauunternehmen - in Konkurs ging.

Vor allem bei Betriebsansiedlungen punktet der Ort. So errichtete beispielsweise der Motorradhersteller KTM sein neues Motorenwerk in Munderfing. "Wir waren ganz einfach schneller als die anderen", erzählt Amtsleiter Erwin Moser. "Wir konnten die Grundablöseverhandlungen für das neue Gewerbegebiet aufgrund der hervorragenden Kommunikation in der Gemeinde in ganz kurzer Zeit abwickeln. Das hat für KTM den Ausschlag gegeben."

Gemeinde nicht als Amt

Der Gemeinde kam nun zugute, dass unbürokratisches Denken in Zusammenhängen kein Neuland mehr war. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Gemeindeverwaltung. "Wir sehen das Gemeindeamt nicht als Verwaltungskörper, sondern als Drehscheibe der Kommunikation. Unser Anliegen ist die Moderation zwischen Bürger und Politik", definiert der Amtsleiter das Selbstverständnis. Die Bewohner sind in die Entscheidungen eingebunden, Leiter von Vereinen nehmen an Ausschusssitzungen der Gemeindeverwaltung teil.

Einmal im Jahr findet ein Gemeindetag statt, bei dem die Bürger auf Probleme hinweisen und ihre Vorschläge einbringen. Die verschwinden aber nicht in einer Schublade. Die Gemeindevertretern diskutierten die vorgebrachten Wünsche und reihen die Vorschläge nach Prioritäten. Und ein Jahr später legen sie beim neuen Gemeindetag darüber Rechenschaft ab, welche der Vorschläge sie in die Tat umgesetzt haben.

Entstanden ist das Munderfinger Modell Mitte der 90er Jahre. Damals erarbeitete die Gemeinde ein neues Ortsentwicklungskonzept und bezog die Bürger in die Entwicklung ein. Das Echo war enorm, es gab eine Vielzahl von Vorschlägen. Daraus kristallisierte sich, in Zusammenarbeit mit einem externen Berater, im Lauf der Zeit ein neues politisches Beteiligungsmodell heraus. Der "Munderfinger Regelkreis" ist ein Weg, um auf kommunaler Ebene Bürgerpartizipation zu verwirklichen.

Was die kleine oberösterreichischen Gemeinde erfolgreich praktiziert, ist ein Beispiel für eine neue Form von politischer Mitbestimmung, die über die repräsentative Demokratie hinausgeht. Zusammengefasst werden diese Ansätze unter dem Begriff "Governance". Die Bezeichnung ist mittlerweile zu einem Modebegriff in der sozialwissenschaftlichen Diskussion avanciert.

Der Sozialwissenschaftler André Martinuzzi von der Wirtschaftsuniversität Wien verdeutlicht, was damit gemeint ist: "Es geht um die vertikale und horizontale Abstimmung von politischen Maßnahmen." Ministerien sollen ihre Eingriffe in das Wirtschaftsleben miteinander koordinieren. Das geschähe bis jetzt sehr selten, so Martinuzzi. Bessere Abstimmung verhindert, dass sich die gesetzten Maßnahmen gegenseitig konterkarieren.

Martinuzzi veranschaulicht das an einem Beispiel: "Wirtschaftlich und verkehrspolitisch betrachtet ist Teleworking gut, sozialpolitisch gesehen aber schlecht. Um einen umfassende Vorstellung zu bekommen, welche Auswirkungen es hat, wenn man Teleworking fördert, müssen Vertreter des Wirtschafts-, Verkehrs- und Sozialministeriums miteinander sprechen und ihr Vorgehen abstimmen. So kommt man zu effektiven, kohärenten politischen Maßnahmen." Und auch die Betroffenen müsse man einbinden. "Erst das schafft den politischen Maßnahmen Legitimität."

Nicht von oben verordnet

Governance soll das Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft - zumindest in Ansätzen - in einen neuen Rahmen fassen. Überwunden werden sollen dabei die sektoralen Entscheidungen, bei denen Expertengruppen Maßnahmen in kleinem Kreis vorbereiten und beschließen.

Eine Art Praxistest erlebt das Governance-Konzept in Österreich bei der Umsetzung von so genannten "Agenda-21-Prozessen". Darunter fallen Projekte, in denen Gemeinden konkrete Schritte zur Sicherung der "nachhaltigen Entwicklung" setzen. Diese Selbstverpflichtung von Kommunen wurde in der Agenda 21, der "Lokalen Agenda", im Jahr 1992 bei der Umweltkonferenz von Rio formuliert. Darin werden die Kommunen aufgefordert, auf lokaler Ebene Maßnahmen im Sinne der Nachhaltigkeit zu verwirklichen. Was geschieht, soll aber nicht von oben "verordnet", sondern von der Bevölkerung aktiv mitgestaltet werden. Auf diese Weise hoffte man, dass Ansätze zur Weiterentwicklung demokratischer Strukturen entstehen würden.

130 Gemeinden haben sich bislang in Österreich für die Umsetzung von Agenda 21-Prozessen entschieden. Bei den Projekten wurden in erster Linie Themen aufgegriffen, von denen die Bürger unmittelbar betroffen waren: Nahversorgung, Tourismus, Wirtschaftsentwicklung und Verkehr. "Entscheidend für die Themenwahl bei den Projekten war nicht der Aspekt der Nachhaltigkeit, sondern der unmittelbare Problemdruck, beispielsweise die nicht vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten im Ort", erläutert die Politologin Ulrike Kozeluh, die in einer Forschungsarbeit die Agenda-21-Prozesse in Österreich untersucht hat.

Mehr Identifikation

Die Partizipation der Bevölkerung dürfe man nicht überbewerten, so Kozeluh. "Im Durchschnitt beteiligten sich vier Prozent der Bevölkerung wenigstens ein Mal aktiv am Agendaprozess. Kontinuierlich mitgearbeitet haben im Schnitt 1,6 Prozent", dämpft die Wissenschafterin allzu große Hoffnungen auf bürgerliche Partizipationsfreude. Trotzdem habe die Erfahrung, gefragt und in Entscheidungen einbezogen zu werden, auch positive Auswirkungen erbracht: "Die Identifikation der Bürger mit ihrer Gemeinde wurde gestärkt." Dauerhafte Veränderungen könnten aber nur dann erzielt werden, wenn es die entsprechende politische Kultur in der Gemeinde gibt.

So finden sich die hehren Ziele der Nachhaltigkeit zwar in den Leitbildern, die in den meisten Agenda-21-Gemeinden entwickelt wurden. Sie wurden aber bisher kaum in die Tat umgesetzt. Genau da setzen die Argumente von Kritikern an. Andreas Bauer, Pressesprecher von Global 2000: "Ziele setzen ist positiv. Aber was wird außer dem vielen Papier wirklich produziert?" Der Umweltprofi glaubt nicht, dass Konzepte wie Governance existierende Interessenkonflikte auflösen können.

"Unbeirrt von solchen kritischen Einwänden hat man in Munderfing bereits einen weiteren Schritt des Governance-Konzeptes fertiggestellt. Im März fand eine Konferenz statt, bei der die Teilnehmer Maßnahmen zu einem lokalen Aktionsplan für Beschäftigung erarbeiteten. Eingebunden waren Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaft, AMS und Schulen. Besonders positiv reagierten die Wirtschaftstreibenden im Ort. Amtsleiter Erwin Moser: "Mit einem Schlag wurde das enorme Potenzial der Gemeinde bewusst."

Der Autor ist freier Journalist.

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