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Das von Henning Mankell unterstützte "Teatro Avenida" hat früher dem Bürgerkrieg in Mosambik getrotzt - und trotzt heute der Armut.

Ich bin ein Theatertier", sagt Adelinho Branquinho. Das nimmt man ihm gerne ab. Der 47-Jährige ist hoch aufgeschossen, schlank, fast hager. Sein Gesicht bleibt immer in Bewegung, wechselt dauernd den Ausdruck - ein geborener Schauspieler, möchte man meinen. Doch Adelinho Branquinho hat als Ton-und Lichttechniker beim "Teatro Avenida" begonnen. Jahrelang kümmerte er sich darum, dass die Musik spielt, die Klimaanlage die tropische Hitze erträglich macht und Spots leuchten, auch wenn mal wieder der Strom ausfällt. Heute ist er einer von fünf fest angestellten Schauspielern des "Teatro Avenida". Sie bilden die Gruppe "Mutumbela Gogo" - benannt nach einem Karnevals-Schlachtruf.

Zuletzt hat Branquinho den Mann der Nora in Henrik Ibsens "Nora oder ein Puppenheim" verkörpert, einen verbissenen Pedanten, der die Gedankenwelt seiner Frau völlig ignoriert. Eine undankbare Rolle, möchte man meinen. Doch Branquinho sagt: "Das Stück hilft mir, den Wert der Frau besser zu verstehen." Zumal in Mosambik, wo Polygamie zwar verboten, aber verbreitet ist.

Flucht aus der Heimat

Ein Leben in Wohlstand wäre für Branquinho in greifbarer Nähe. 45 Prozent der gut ausgebildeten Mosambikaner verlassen jedes Jahr das Land, suchen ihr Glück im nahen Südafrika, in Europa oder den USA. Auch die Schauspieler des "Teatro Avenida" haben bei internationalen Tourneen den reichen Teil der Welt kennen gelernt. Doch für Adelinho Branquinho steht fest: "Ich bin Afrikaner. Es interessiert mich mehr, eine Persönlichkeit aus Mosambik dazustellen als einen Europäer."

Beim Weg vom Tontechniker zum Hauptdarsteller bekam Branquinho zudem professionelle Unterstützung: "Da ist ein Schwede, der uns sehr geholfen hat", erzählt er. Dieser Schwede ist kein anderer als der Krimiautor Henning Mankell, der mit seinen Bestsellern rund um Kommissar Kurt Wallander weltweit Erfolge feiert. Mankell hat auch jenes Stück verfasst, dass derzeit im "Teatro Avenida" gegeben wird. Es heißt "Noras Töchter" und ist eine fiktive Fortsetzung von drei Töchtern der Nora aus Ibsens Puppenheim.

Mankells Lieblingsplatz in Maputo ist die Terrasse des Theatercafés, von der aus man die gesamte "Avenida des 25. September" überblickt, nach der das Theater benannt ist. Die Straße wiederum heißt so in Erinnerung an den 25. September 1964, dem Beginn des bewaffneten Kampfes um die Unabhängigkeit Mosambiks. Auf der Avenida flanieren Angestellte der umliegenden Banken und Versicherungen in dunklen Anzügen, Frauen tragen schwere Bündel auf dem Kopf, Jugendliche drehen Touristen geschnitzte Masken an - die ganze Vielfalt des hauptstädtischen Lebens breitet sich aus.

Der schwedische Erfolgsautor lebt einen Teil des Jahres in Maputo, seit er das Land mitten in den wilden Jahren des Bürgerkriegs kennen und lieben lernte. Damals arbeitete seine Frau dort als Ärztin in einem Krankenhaus. Auf der Suche nach intellektuellem Leben stieß der noch unbekannte Schriftsteller auf das "Teatro Avenida". Prompt lud Intendantin Manuela Soeiro ihn ein, bei Inszenierungen mitzuwirken.

Damals, mitten im Bürgerkrieg, konnte sich das Theater nur dank einer findigen Idee halten. "Brot wird immer gegessen", sagt Soeiro, "deshalb habe ich eine Bäckerei eröffnet." In einem Land, in dem der Staat keine Subventionen für Kultur zahlt, brachte der Verkauf von Baguette und Zuckerschnecken das Theater über die Runden.

Bei der Gründung des Theaters waren solche Krisen nicht zu ahnen. Nach der Unabhängigkeit von Portugal 1975 boomte die Kulturszene. Doch die kulturelle Blüte fand ein jähes Ende. Die weißen Regierungen in Rhodesien (heute Simbabwe) und Südafrika fühlten sich bedroht. In Mosambik regierten Schwarze von der sozialistischen Unabhängigkeitsbewegung Frelimo. Als Reaktion gründeten die weißen Nachbarn eine Terrorgruppe namens Renamo, die Mosambik in einen Bürgerkrieg stürzte, der 16 Jahre dauern sollte. Die Renamo kontrollierte ganze Regionen - und ließ manche Landstraße zur Abschreckung von den Köpfen Enthaupteter säumen. Damals war die Hauptstadt Maputo der einzig sichere Ort des Landes. Zehntausende flüchteten aus den Dörfern dorthin oder in die Nachbarländer Simbabwe, Malawi, Sambia, Tansania und Südafrika.

Die Schauspieler des "Teatro Avenida" traten in Flüchtlingslagern auf, um die Menschen zur Heimkehr zu bewegen. Sie besuchten Krankenhäuser und sprachen mit Patienten, die durch Landminen Gliedmaßen verloren hatten. "Wir haben von den Amputierten gelernt", sagt Soeiro.

Ruiniertes Land

Der Bürgerkrieg endete erst 1990, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Frelimo wie Renamo verloren die Unterstützung von den Großmächten. Weder Russland noch der Westen und auch nicht Südafrika, das gerade die schwarze Oppositionspartei ANC legalisierte, wollten ihre vormaligen Verbündeten weiter finanzieren. In Mosambik wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Das Land war ruiniert.

Heute zeigt sich Maputo als aufstrebende Metropole, in der jeder mit dem Statussymbol Handy hantiert. Ein zaghafter Wirtschaftsaufschwung - auch angeregt von südafrikanischen Investoren - lässt auf eine bessere Zukunft hoffen. Doch Kultur bleibt in der Zwei-Millionen-Metropole Maputo ein Luxus. Auch das "Teatro Avenida" besuchen mehr Weiße, als man gewöhnlich auf der Straße sieht. Man kennt sich. Am Abend vor der Vorstellung begrüßt Manuela Soeiro jeden Besucher mit Handschlag.

Für die drei Produktionen, die jedes Jahr auf dem Programm stehen, braucht das Theater rund 50.000 Euro - eine Summe, die in dem bitterarmen Land nur schwer aufzutreiben ist. Hier helfen internationale Kontakte, die auch Henning Mankell geknüpft hat - etwa für Einladungen nach Deutschland, Österreich, Portugal oder in die USA. Trotz der knappen Finanzen verdienen die fünf fest angestellten Schauspieler umgerechnet etwa 600 Euro im Monat. Manuela Soeiro ist stolz darauf, solche Gagen zahlen zu können in einem Land, in dem der Mindestlohn bei 40 Euro liegt und auch ein Staatsangestellter nur 150 Euro plus Zulagen bezieht.

"Es ist schwer, vom Theater zu leben", meint auch Isabel Jorge. Die 29-Jährige hat zuletzt die Hauptrolle der "Nora" verkörperte. Noch gehört sie nicht zur Gruppe "Mutumbela Gogo", sie spielt nur gelegentlich mit den Profis. Nebenher studiert die ledige Mutter einer dreijährigen Tochter Journalismus. Jorge würde sich freuen, wenn die 350 Plätze des Theaters häufiger ausverkauft wären. Doch in einem Land, in dem die Hälfte der Menschen über weniger als einen Euro am Tag verfügt und selbst die meisten Hauptstadtbewohner in Strohhütten leben, sind 75.000 Meticais (etwa 2,25 Euro) für eine Eintrittskarte viel Geld. Für 75.000 Meticais bekommt man neun Weißbrote oder drei Kilo Tomaten. "Vielleicht haben wir aber in fünf oder sechs Jahren ein volles Haus", hofft Jorge.

Arme und Analphabeten

Sie spielt nicht nur auf Portugiesisch, sondern bei Auslandstourneen auch auf Englisch oder im eigenen Land in einheimischen Sprachen wie Shangana oder Ronga. Auf dem Land verstehen nur wenige die Amtssprache Portugiesisch. 400 Jahre lang hielten die Kolonialherren die Schwarzen unwissend, sie brauchten sie als Sklaven und später Zwangsarbeiter auf den Plantagen. Nach der Unabhängigkeit organisierte die Frelimo als erstes eine Alphabetisierungskampagne, doch der Bürgerkrieg machte die Anstrengung zunichte. Noch heute kann mehr als die Hälfte der Mosambikaner nicht lesen und schreiben. Deshalb habe das Theater eine besondere Bedeutung, um Kultur zu vermitteln, betont Jorge.

Die Rolle der Nora findet sie typisch für die Situation der Frau in Mosambik. "Nora wirkt glücklich, doch im Inneren durchlebt sie Konflikte." In Mosambik gebe es viele Nur-Hausfrauen, die für die Kinder sorgen, doch der Mann lege das Geld auf den Tisch. "Als Nora war ich die Stimme all dieser Frauen, deren Männer noch nicht einmal hören wollen, dass auch sie fühlen und denken."

Isabel Jorge merkt, dass sie sich in Rage geredet hat und bricht ab. Sie möchte noch etwas hinzufügen, zögert aber. Nein, das habe nichts mit dem Theater zu tun. Nur, es ist so, nicht jeder akzeptiere eine Frau, die bis spät nachts arbeitet und dann alleine nach Hause geht. Was soll das für ein Beruf sein? Eine anständige Frau treibe sich nachts nicht allein auf der Straße rum, solche Äußerungen sind auch in ihrer eigenen Familie gefallen.

Sie wird dennoch weiterspielen. Die Nora von Ibsen und viele andere starke Frauen. Denn was hatte Manuela Soeiro gesagt? "Wir glauben an unsere Kraft, Dinge zu bewegen."

Die Autorin ist

freie Journalistin in Frankfurt.

Republik Mosambik

Das Land in Südost-Afrika mit seiner Hauptstadt Maputo und rund 19,5 Millionen Einwohnern - davon 42 Prozent Christen (24 Prozent Katholiken, 18 Prozent Anhänger der Zion Church), 23 Prozent Religionslose, 18 Prozent Muslime und Anhänger indigener Religionen - war in den vergangenen Jahren von heftigen Unruhen zwischen Vertretern der beiden wichtigsten Parteien und früheren Bürgerkriegsgegner - Frelimo und Renamo - geprägt. Bei den Parlamentswahlen vom Dezember 2004 erhielt Frelimo (Frente de Libertação de Moçambique) 160 von 250 Sitzen, Renamo (Resistência Nacional Moçambicana) 90 Sitze. Regierungschef von Mosambik ist seit 2004 Luisa Dias Diogo (Frelimo).

Trotz einer Steigerung des Wirtschaftswachstums 2005 um 0,2 Prozent auf 7,7 Prozent lebt die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin unterhalb der Armutsgrenze und war in stark wachsendem Maße von Aids/HIV betroffen. Im neuesten Human Development Report fiel das Land auf den 168. von 177 Plätzen zurück.

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