Hl. Urbanus, bitte für uns!

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Die FPÖ legt in den Umfragen zu, die Europawahlen dürften den nächsten Erfolg bringen. Verwunderlich ist das nicht - gerade der ÖVP müsste es zu denken geben.

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Die FPÖ legt in den Umfragen zu, die Europawahlen dürften den nächsten Erfolg bringen. Verwunderlich ist das nicht - gerade der ÖVP müsste es zu denken geben.

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Gleich in drei Umfragen (Market, IMAS, Gallup) auf Platz eins, dazu ein prognostiziertes Kopf-an-Kopf-Rennen (Poll-Watch) mit SPÖ und ÖVP bei den EU-Wahlen: Für die FPÖ läuft es ziemlich rund zur Zeit. Die einschlägigen Besorgnis-und Empörungsleitartikel können, wie es aussieht, schon bald wieder aus dem Stehsatz geholt werden. Sie werden freilich genauso wenig ausrichten wie in all den Jahren seit Jörg Haiders Aufstieg 1986 ff.

Viel hat dieser zweite Aufstieg der FPÖ nach der Beinahe-Zerbröselung bei den Wahlen 2002 - den man geneigt ist, im Sinne von Karl Marx als Wiederholung der Geschichte im Modus einer "Farce" zu bezeichnen - mit den politischen Mitbewerbern auf nationaler wie europäischer Ebene zu tun, relativ wenig hingegen mit den eigenen Fähigkeiten oder Leistungen. Ersteres gilt grosso modo auch für die Ära Haider, Letzteres hingegen nur sehr bedingt: Dass Jörg Haider ein politisches Ausnahmetalent und durchaus mit Charisma begabt war, haben ihm auch seine heftigsten Gegner nicht abgesprochen.

Ausgelaugte Regierungsparteien

Damals wie heute erweist sich die "immerwährende" Große Koalition strukturell als eine Art Katalysator für freiheitliche Erfolge. Deutlich an Qualität verloren hat indes das handelnde Personal. Vor allem die einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP sind inhaltlich-ideologisch wie personell (von wenigen Ausnahmen abgesehen) weitgehend ausgelaugt. Das düngt den blauen Boden. In besonderer Weise kommen der FPÖ freilich zwei Dinge zugute: die Beliebigkeit, Unberechenbarkeit und/oder Unverlässlichkeit der ÖVP und das grassierende Unbehagen gegenüber der Europäischen Union (wobei es insofern zwischen beiden Zusammenhänge gibt, als die ÖVP wohl auch europapolitisch viele ihrer potenziellen Wähler im Regen stehen lässt).

Seit der Stadt-Salzburg-Wahl gilt ja wieder einmal als ausgemacht, dass es der ÖVP an Urbanität fehle und dass sie nichts weiter zu tun habe, als all jene Ratschläge zu befolgen, die ihr seit Jahr und Tag von den Vertretern der Mehrheitsmeinung des öffentlichen Diskurses ins Stammbuch geschrieben werden -was im Ergebnis auf eine Positionierung irgendwo zwischen Pink (Neos) und Grün, gerne mit ein paar roten Tupfern, hinausliefe. Dass die meisten dieser Wohlmeinenden auch eine solcherart modernisierte, "urbanisierte" ÖVP weder wählen noch publizistisch unterstützen würden, steht auf einem anderen Blatt. Ungeachtet dessen hat der Diskurs seine Wirkung nicht verfehlt: Nicht wenige in der ÖVP scheinen zunehmend daran zu glauben, dass man sich zumindest gesellschaftspolitisch links der Mitte aufstellen müsse, um bei den Wählern zu reüssieren. "Heiliger Urbanus, bitte für uns!" würde es vielleicht der bekenntnisfreudige Landwirtschaftsminister ausdrücken (auch wenn jener eigentlich der Patron der Winzer ist).

Weites Feld für die FPÖ

Das eröffnet ein weites Feld für die FPÖ, die sich dann auch erlauben kann, zu gegebenem Anlass bzw. vor dem "richtigen" Publikum vergleichsweise moderate Töne anzuschlagen. Selbiges gilt auch für die EU-Politik. Dort formuliert Spitzenkandidat Andreas Mölzer in großen Interviews (ZIB 2, Presse) gelassen Positionen, die man über weite Strecken als durchaus bürgerlich bezeichnen könnte. Die ÖVP dürfte hingegen nicht verstanden haben, dass viele Transformationen, welche die Europäische Union in den letzten Jahren durchgemacht hat, im Gegensatz zu den Haltungen und Überzeugungen ihrer Wähler stehen. Es sind eben keineswegs nur rabiate EU-Gegner an den rechten (und linken) Rändern, denen ein undifferenziertes "Mehr Europa" zunehmend suspekt ist.

Vielleicht aber muss es ja noch weiter bergab gehen, bis es zu einer tiefgreifenden Erneuerung kommt - was im übrigen auch für die Sozialdemokratie gilt. Einstweilen gibt es dankbare Profiteure, im Großen (FPÖ) wie im Kleinen (Neos).

rudolf.mitloehner@furche.at

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