Höchste Autorität des sunnitischen Islam

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D er Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo ist eine der höchsten Lehrautoritäten im sunnitischen Islam. Auch wenn der jeweilige Amtsinhaber in der derzeitigen politischen Konstellation stark vom Wohlwollen der Machthaber in Kairo abhängt – auch Muhammad Sajid al-Tantawi war von Staatspräsident Hosni Mubarak eingesetzt worden –, gilt sein Wort viel in der islamischen Welt und seine Gelehrsamkeit prägt die islamische Rechtsauffassung der Zeit.

Auch Großscheich Tantawi, der überraschend in Saudi-Arabien einem Herzinfarkt erlag und in der Propheten-Stadt Medina beerdigt wurde, übte sein Amt in dieser Autorität aus. Er war auch ein geachteter Partner im Gespräch der Religionen. Kardinal Jean-Louis Tauran, Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog bezeichnete Tantawi als „Freund“ und als „Mann des Friedens“. Erst Ende Februar waren Tauran und Tantawi bei einem Dialog-Treffen an der Al-Azhar-Universität zusammengetroffen. Tantawi hatte sich auch in den Wirren des Karikaturenstreits oder nach der von vielen Muslimen kritisierten Regensburger Rede von Benedikt XVI. als besonnene islamische Stimme erwiesen, die versuchte, keine Brücken abbrechen zu lassen. Im Jahr 2000 war Tantawi mit Papst Johannes Paul II. zusammengetroffen, eine geplante Begegnung mit Benedikt XVI. wurde 2007 allerdings von Tantawi wieder storniert; man vermutet tagespolitische Gründe hinter dieser Absage, konkret dürfte die Kritik von Muslimbrüdern an der Begegnung dafür den Ausschlag gegeben haben.

Unterschiedliche Bewertung

Der 1928 in Oberägypten Geborene war 1986 zum Großmufti der Republik ernannt worden, 1996 wurde er zum 43. Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo. Seine Fatwas, islamische Rechtsgutachten, lösten sowohl in der islamischen Welt als auch im Westen nicht immer Zustimmung aus – wenn auch in unterschiedlichen Themenbereichen. So wurde seine zögerliche Bewertung palästinischer Selbstmordattentäter (bei grundsätzlicher Ablehnung von Selbstmordattentaten gegen Zivilisten) im Westen kritisiert, während er in der islamischen Welt wegen seiner Fatwas zu Bekleidungsvorschriften nicht unumstritten war. Erst im Oktober 2009 hatte er etwa den Ganzkörperschleier als „Tradition“, die „in keiner Verbindung zur Religion“ stehe, qualifiziert, und 2003 löste er eine Kontroverse aus, weil er der französischen Regierung das Recht zugestand, das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Schulen zu verbieten. Tantawi sprach sich auch gegen die im Norden Afrikas verbreitete Frauenbeschneidung aus. Seine Positionen zu Apostaten und Bücherverboten hingegen ließen ihn als Hardliner aussehen.

Im Jahr 2002 organisierte Tantawi gemeinsam mit dem damaligen anglikanischen Weltoberhaupt, Erzbischof George Carey von Canterbury, eine islamisch-christlich-jüdische Dialog-Konferenz in Alexandria, an der auch ein jüdischer Rabbiner und israelischer Vizeminister teilnahm. Auch Tantawis Begegnung mit Israels Staatspräsident Schimon Peres bei einer UN-Konferenz in New York 2008 machte Furore und bei islamistischen Hardlinern böses Blut. Den „Friedliebenden“ unter den Muslimen, aber auch bei Christen und Juden wird der verstorbene Großscheich der Al-Azhar-Universität als Mann des Dialogs und des Friedens unter den Religionen in Erinnerung bleiben.

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