Hunger und Behördenversagen

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Die Dürrekatastrophe in Somalia fordert immer mehr Menschenleben, die Hilfe scheitert an bürokratischen Hürden, berichtet die "Süddeutsche“.

Das Kind erreichte sein zweites Lebensjahr nicht. Seine Eltern, hungernde Viehzüchter aus Südsomalia, hatten es zwar noch an die Grenze zu Kenia tragen können und es sogar noch die 80 Kilometer durch die Wüste bis nach Dadaab geschafft, in das größte Flüchtlingscamp der Welt. Aber die Ärzte konnten für das ausgezehrte Kind nicht mehr viel tun, an den Folgen seiner Unterernährung starb es in einem Krankenhaus, dessen Grundstein vor drei Jahren António Guterres, der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, gelegt hatte.

Guterres hat dieser Tage noch mehr zu tun als sonst. Zwei Tage vor dem 60. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention stellten die Vereinten Nationen fest, das die Zahl der Vertriebenen ein Rekordhoch erreicht hat: Mehr als 43 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Gespeist wird diese Statistik durch den Flüchtlingsstrom aus dem Bürgerkriegsland Somalia, das die schlimmste Dürre seit 60 Jahren erlebt. Mehr als 740.000 Somalier haben ihr Land bereits Richtung Kenia und Äthiopien verlassen, mindestens einhunderttausend suchen Zuflucht in der Hauptstadt Mogadischu.

Unerwünschte Helfer

Wer es nach Dadaab schafft, hat es zwar besser als die Binnenvertriebenen in Somalia, das in weiten Teilen von der islamistischen Shabaab-Miliz kontrolliert wird. An diesem Mittwoch wollte das Welternährungsprogramm WFP eine Luftbrücke aus Kenias Hauptstadt Nairobi nach Mogadischu einrichten, die Islamisten haben aber die Helfer für unerwünscht erklärt. Die Gefahr, al-Shabaab könnte ihre eigene Bevölkerung verhungern lassen, hat den UN-Sicherheitsrat zu einem Appell "an alle kämpfenden Gruppen“ veranlasst, freie Fahrt für Hungerhilfe zu garantieren. Ein anderes Hindernis bleibt die Haltung der kenianischen Regierung. Das WFP hat am Dienstag Kenias Bürokratie dafür verantwortlich gemacht, dass die Luftbrücke bisher verzögert wurde. Auch die Flüchtlinge in Dadaab leiden unter der Bürokratie in Nairobi. Bereits im vergangenen Jahr begannen internationale Hilfswerke, außerhalb des überfüllten Lagers ein zweites Camp zu errichten. Oxfam beschaffte Wassertanks, die Ärzte ohne Grenzen bauten ein Krankenhaus. Das neue Lager Ifo 2 sollte 40.000 Menschen beherbergen.

Behördliche Blockaden

Kenias Regierung hatte dem Aufbau des Camps lange Zeit zugestimmt. Doch nun soll das Lager leer bleiben. Zehntausende Menschen werden mit ihren Zelten auf einen anderen Acker übergesiedelt, den sie bereits Ifo 3 getauft haben. "Sie wollen nicht, dass wir in die schönen Bauten einziehen“, sagt ein Flüchtling, der sich Abdigani nennt, "sie haben Angst, wir könnten dort für immer bleiben. Deswegen wird unser Elend weitergehen.“

An diesem Mittwoch treffen sich zwar die Geberländer in Nairobi, aber es soll vor allem um die Höhe der Hilfszusagen gehen. Kenias Ministerin für Sonderprogramme, Esther Murugi, sagte diese Woche, die internationale Gemeinschaft müsse den Flüchtlingsstrom nach Dadaab stoppen.

Im Oktober setzt alljährlich die Regenzeit ein. Dann könnten viele der Zeltsiedlungen außerhalb von Dadaab überflutet werden. Vor zwei Jahren stand die Gegend monatelang unter Wasser, damals brach eine Choleraepidemie aus. Es wird ein harter Herbst werden. Der Strom der Hungernden reißt nicht ab, in den Lazaretten fehlen Medikamente und Personal. In dem Krankenhaus, in dem am Samstag das zweijährige Kind starb, rangen am Dienstag fünfzig weitere Flüchtlinge mit dem Tod.

* Süddeutsche Zeitung 27. Juli 2011

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