Höchste Zeit für Eigenständigkeit

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Dass die Folgeschäden des Hurrikans Harvey zu einem Umdenken des US-Präsidenten in Sachen Klimawandel beitragen, ist zu bezweifeln. Einige seiner größten Geldgeber aus der texanischen Erdöl-und Erdgasindustrie haben ja schon bisher dafür gesorgt, dass Umweltthemen ganz unten auf der politischen Agenda stehen, auch wenn Klimaforscher seit längerem vor der Häufung von "Jahrhundertfluten" gewarnt haben.

Die Lobby der Leugner des Klimawandels ist mächtig. Sie finanziert nicht nur jene Lehrstühle, Think Tanks und Vorfeldorganisationen, die daran mitgewirkt haben, dass der amtierende Präsident des Westens das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt hat. Einflussreiche Big Spender mischen auch in anderen Themenfeldern mit und investieren viele Milliarden Dollar in parlamentarische und mediale Erfüllungsgehilfen für ihren Feldzug zur Stärkung der Superreichen auf Kosten von Sozialhilfe und Krankenversicherung. Auch deshalb ist die amerikanische Gesellschaft in diesen Fragen heute tief gespalten. Der Grundkonsens darüber, wohin sich das Land entwickeln soll, erodiert.

Ist das in Europa anders? In einer ganz grobkörnigen Betrachtung lässt sich diese Frage -noch -positiv beantworten. Der Stellenwert von Umweltpolitik ist unbestritten, die Erfolge in Sachen Luft- und Wasserreinhaltung können sich sehen lassen, über die Notwendigkeit, endlich massiver gegen den unmäßigen CO2-Ausstoß vorzugehen, besteht wenigstens grundsätzlich Einigkeit. Vor allem aber gibt es -bei aller Unterschiedlichkeit der konkreten Ausprägung - weitgehende Übereinstimmung über die Eckpfeiler moderner, durch dynamische Marktwirtschaften getragener Sozialstaaten. Wie stark sich dieses Grundverständnis von jenem der USA unterscheidet, wird uns erst langsam bewusst.

Europäische vs. US-Positionen

Dass es einen breiten, gesamteuropäischen Konsens über ein Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell gibt, dem sich parteiübergreifend große Mehrheiten der Bevölkerung anschließen können, ist von nicht zu unterschätzendem Wert. Auf diesem Sozialkapital der Gemeinsamkeiten aufbauend ließen sich auch in anderen Bereichen - von der Handelsbis zur Außenpolitik - endlich eigenständigere europäische Positionen entwickeln. Diese Chance, sich von bloßer Nachbildung amerikanischer Entwicklungen zu emanzipieren, müssen wir endlich wahrnehmen.

Ähnliches gilt für die nationale Ebene. Es ist unsinnig, wenn Wahlkampfberater künstliche Unterschiede zwischen Parteien dort konstruieren, wo sie längst nicht mehr existieren. Hinsichtlich Tempo und Methoden bei der Umsetzung überfälliger Reformen bleibt auch so genügend Stoff für Sachkonflikte. Aber man sollte nicht so tun, als gäbe es noch die alten ideologischen Gräben von dazumal. Die aktuellen Herausforderungen - von der Globalisierung über die Digitalisierung bis zu den andrängenden Migrationsfragen -sind anspruchsvoll genug. Bei ihrer Bewältigung werden wir den beachtlichen Vorrat an Gemeinsamkeiten gut brauchen können.

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