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Sahel: Zuwenig Wasser, zuwenig Essen, zuviele Menschen.

Mali. Das westafrikanische Land besteht zu zwei Dritteln aus Wüste, hat Anteil an der Sahara und der Sahelzone. "Die Menschen in Mali sind selten ungerecht", soll ein Besucher in Mali zu Zeiten des Königs Mansa Musa im 13. Jahrhundert gesagt haben. Damals war das westafrikanische Land eines der größten Handelszentren der Welt und ein Vorbild für neueste Entwicklungen in den Wissenschaften.

Heute liegt das Land laut dem "Index der menschlichen Entwicklung" auf Rang 175 von 177 möglichen. Zwei Drittel des Landes sind Wüste, nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung haben Zugang zu frischem Trinkwasser, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 49 Jahren. Trotzdem wächst die Bevölkerung jährlich um etwa drei Prozent. Aktuell leben in Mali 13,4 Millionen Menschen und die Hälfte von ihnen ist unter 15 Jahren.

Demokratisches Musterland

Als Folge der schwierigen Lebensbedingungen leben rund drei Millionen Malierinnen und Malier dauerhaft außerhalb des Landes. "Sie leben in Senegal, der Elfenbeinküste und in beträchtlichem Ausmaß auch in den nordafrikanischen Ländern sowie sehr viele in Frankreich", sagt Jean Parfait Dako, ein Mitarbeiter der Caritas Mali. Seine Heimat - die Region Kayes im Nordwesten des Landes - ist stark von klimatischen Extremen betroffen. Extrem heiße Trockenzeiten wechseln sich mit kurzen Regenzeiten ab, die aber meist nicht ergiebig genug sind, um die Menschen mit dem notwendigen Trinkwasser zu versorgen. Die Caritas Tirol engagiert sich mit zahlreichen Projekten in der Region Kayes. Das Ziel aller dieser Programme - ob Brunnenbau oder Ausbildungsprojekte - ist die Reduktion der Armut, was immer auch einen konkreten Beitrag zur Verringerung der Migrationsnotwendigkeit bedeutet.

80 Prozent von den rund 120.000 in Frankreich lebenden Maliern kommen exakt aus dieser Region. Aber sie würden sich selbst nie als Flüchtlinge bezeichnen. Es gibt sicherlich gut argumentierbare wirtschaftliche Gründe, um Mali zu verlassen. Doch Krieg, Unterdrückung oder Menschenrechtsverletzungen zählen nicht dazu. Mali gilt als demokratisches Musterland in Westafrika. Der wesentliche Auswanderungsgrund für die Menschen der Region Kayes besteht in den immer wieder auftretenden Ernährungskrisen, bedingt durch die klimatische Situation und den gravierenden Wassermangel in der Sahel-Zone.

2004 gingen dramatische Bilder einer biblisch anmutenden Heuschreckenplage um die Welt. Die ohnedies kärgliche Ernte wurde von den Heuschrecken buchstäblich aufgefressen. Betroffen war wiederum vor allem die Region Kayes. Die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln konnte nicht mehr gewährleistet werden. Eine Million Menschen war vom Hunger bedroht.

"Dieses dramatische Ereignis führte zu einer neuerlichen Wanderbewegung. Wobei es festzuhalten gilt, Migration ist für unsere Region keine unbekannte Besonderheit der heutigen Zeit", erklärt Dako. Die wechselnde klimatische Situation führte bereits in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Ab- und Auswanderung. "Eine neue Entwicklung", ergänzt er, "ist aber sicherlich das vermehrt wahrnehmbare Bedürfnis, in Europa zu landen." Gelingt der weite Weg nach Europa, dann sorgt ein Migrant oder eine Migrantin für die gesamte Familie im Heimatland, und diese besteht nicht aus Vater, Mutter und einem oder zwei Kindern. Bis zu 20 Personen, von den Großeltern bis zu den Neffen und Enkeln, profitieren von einem erfolgreichen Auswanderer. Insofern ist Migration ein durchaus nachvollziehbarer Prozess. "Es geht ganz einfach um den Erhalt der Familie", bringt Dako die entscheidende Motivation auf den Punkt.

"Die Familien betreiben eine Art Risikominimierung", ergänzt Elisabeth Haun, Politikwissenschafterin, Volkswirtin und Afrikareferentin der Tiroler Caritas. Zumindest ein Familienmitglied muss sich ein Einkommen abseits der vom limitierten Niederschlag abhängigen Landwirtschaft der Sahelzone sichern. Etliche Studien belegen auch den Einfluss der Medien auf das Migrationsverhalten. Überall in Mali kann das französische Fernsehen empfangen werden. In vielen Serien geht es um die Reichen und Schönen. Und da werden eben - jenseits aller Realitäten - Sehnsüchte geweckt.

Viele Auswanderer orientieren sich zudem an Migranten-Erfolgsgeschichten, die in den Dörfern die Runden machen. Arbeitet ein Migrant in einem europäischen Hotel, dann ist er dort - glaubt man den Erzählungen - meist Manager, jedenfalls immer in gehobener Position. In Wirklichkeit arbeiten die meisten Auswanderer aber in den Hotels als Tellerwäscher. "Doch das wird hier bei uns meist unter den Teppich gekehrt", sagt Dako.

"Angstmache hilft nicht!"

Die jährlichen Wanderungsbewegungen aus Mali und den Nachbarländern der Sub-Sahara sind beträchtlich, und doch, wirft man einen genaueren Blick auf verschiedene Statistiken, sind sie weit weg von den politisch und medial propagierten Bedrohungsszenarien. Bis zu 120.000 subsaharische Migranten treffen laut einer Ende 2007 erschienenen Studie der Universität Oxford jährlich in Marokko, Algerien oder Tunesien ein. Etwa 50.000 von ihnen versuchen, weiter nach Europa zu ziehen. Die Schreckensszenarien von Millionen junger Afrikaner, die nur auf den günstigen Moment warten, um heimlich nach Europa zu gelangen, sind somit nicht zutreffend.

"Migration ist für uns hier in Mali und für euch in Europa eine Herausforderung, die es zu gestalten gibt. Angstmache hilft nicht weiter. Was es braucht, sind konkrete Unterstützungsprojekte", gibt Dako die Richtung vor. Elisabeth Haun wiederum fragt sich angesichts der zahllosen toten Flüchtlinge, die an die europäischen Küsten gespült werden, "wie ist es möglich, dass Menschen vor den Augen der Weltöffentlichkeit ihr Leben verlieren und es eigentlich keinen wirklichen Aufschrei gibt. Wir müssen uns darauf vorbereiten", sagt sie, "dass diese Bilder bei unseren Enkeln im Geschichtsunterricht großes Erstaunen und Entsetzen hervorrufen werden. Sie werden die Frage stellen: Was war denn das für eine eigenartige Politik?"

Der Autor ist Pressesprecher der Caritas Innsbruck und freier Journalist.

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