Hohe Radioaktivität und viel Krebs

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Zehn Jahre nach dem Golfkrieg leidet die Bevölkerung des Irak ebenso an dessen Umweltfolgen wie an dem seither verhängten Embargo-Maßnahmen.

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Zehn Jahre nach dem Golfkrieg leidet die Bevölkerung des Irak ebenso an dessen Umweltfolgen wie an dem seither verhängten Embargo-Maßnahmen.

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In der Kinderabteilung im Spitalszentrum von Basra im Südirak: Unser Rundgang mit der Fachärztin für Kinder-Krebstherapie wird zum Alptraum: Hier eine Mutter, die schon ihr viertes (!) Kind in den nächsten Stunden an Leukämie sterben sehen wird. Im nächsten Bett ein kleines Mädchen im schönsten spitzenbesetzten Kleid, die Mutter im schwarzen Tschador neben ihr. "Auch diese Fünfjährige stirbt in den nächsten Stunden", sagt der Arzt Janan Ghlib. "Es ist auch für uns sehr schlimm, denn in diesen Wochen im Spital bauen wir doch enge Beziehungen zu den Kindern auf."

Es ist schwer, dem kleinen Mädchen ins Gesicht zu schauen, sie hat die Augen aufgeschlagen, das Wort "verklärt" kommt mir in den Sinn und ich bin auf den dunklen Gang hinausgegangen, wo mich niemand sieht ...

Die Fachärztin Eva Maria Hobiger, Radio-Onkologin (also auf die Krebs-Strahlentherapie spezialisiert) aus Wien ist von der Gesellschaft für österreichisch-arabische Beziehungen (GÖAB) in den Irak eingeladen worden und zutiefst betroffen. Eine Fotodokumentation zeigt Missgeburten ohne Kopf und Glieder, Gehirntumore, die aus den Augenhöhlen wachsen, Kinder im letzten Leukämie-Stadium.

Solche extremen Fälle habe sie bei uns in keinem Fachbuch gesehen, sagt sie. "Bis zu 80 Prozent der Leukämiefälle könnten geheilt werden, gäbe es Medikamente und intakte Geräte wie bei uns. Denn die Ausbildung der Ärzte hier ist hervorragend, viele haben an renommierten europäischen Universitäten studiert."

So sehr "amnesty international" die derzeitige Menschenrechtssituation im Irak zurecht kritisiert, bleibt doch die Tatsache, dass dieses Land vor dem Krieg den höchsten wissenschaftlichen Standard im Nahen Osten hatte.

Aber das Embargo verhindert den Ankauf neuer Kobaltquellen. "Die beiden letzten intakten Kobaltgeräte haben schon eine derart geringe Leistung, dass die Patienten statt eineinhalb Minuten, eine halbe Stunde bestrahlt werden müssen", erklärt Hobiger uns nach langen Fachgesprächen mit den Fachärzten.

Nur ein Bruchteil der steigenden Zahl von Krebspatienten kann behandelt werden. Und für die Geräte zur genauen Einstellung des Bestrahlungsfeldes gibt es keine Ersatzteile, die Handzeichnungen sind zu ungenau. Dazu kommt, dass kaum ein Patient unbeweglich die halbe Stunde liegen kann, die kleinste Bewegung bedeutet aber, dass gesundes Gewebe zerstört wird und der Tumor weiterwächst.

Fast genau am Tag vor zehn Jahren war ich zum Ende der US-Bombardements in diesem Spital. "Es ist besser, die Kinder sterben zuhause in ihrer vertrauten Umgebung", sagte damals ein Arzt und es waren nur wenige Betten belegt. Es gab keinen Strom und kaum Medikamente, Bomben und Tomahawk-Marschflugkörper hatten ganze Arbeit geleistet. Das Schreien verbrannter Kinder erfüllte Zimmer und Gänge. Aber heute, zehn Jahr später, sind auch die Einrichtungen, die damals noch funktioniert haben, zugrunde gegangen.

Zwei Tage später: Mit einem Generalarzt der irakischen Armee können wir vom Schatt el Arab im Süden des Irak zu den Schlachtfeldern von 1991 ins Grenzgebiet von Kuwait fahren. Mit dabei ist ein irakischer Kollege der Wiener Ärztin mit Geigerzähler.

Riesige, verseuchte Landstriche Ganze Panzerdivisionen wurden hier am "Highway des Todes" von der USAir Force vernichtet, Tonnen von Uranmunition verseuchen seither riesige Landstriche, der Wind trug den Uranstaub weit nach Norden. Als wir beim ersten "Panzerfriedhof" aussteigen, erhalten wir Atemschutzmasken, Plastikhandschuhe und große Plastiksäcke für Schuhe und Hosenbeine. Die vielen Soldaten hier im Sperrgebiet tragen allerrdings keinerlei Schutzkleidung.

Rotbraun verrostete Panzerwracks, abgesprengte Türme, ausgebrannte Lkw-Skelette, Raupenketten liegen hier endlos im Sand. Abdul Wahab hält den Geigerzähler an das Einschussloch eines Panzerturms, er zeigt 30 Millirem pro Stunde, also alarmierend hohe Radioaktivität.

Dann das riesige Tanklager Kalaneg weiter im Südwesten: Riesentanks, bizarr zerbombte Eisenkonstruktionen, zerschossene Unterkünfte und Rohrleitungen. Hier messe man die höchste Radioaktivität im Irak, so der General. Hobiger und ihr irakischer Kollege messen an Einschlagstellen, verstreuten Uranmunitionen, durchlöcherten Riesenrohren. Der Zeiger rattert jeweils bis zum Anschlag auf höchster Messstufe. Das Gerät muss abgeschaltet werden, solche Extremwerte verkraftet es nicht.

Viereinhalb Millionen Jahre wird die Wüste verseucht bleiben, bis das Uranium zerfällt. Kamele weiden dürre Grasbüschel, Nomaden stochern im Sand. Eine Art arabischer Trüffel würden sie suchen, erklärt der Arzt Al Jibouri. Ja, alles sei verseucht, man hätte die Nomaden von hier vertreiben wollen, einige sogar verhaftet, aber sie kehrten zurück, wollen hier leben und sterben.

"Sicher besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der extrem hohen Krebsrate in Basra und der Verseuchung mit angereichertem Uran im Süden", erklärt Hobiger. Auch Univ. Prof. Horst Siegwart Günther hatte nach mehreren Aufenthalten im Südirak Krebs und krebsähnliche Krankheitsbilder als Folge der Verseuchung festgestellt (furche 3/2001).

Schon 1991 hatte Ramsey Clark, früher US-Verteidigungsminister und heute Leiter eines Menschenrechtsbüros in Washington in seinem Buch "Desert storm" dem Irak für das folgende Jahrzehnt einen enormen Anstieg der Krebs- und Leukämiefälle vorhergesagt. Allerdings halten die NATO und die USA dem entgegen, im Irak würden endgültige Beweise für eine Verseuchung ebenso fehlen wie im Kosovo. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will untersuchen, aber ihre letzten Statements über Iraks Spitäler ("sie haben annähernd normale Standards erreicht") lässt auch im Fall Uranmunition auf wenig Objektivität hoffen.

1996 kam es zum Programm "Oil for Food": Die Milliarden Dollar aus den irakischen Erdölverkäufen kommen auf ein UN-Konto in New York. Ein Drittel geht als Entschädigung an Kuwait, etwa 13 Prozent an die Kurden im Norden, mit weitere vier Prozent finanzieren sich die UN-Kommissionen im Irak: Die UNSCOM soll das Verbot beziehungsweise die Zerstörung von Massenvernichtungswaffen im Land Saddam Husseins durchsetzen, aber Streit zwischen Kontrolloren und Regime führten zur Ausweisung der UNSCOM Ende 1998.

Großes Leiden der Bevölkerung Opfer ist das irakische Volk, denn das von den USA dominierte UN-Hilfsprogramm für den Irak (UNHCI) selektiert schikanös die Einkaufslisten des Irak streng nach "dual use", das heißt: Alles, was auch nur im entferntesten der Aufrüstung dienen könnte, wird gestrichen, auch die Kobaltquellen für die Krebsbestrahlungsgeräte.

So kann das diktatorische Regime Saddam Husseins alle Schuld am Elend des Volkes auf die Verantwortliche des Embargos abwälzen, Schwarzhändler und Blockadebrecher verdienen Unsummen, die Menschen verkaufen ihr letztes für Medikamente und Lebensmittel.

Selbst "coole" UN-Diplomaten vor Ort protestieren: Dennis Halliday ("besser die UNO verliert ihr Gesicht, als hunderttausende Kinder sterben") trat als Leiter des UNO-Hilfsprogramms nach zwei Jahren zurück. Sein Nachfolger, Hans von Sponeck, im Februar 2000 (furche 23/2000) ebenso. Und auch der anfangs gefügige neue Leiter, der birmanische Diplomat Tun Myat, zweifelt nunmehr in Bagdad an der Sinnhaftigkeit des Embargos. Und von UNO-Mitgliedsländern verfasste Studien schlagen völlig neue Verhandlungen mit dem Irak vor, die den Menschen hier eine Chance geben könnten.

Der Autor ist freier Journalist in Wien.

Spenden GÖÄB und Dr. Eva Maria Hobiger starten eine Hilfsaktion für die Kinderkrebsklinik in Basra: Aladins Wunderlampe Hilfe für krebskranke Kinder in Basra (Irak) CA-Konto-Nr: 055-52880/03, BLZ: 11000 Kennwort: Kinder im Irak

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