"Hitler war der Höhepunkt!"

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Hitlers Deutschland ist Lukaschenkos Vorbild. Und wie um den "Führer" ranken sich um Weißrusslands Präsidenten Gerüchte, und wie Hitler wird er nicht klein beigeben.

Weißrussland, "Europas letzte Diktatur", ist bunt, in jeder Hinsicht bunter als im "freien Westen" vielfach vermutet. Bevor die Ukraine orange wurde, machte die Geschichte von jenen Bürgermeistern die Runde, die den vertrockneten Rasen in ihren Gemeinden grün anstreichen ließen, um dem durchfahrenden ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma den Anblick zu verschönern.

Kutschma ist in der Ukraine Geschichte, beim Nachbarn Weißrussland wird diese nach wie vor von Präsident Alexander Lukaschenko geschrieben; und in Weißrussland wird nach wie vor gestrichen, gekehrt, geputzt: Schulklassen, Vereine, Militär - alles schwärmt an den ersten warmen Frühlingswochenenden aus, um Baumstämme einheitlich mit weißem Ungezieferschutz zu streichen; Straßenrandsteine werden angefärbelt, dort wird ein Geländer, da ein Gullydeckel, anderswo ein Laternenmast lackiert. Und unzählige Hände kehren die Straßen - die zwei Dutzend Meter breiten Prospekte in der Hauptstadt Minsk genauso wie die weniger breiten, immer noch prachtvollen Boulevards in der südlich gelegenen Kreisstadt Gomel.

Tausche Putin für Lukaschenko

"Das ist nicht wegen, das ist trotz Lukaschenko so", sagt Andrei Sannikov. Schon in Sowjet-Zeiten hatte Minsk den Ruf, die gepflegteste Stadt der udssr zu sein, erklärt der Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation "Charta 97" und der im Jänner gestarteten Initiative "Freies Weißrussland". Das ansehnliche Stadtbild der Hauptsstadt ist nicht das Einzige, das sich Weißrussland aus der kommunistischen Ära bewahrt hat: "Wir sind das letzte Stück Sowjetunion", sagt eine Weißrussin, die namentlich nicht genannt werden will: "Sonst treffen Sie mich bei Ihrem nächsten Besuch im Gefängnis." Viele Russen würden sofort Putin gegen "unseren Lukaschenko tauschen", ist die Frau überzeugt, "denn bei uns ist alles so, wie es in der guten Sowjetunion war: Es gibt Arbeit, es ist sicher, es herrscht Ordnung."

Fremden Einfluss stoppen

Andrei Sannikov widerspricht: Der große Unterschied zwischen Gegenwart und Sowjetzeit ist, sagt der Träger des heurigen Bruno-Kreisky-Preises für Menschenrechte (siehe auch Interview), dass "Lukaschenko keine total abgeschlossene Gesellschaft mehr schaffen kann". Der Präsident manipuliere zwar die öffentliche Meinung, fügt Sannikov hinzu, "doch wir wissen über die Welt, und wir wissen, was die Welt über uns denkt - es gibt Internet, es gibt Satelitenfernsehen, wir können reisen, wir sind nicht isoliert, wir wissen, wir haben Freunde".

Diesem Wissen über die Welt außerhalb seines Machtbereichs und diesem Wissen um Freunde wollte Lukaschenko vergangenen Herbst einen Riegel vorschieben: Er drohte, dass keine Kinder aus den von der Tschernobyl-Katastrophe betroffenen Gebieten mehr auf Erholung ins westliche Ausland reisen dürfen. Der schädliche fremde Einfluss sei zu groß, die Kinder sollten nur mehr in Weißrussland erzogen werden. "Ich war entsetzt", sagt eine Lehrerin, " ich dachte damals, ich haue ab, ich gehe zu Fuß über die Grenze, ganz egal wohin, nur weg." Lukaschenko machte seine Drohung - bis jetzt - nicht wahr, und auch die Lehrerin ist geblieben. Warum? "Meine Eltern leben hier, und vielleicht ändert sich ja doch etwas: Man sagt, er sei krank!"

Nicht nur diese Hoffnung, auch der Ärger jener Weißrussen, die in Gegnerschaft zum Präsidenten stehen, nährt sich von Gerüchten: So soll Lukaschenkos Frau in dessen Herkunftsstädtchen ÇSklo¯u wohnen, hunderte Kilometer östlich von Minsk, am rechten Ufer des Dnepr; in der Hauptstadt lebe die Geliebte des Präsidenten, raunt das Volk, und deren Mutter habe den Posten der Gesundheitsministerin zugeschanzt bekommen - "dementsprechend schlecht schaut unser Gesundheitssystem aus", wird geschimpft.

Trotz solcher Missstände und trotz Sannikovs Überzeugung, dass bei "freien und fairen Wahlen, Lukaschenko keine Chance hätte", verehren viele den Präsidenten als "Batka" (Papa). Und Lukaschenko tut alles, um seinem Spitznamen gerecht zu werden: Hier ein Foto im Bauern-Gewand, da eine Fahrt auf dem Mähdrescher oder als Spieler bei einer Eishockey-Partie. "Ich bin weder rechts noch links - ich bin auf der Seite des Volkes", lautet eine seiner Parolen, mit der er zu begeistern versteht.

Keine farbige Revolution

"Lukaschenko hat Politik im Blut", müssen ihm auch seine Gegner zugestehen. Ausgerechnet als Vorsitzender des Anti-Korruptionsausschusses machte er sich im Parlament einen Namen. Nicht zuletzt wegen dieser Lorbeeren wurde er 1994 Präsident. Seither schneidert sich Lukaschenko Weißrussland nach einem historischen Vorbild zurecht: "Die deutsche Ordnung formierte sich im Laufe der Jahrhunderte. Bei Hitler erreichte diese Formierung ihren Höhepunkt. Es ist das, was unseren Vorstellungen über eine präsidiale Republik und die Rolle des Präsidenten entspricht."

In einem Interview 1995 erklärte Lukaschenko dieses, sein Programm. Zehn Jahre später ist viel davon verwirklicht, und der Diktator ist überzeugt, dass Weißrussland keine "orangene oder blaue oder andersfarbige Revolution" heimsucht. Doch Weißrussland ist bunt. Wie schon Marc Chagall über seine Heimat sagte: "Ich öffnete nur mein Fenster, und schon strömten Himmelblau, Liebe und Blumen herein."

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