Hirnbild oder Couch?

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Das Interesse der modernen Neurowissenschaften am Unbewussten steigt - und zugleich die Lust, Freuds Seelenkunde auf ihren "Wahrheitsgehalt" hin zu überprüfen.

Geboren als unfertiges Wesen, gequält vom Ödipus-Komplex, getrieben von Eros und Thanatos und geprägt vom Dreieck Ich, Über-Ich und Es: Wie Sigmund Freud das menschliche Seelenleben beschrieb, fasziniert und spaltet bis heute. Vieles wurde revidiert - mit Hinweis auf Freuds "szientistisches Selbstmissverständnis", wonach die Psychoanalyse eine Naturwissenschaft sei. Das Interesse an Freuds Theoriengebäude über die bewussten und unbewussten geistigen Prozesse des Menschen ist indes bis heute ungebrochen.

Insbesondere die modernen Neurowissenschaften zeigen gesteigertes Interesse an der Psychoanalyse - nicht zuletzt, um die darin beschriebenen psychischen Phänomene mit Hilfe bildgebender Verfahren zu "überprüfen". Einen Brückenschlag haben die Neuropsychologin Karen Kaplan-Solms und der Neurowissenschafter und Analytiker Mark Solms gewagt: Bei der von ihnen begründeten "Neuro-Psychoanalyse" gehen sie vom Denken der Hirnforschung ab, wonach bestimmte mentale Funktionen mit ganz bestimmten Arealen im Gehirn - Stichwort "Sprachzentrum" - gekoppelt seien. Nach Ansicht der britischen Forscher hat Freud begriffen, dass etwa die Ursache für komplexe Störungen wie Hysterie, die manchmal mit Lähmungen oder Sprachverlust einhergeht, nicht einfach in der Schädigung einer bestimmten Gehirnregion liegen kann, sondern dass vielmehr eine Art Verstörung der Psyche als solche vorliegt. Ausgehend von dieser Erkenntnis versuchen sie nun, ein "dynamisches Funktionssystem" zu lokalisieren, das zwischen den Gehirnteilen liegt. "Nachdem es hier aber nach wie vor um die Bestimmung von Funktionen und nicht von Inhalten geht, berührt das die Psychoanalyse in der Praxis überhaupt nicht", erklärt August Ruhs von der Universitätsklinik für Tiefenpsychologie und Psychotherapie am Wiener AKH. Deshalb sei es etwa auch sinnlos zu behaupten, dass Freuds Traumdeutung durch die moderne Traumforschung überholt sei. "Das sind zwei völlig verschiedene Ebenen", betont der Initiator des Symposiums "Liebe & Hass. Eine Herausforderung für die moderne Neurobiologe", das vergangenes Wochenende im Vorfeld der fünften FENS-Forums am Alten AKH Wien stattgefunden hat. "Die Traumdeutung ist ein rein hermeneutisches Verfahren, in dem ich einem Phänomen eine Bedeutung zumesse. Dagegen geht es in der modernen Traumforschung um die Untersuchung allgemeiner Funktionen."

Entsprechend nüchtern kommentiert er Visionen wie jene von Eric Kandel, dereinst Psychotherapien mit Hilfe bildgebender Verfahren auf ihre nachweisbare, neurobiologische Wirkung testen zu wollen (vergleiche Interview rechts): "Subjektive Befindlichkeit kann man nicht objektivieren", ist er überzeugt. "Es soll ja nicht den Synapsen gut gehen, sondern der betreffenden Person." In der Psychoanalyse gehe es eben zentral um Selbsterfahrung: "Couch und Fauteuil, drei bis vier Stunden pro Woche und das jahrelang: Daran wird sich auch durch das Brain Imaging nichts ändern." DH

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