"Ich bin ein Politiker zum Anfassen"

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Erwin Buchinger, Minister für Soziales und Konsumentenschutz, erklärt im furche-Gespräch, warum er einen neuen Politikertyp darstellen will. Die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsminister Martin Bartenstein bezeichnet er trotz vieler Unstimmigkeiten als professionell.

Die Furche: Herr Minister Buchinger, wollen Sie einen neuen Politikertyp darstellen?

Erwin Buchinger: Ja, das will ich tatsächlich. Bei vielen Menschen gibt es gerechtfertigte Bedürfnisse, Politiker zu sehen und zu spüren, die das, was sie sagen, auch ernst nehmen und deren Tätigkeit einer Mindestanforderung von Transparenz unterliegt. Das ist auch der Grund, warum ich an vielen Diskussionen teilnehme und nicht nur für 15 Minuten aufkreuze, um mich zu zeigen und eine Eröffnungsrede zu halten, sondern um mich dort auch den Fragen zu stellen.

Die Furche: Klingt da nicht indirekt Kritik an Ihren Kollegen mit?

Buchinger: Nein, das steht mir nicht zu. Das muss jeder Minister und jede Ministerin für sich entscheiden. Bei mir ist es kein aufgesetztes Konzept. Ich bin einfach so. Ich möchte ein Politiker zum Mitleben, Angreifen und Ansprechen sein. Ich werde auch auf meiner Webseite einmal im Monat einen Chat machen, eine Art virtuellen Sprechtag. Ich lese auch alle Mails, die ich bekomme, selber. Ich kann sie nicht alle selber beantworten, weil das schaffe ich nicht, das delegiere ich weiter, aber ich lese sie zumindest.

Die Furche: Zu viel Offenheit kann auch unangenehme Einblicke mit sich bringen.

Buchinger: Da darf man nicht beleidigt sein. Wenn man sich transparent macht, muss man damit rechnen, dass auch jeder, der etwas Kritisches sieht, dies auch äußert. Zeitweise amüsiert es mich, zeitweise trifft es mich auch. Warum können die Menschen das nicht annehmen, so wie es ist? Mich haben beispielsweise ein paar Mails geärgert: Ich solle doch unter meine Weblogs schreiben, wer diese verfasse. Es herrscht so ein Misstrauen gegenüber Politikern, dass man nicht einmal glaubt, dass ich diese Weblogs selber schreibe. Ich nehme mir halt diese 15 Minuten vor dem Schlafengehen.

Die Furche: Es ist auch schwer zu glauben, da die Texte lang sind und kaum Tippfehler zu entdecken sind.

Buchinger: Eine der ersten Rückmeldungen, die ich zum Weblog bekommen habe, war: "Sehr geehrter Herr Minister, ich bin ganz enttäuscht von Ihnen. Sie haben den Stil eines Hauptschülers, und das Tagebuch strotzt vor Rechtschreibfehlern." Da habe ich geschaut und habe mir gedacht, vielleicht hat die Dame eine andere Rechtschreibung.

Die Furche: Nun zu Ernsterem: Die Koordinierung zwischen Ihnen und Minister Martin Bartenstein lässt zu wünschen übrig.

Buchinger: Mit Minister Bartenstein gibt es viele Koordinierungsgespräche. Wir haben freilich zu wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen oft unterschiedliche Meinungen und diese tun wir auch kund. Ich halte das aus Gründen der politischen Differenzierung der Parteien und ihrer Interessen auch für vernünftig. Wichtig ist nur, dass am Ende auch ein Konsens im Sinne eines Kompromisses herauskommt. Das haben Bartenstein und ich auch bislang immer geschafft.

Die Furche: Würden Sie die Zusammenarbeit mit Bartenstein denn als gut bezeichnen?

Buchinger: Ich würde sie als professionell bezeichnen. Man kann sich den Verhandlungspartner auf der ÖVP-Seite nicht aussuchen. Bartenstein ist ein Profi in der Politik. Er weiß, was er will, er vertritt seine Standpunkte mit Klarheit. Ich versuche dasselbe.

Die Furche: Sie äußern viele Vorschläge in diversen Bereichen, wie etwa jenen eines "Working Tax Credit" gegen Armut bei arbeitenden Menschen (eine Art Steuergutschrift). Was wird aber aus all diesen Vorschlägen? Sind das nur Denkanstöße?

Buchinger: Denkanstöße allein - das wäre zu wenig. Da wird auch Hintergrundarbeit geleistet; etwa beim "Working Tax Credit" habe ich eine Studie in Auftrag gegeben, die Ergebnisse liegen vor: Ich werde das in die Steuerreformdiskussion 2009 und 2010 ganz offensiv einbringen. Das ist für mich die Alternative für die generelle Lohn-Nebenkostensenkung, weil es gezielt die Armutsgefährdung vermeiden hilft. Ich verstehe mich in diesen Feldern, wo ich diese Denkanstöße liefere, nicht als Hansdampf in allen Gassen, sondern ich nehme hier als Sozialminister Verantwortung wahr.

Die Furche: Wird es bis Ende Juni ein neues Pflegemodell geben?

Buchinger: Das ist das Ziel. Dieser Zeitplan ist sicher ambitioniert. Im Regierungsprogramm ist fixiert, dass die Arbeitsgruppe Pflege bis Jahresende, möglichst aber bis Jahresmitte, ein Modell vorlegt. Wenn wir bis 30. Juni kein Modell hätten, wäre die Alternative, dass man diese Amnestieregelung (für illegale Pflegekräfte, Anm.) verlängert. Das möchten wir nicht tun. Daher arbeiten wir mit Nachdruck an einer Lösung. Garantieren können wir es nicht, weil viele Akteure zusammenwirken, das ist ein komplexes Feld.

Die Furche: Sind Sie mit dem arbeitsrechtlichen Entwurf von Minister Bartenstein zur 24-Stunden-Pflege, der nun in Begutachtung geht, einverstanden?

Buchinger: Das ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einem 24-Stunden-Betreuungsmodell, das neben dem Kriterium der Legalität noch zwei weitere erfüllen muss: dass es leistbar ist und dass Qualitätsstandards definiert und gesichert sind. Mir war wichtig, dass der Begriff der Demenzkrankheit festgehalten ist. Das findet sich wieder. Berücksichtigt wurde auch, dass die Mindestarbeitszeit für Pflegekräfte 48 Stunden pro Woche betragen soll, um eine Abgrenzung zum "Mobilen Dienst" festzulegen.

Die Furche: Wo wurden Ihre Anregungen nicht berücksichtigt?

Buchinger: In zwei Bereichen: der eine betrifft die Qualitätssicherung, der zweite die "Selbständigkeit". Es darf nicht zu neuen "Scheinselbständigkeiten" kommen. Das werden wir im Zuge des Begutachtungsverfahrens nochmals einbringen.

Die Furche: Wurden Sie da von der ÖVP übergangen?

Buchinger: Nein, denn unsere Experten waren eingebunden. Etwas ungewöhnlich war allerdings, dass die Medien die Letztversion des Begutachtungsentwurfes früher hatten als der für die Koordination der Pflege zuständige Regierungskollege. Aber ich möchte das nicht überinterpretieren.

Die Furche: Was sind noch die größten Knackpunkte bei der Umsetzung der Mindestsicherung?

Buchinger: Neben der Finanzierung, das ist der schwierigste Punkt, sind das vier Fragen: Welche Leistungen werden in diese All-inclusive-Leistung von 726 Euro brutto einbezogen? Weiters muss es eine Lösung mit dem Hauptverband und den Krankenversicherungsträgern geben, die fair ist. Der bisherige Vorschlag des Hauptverbandes - 233 Euro Krankenversicherung - ist zu hoch. Zudem muss die Harmonisierung der Bestimmungen der Länder in Bezug auf Vermögensanrechnung bei der Mindestsicherung gelöst werden. Außerdem muss geklärt werden, wie genau der "One-Stop-Shop" beim AMS eingerichtet wird.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

Lockerer Sonnyboy mit schweren Brocken

Das Misstrauen gegenüber Politikern ist bekanntlich groß, das beklagt auch Sozialminister Erwin Buchinger (SPÖ). Doch seine Taktik der Transparenz - beispielsweise durch seine täglichen Weblog-Tagebucheintragungen - geht auf. Laut aktuellem Vertrauensindex legte Buchinger deutlich zu, was laut OGM-Chef Wolfgang Bachmayr auf sein "frisches und unbekümmertes, emotional-authentisches Auftreten" zurückzuführen ist. Dass Buchinger unter den neuen Regierungsmitgliedern zu den bekanntesten und beliebtesten gehört, ist auch wenig überraschend; spätestens seit seinem Haarschnitt für einen guten Zweck oder den Einblicken in die Sonntags-Gestaltung - er bügle sieben Hemden nach eigener Blitzmethode von drei Minuten - ist der ehemalige Salzburger Landesrat für Arbeit und Soziales und dortige frühere AMS-Chef im Gespräch. Buchinger will durch sein lockeres, freches Aussehen und durch seine politischen Ideen der Mann für das Unkonventionelle sein. Als streitbar aber kompromissbereit wurde der studierte Jurist stets charakterisiert. Unkonventionell war auch seine Kinderstube. Als drittes von sieben Kindern wurde Buchinger am 25. Dezember 1955 in Mauthausen als Sohn eines SPÖ-Lokalpolitikers und einer Religionslehrerin geboren. Ob er seine Kernthemen - wie etwa jenes der Mindestsicherung - auch erfolgreich in die Realität umsetzen wird können, wird maßgeblich von seiner Durchsetzungskraft gegenüber seinem Gegenspieler Minister Martin Bartenstein abhängen. Auch die Brocken der Finanzierung der Mindestsicherung und des neuen Pflegemodells lasten auf Buchingers Ressort. Er wird neben seinem unbestreitbaren Charme viel Biss brauchen.

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