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In Russland wird die Opposition brutal unterdrückt, in China droht Gegnern des Regimes Kerker und Isolation: Beide Staaten gelten uns als Krisenretter.

Von Zeit zu Zeit sind Hoffnungsträger hochwillkommen, gerade in der Politik. Erinnern wir uns an Barack Obama, der den USA vermutlich durch seine Überdosis positiven Denkens gerade noch den emotionellen und wirtschaftlichen Untergang durch strauchelnde Banken und geplatzte Immobilienkredite ersparte. So mutig, so zuversichtlich, so beliebt in aller Welt waren die USA davor jahrelang nicht gewesen.

Besonders in Menschenrechtsangelegenheiten galt das auch für Deutschlands Angela Merkel, nachdem sie 2005 Regierungschefin geworden war. Vorbei die Zeiten, da ein deutscher Kanzler einem russischen Präsidenten wie Wladimir Putin zugedachte, ein "lupenreiner Demokrat“ zu sein, während der gerade dabei war, die Opposition in Russland aus dem Weg zu räumen.

Merkel war anders. Lupenreiner Demokrat? "Das habe ich nicht gesagt und würde es auch nie sagen.“ Vorsichtige Diplomaten mochten die Kanzlerin damals gar nicht. Und dann noch die Sache mit China: 2007 empfing sie den von Peking als Todfeind betrachteten Dalai Lama in Berlin und zwar "sehr bewusst“, wie sie ausrichten ließ. Menschenrechte, freie Meinungsäußerung, Freiheit - so sah das aus - bevor die Krise kam.

Der Abschied von hehren Ideen

Nun aber - in den Abwärtsbewegungen der Konjunktur - scheint die politische Begeisterung für hehre Ideale verschüttzugehen. Sie fallen einem eigenartigen "Substitutionseffekt“ zum Opfer: Zum einen verschwinden Grundrechte, freie Medien, Regimekritik aus den Verhandlungsunterlagen politischer Delegationen. Ganz nach vorne gereiht werden dafür: Autos, Maschinen, Technologie - sprich Arbeitsplätze, um die man sich politischen Erfolg kaufen kann - und am Ende vielleicht einen Wahlsieg.

Diese ins allzu Reale umgepolten Hoffnungen sind derzeit überall sichtbar und werden am Umgang Europas mit den beiden oben genannten Exportzielländern besonders deutlich: Russland und China. Da die eine Agenda - der Schutz der Menschenrechte - mit dem anderen Phänomen - Krisenbekämpfung - in direkter Konkurrenz steht, sollen die beiden hier auch gegenübergestellt werden.

Es war am 23. August, als Russland überschwänglich seine Aufnahme in die Welthandelsorganisation WTO feierte. Präsident Wladimir Putin sprach im Fernsehen von den "großen Möglichkeiten“, welche die Öffnung der internationalen Märkte für Russland bedeuten: Mehr als 2,4 Milliarden Euro an Zöllen und Abgaben für russische Exportprodukte werden entfallen, so die WTO. Dazu wird Russland leichter und billiger Waren importieren können. In Brüssel freute sich der zuständige EU-Handelskommissar Karel de Gucht auf "die Erleichterung von Investments und die vielfältigen Business-Möglichkeiten für russische und europäische Unternehmen“. 2007 war das Ersuchen Russlands auf WTO-Aufnahme noch zurückgestellt worden - damals wegen des Einmarsches russischer Truppen in Südossetien. Doch von solchen diplomatischen "Strafen“ kann nun keine Rede mehr sein.

Doch zurück zum 23. August. Während Wladimir Putin über die WTO sprach, beklagte der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin in einer Aussendung das Urteil gegen die drei Künstlerinnen der Gruppe Pussy Riot. Drei junge Frauen waren in der Woche davor in einem Schauprozess zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden, weil sie in der Moskauer Erlöserkirche lautstark gebetet hatten: "Maria erlöse uns von Wladimir Putin.“ Bedauernd meinte Lukin, das Urteil sei "unverhältnismäßig“ und dass sich "Intoleranz und Brutalität in Russland ausbreiten“.

Ein aktueller Bericht des Thinktanks "European Council on Foreign Affairs“ über Russland vermerkt einen "Paradigmenwechsel“ in der Russlandpolitik der USA aber auch Europas. "Die Träume der EU eine Supermacht der Rechtsstaatlichkeit zu werden wurden erschüttert. Gegenüber Russland hat die EU ihren Standpunkt aufgegeben, ein Transformator (Richtung Demokratie, Anm.) sein zu wollen und akzeptiert Russland nun als "kleines China“, mit dem man Geschäfte macht, es aber nicht zu ändern versucht oder kritisiert.“

Markt und Wachstum

Klein-China also. Am vergangenen Sonntag begann in Moskau die internationale Automesse. Der Volkswagenkonzern gab zu Beginn des Großereignisses bekannt, im russischen Kagula ein neues Motorenwerk bauen und dafür 250 Millionen Euro investieren zu wollen. VW-Vorstandschef Martin Winterkorn war eigens angereist, um zu verkünden: "Russland ist für Volkswagen der strategische Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa. Bis 2018 wollen wir hier 500.000 Fahrzeuge jährlich verkaufen.“ Ähnliche Neuigkeiten gab es auch vom Opel-Messestand: Die russische Produktion soll mehr als verdoppelt werden. Opel rechnet mit einer Steigerung der Fertigung von 98.000 auf 230.000 Autos bis 2015.

Korruption und Opposition

Das ist keine isolierte Entwicklung. Das deutsche statistische Bundesamt gab für 2011 einen Exportzuwachs deutscher Unternehmen in Russland mit 14,8 Prozent an. Die Exporte der EU stiegen um 16 Prozent. Ein Schelm, der an sinkende Hemmschwellen dächte: Im Korruptionsranking von Transparency International liegt Russland hinter Papua Neuguinea an 154. Stelle - Tendenz fallend. Ergänzung: In einem Weltranking der Milliardäre belegt Russland Platz drei.

Wie ist die Lage der anderen Russen? Was die Menschenrechte betrifft ziemlich eindeutig: Nicht weniger als 20 Prozent aller Klagen, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugehen, stammen aus Russland. Die Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin stuft das Land als "unfrei“ ein.

Am 24. August musste sich der ehemalige Schachweltmeister Gary Kasparow in Moskau bezüglich einer Anklage wegen öffentlicher Ruhestörung verantworten. Kasparow war am 17. August bei einer Demonstration - ebenso wie Hunderte andere - verhaftet worden. Danach wurde behauptet, er habe einen Polizisten gebissen. Strafdrohung: fünf Jahre Haft. Es ist nicht der einizger prominente Fall: Der Blogger Alexeij Nawalny steht seit einem Monat unter Hausarrest. Er hatte nach Putins Wahl die Demonstrationen der Demokatiebewegung in Moskau organisiert. Nun wird ihm vorgeworfen, den Staat bei Holzkäufen betrogen zu haben. Strafrahmen: 10 Jahre.

Das führt zur Innensicht: Laut einer Umfrage des "Levada Center“ fühlen sich 67 Prozent der Russen in Gegenwart von Polizisten "nervös“. 58 Prozent fühlen sich "nicht vom Gesetz beschützt“. Am 28. August flohen zwei von der Polizei gesuchte Mitglieder von Pussy Riot aus dem Land, nachdem auch gegen sie Anklage wegen "Herabwürdigung“ erhoben worden war.

Klein-China, Groß-China.

Ortswechsel: Peking, 30. August: Zwei Airbus-Flugzeuge der deutschen Luftwaffe setzen sicher auf dem Rollfeld des Shoudu Guoji Jichang-Flughafens auf. Angela Merkel hat nicht weniger als sieben ihrer 14 Minister, zwei Staatssekretäre und die Chefs der wichtigsten deutschen Industriekonzerne mit im Gefolge - es ist die größte deutsche Delegation die je Peking besuchte.

Es geht um viel: Die Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung hängt unter anderen um den Stabilisierungsmaßnahmen der Zentralbank in Peking ab - unter anderem ihrer Bereitschaft zum Kauf europäischer Staatsanleihen. Für Deutschland selbst geht es um die Rettung vor dem wirtschaftlichen Abwärtstrend in Europa -und so gesehen um fast alles.

2011 exportierte die EU Waren im Wert von 136 Milliarden Euro nach China. Das waren um 20 Milliarden mehr als noch 2010. Die Hälfte dieser Waren und Dienstleistungen stammte aus Deutschland. Vielleicht ist das der Grund, warum Chinas Präsident Wen Jiabao lächelt, wenn er Angela Merkel ansieht: "Wir gehen Hand in Hand“, sagt er. Merkel lobt den "Höhepunkt in der Wirtschaftskooperation“.

Tatsächlich tätigt sie in zwei Tagen Geschäftsabschlüsse in Höhe von sechs Milliarden Euro. Volkswagen wird ein Getriebewerk in Tianjin, Wens Heimatstadt, bauen: 450.000 Stück sollen dort jährlich gefertigt werden. Es ist einer von elf Standorten des größten europäischen Autobauers. Für Airbus besiegelt die Kanzlerin den Verkauf von 50 Maschinen des Typs A320. Die feierliche Unterzeichnung des 3,2 Milliarden-Eurodeals erfolgt in der Halle des Volkes. Es ist ein großer Tag. Auch ein großer Tag für Europa? Die EU-Kommission arbeitet an einer Klage wegen Preisdumpings Chinas zum Schaden europäischer Solaranlagenhersteller. Merkel distanziert sich von der Klage und fordert einen "Dialog, um das Problem zu lösen“. Wen Jiaobao ist begeistert.

Proteste zur Medienfreiheit

Die andere Seite Chinas: Kurz vor ihrem Besuch richteten die Korrespondenten deutscher Medien in China einen Bittbrief an die Kanzlerin. "Polizei und Staatssicherheit behindern unverändert unsere Arbeit, wenn wir über sensible Themen berichten“, heißt es in dem Schreiben. Chinesische Mitarbeiter der Korrespondenten würden unter Druck gesetzt, die Journalisten auszuspionieren. Die chinesische Botschaft in Berlin interveniere zudem bei Vorgesetzten in den Stammredaktionen in Deutschland. Die Journalisten baten Merkel, sie möge bei ihrem Besuch diese Probleme ansprechen. Ob dies geschah, ist unklar. Schon Anfang August hatten hundert ausländische Journalisten eine deutliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen beklagt.

Die Korrespondenten sind noch vergleichsweise gut bedient. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sitzen derzeit 5500 Personen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung“ in Haft, viele davon sind Journalisten oder Blogger. Dissidenten werden nach Darstellung der NGO "Chinese Human Rights Defenders“ oft in psychiatrische Kliniken eingeliefert.

Einer der Regimekritiker, der Künstler Ai Weiwei wollte Merkel "gerne treffen“. Das Gespräch fand nicht statt. Ai Weiwei bleibt nach eigenen Angaben die Erinnerung an eine gar nicht ferne Zeit als Politiker wie Merkel "sehr hilfreich und besorgt“ gewesen sind. Vergangene Zeiten. Unbehelligt von Kritik aus dem Ausland ermitteln nun Chinas Behörden gegen den Künstler: wegen Pornografie und verbotenem Geldwechsel.

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