"Hochstapelei, nicht Integration"

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Das Integrationskonzept der Bundesregierung ist für Hans-Jürgen Krumm ein fachlicher Rückschritt und unzumutbar. Krumm ist Inhaber der Lehrkanzel für Deutsch als Fremdsprache an der Uni Wien.

die furche: Herr Professor, wie beurteilt der Fachmann die so genannte Integrationsvereinbarung der Regierung?

hans-jürgen krumm: Das Wort Integration ist in diesem Fall eine Hochstapelei. Denn tatsächlich ist es jetzt so, dass die Regierung, ohne uns zu fragen, ein Integrationskonzept gemacht hat, das wir fachlich für einen Rückschritt und für unzumutbar halten. Alle Fachleute in Österreich und auch international hätten sich beteiligt, wären wir von der Regierung aufgefordert worden, ein Integrationskonzept zu entwickeln. Ich gehöre in Deutschland einem solchen Fachbeirat an. In Österreich aber sollen wir nur bei der Umsetzung helfen. Damit würden wir uns als fachliches Alibi für etwas hergeben, was fachlich nicht zu rechtfertigen ist.

die furche: Was stört Sie im Detail an der Integrationsvereinbarung?

krumm: Die geplanten 100 Stunden Sprachunterricht sind so lächerlich, dass wir da überhaupt nicht über ein ernsthaftes Sprachlernangebot reden können. Wir müssen doch immer bedenken, es geht hier um Menschen, die ihre Welt wechseln, die in eine fremde Welt hinein wachsen müssen. Lernen braucht Zeit, der Wechsel der sprachlichen Identität braucht viel Zeit. Das heißt nicht, dass 100-Stunden-Kurse etwas Falsches wären. Für Zuwanderer einen 100-stündigen Schnupper- oder Orientierungskurs anzubieten, ist sicher gut. Ein Gefühl für die neue Sprache kann da entstehen, man lernt grundlegende Dinge, wie den Stadtplan zu lesen oder die Bedeutung der Zeichen in der U-Bahn zu entziffern und vieles andere mehr. Das kann durchaus sehr nützlich sein, wenn es ohne Prüfung und ohne Druck geschieht.

die furche: In der Vereinbarung ist aber von einem bundesweit standardisiertem Multiple-Choice-Test die Rede.

krumm: Sprachunterricht verträgt am Anfang gar keine Prüfungen, denn um in einer fremden Sprache zu sprechen, muss ich Risiken eingehen. Ich muss mich auf fremdes Terrain wagen. Ich muss einkalkulieren, dass ich Fehler mache und trotzdem den Mund aufmachen. Das kann ich nicht, wenn ich Angst davor habe, durchzufallen. Mit Multiple-Choice kann ich zum Beispiel unsere Interaktion, wie gehe ich auf Ihre Fragen ein, überhaupt nicht prüfen. Und Multiple-Choice-Tests haben einen "cultural bias": In vielen Ländern ist es Tradition, Lesen und Schreiben mit Hilfe religiöser Schriften zu lernen. Oder jemand kommt aus einem Land, wo Papier knapp ist, wo Gedrucktes hohen Stellenwert hat. Mir hat einmal ein Ausländer gesagt: "Wie, Sie schreiben da Dinge um mich in die Irre zu führen. Das ist doch unredlich!" Bis jemand in diese Prüfungsmentalität hinein findet, das dauert.

In amerikanischen Krimis heißt es bei einer Verhaftung immer so schön: "Sie dürfen die Aussage verweigern, alles was Sie sagen, darf vor Gericht gegen Sie verwendet werden." Bei der Integrationsvereinbarung lautet das Sprüchlein so: Sie müssen den Sprachkurs machen und die Hälfte selbst bezahlen. Sie müssen in dem Sprachtest reden, aber alles was Sie sagen wird eventuell als Fehler, als Ausweisungsgrund gegen Sie benutzt. Das ist ein Widerspruch in sich. Mit dieser Strafandrohung kriegt man niemanden zum Reden. Das widerspricht den elementaren Rechten, sich nicht selbst zu schaden.

die furche: Ist die Integrationspolitik der Europäischen Union in ihren Entschließungen und Konventionen weiter als Österreich?

krumm: Ja bestimmt! Das hat einen simplen Grund: Angefangen hat es, als klassische Gastarbeiterländer - Portugal, Spanien, Griechenland - EU-Länder wurden und darauf Wert legten, dass ihre migrierenden Bürger bessere Zugänge zu Sprache und Arbeitsmarkt in den Zuwanderungsländern erhalten. Deswegen gibt es schon lange ein generelles Konzept des Europarates und der Europäischen Union in zunehmenden Maße, das besagt, für Zuwanderer müsse man zwei Dinge tun: erstens Herkunftssprache und Herkunftskultur respektieren und den Migranten Erhaltungsangebote machen und zweitens einen guten Zugang zur Sprache des Aufnahmelandes ermöglichen. Die EU sagt deutlich: Beides gehört zusammen, und die Union hat auch erkannt, dass eine gute Erstsprache das Erlernen der Zweitsprache fördert. Diese EU-Entschließungen trägt Österreich alle voll mit, und sie sind von den zuständigen Regierungsmitgliedern unterschrieben. Die Integrationsvereinbarung fällt fachlich und sprachenpolitisch aber weit dahinter zurück.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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