"Ich bin nicht der EU-Skandalmeister!"

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Das EU-Budget: 115 Milliarden Euro - sein oberster Kontrollor ist seit letzter Woche der SPÖ-Europaabgeordnete Herbert Bösch. Mit dem Vorarlberger bekleidet zum ersten Mal ein Österreicher den Spitzenposten in einem EU-Ausschuss. Im Furche-Gespräch erläutert Bösch seine Pläne, damit die EU-Haushaltskontrolle weiterhin wie "ein scharfes Schwert" ist.

Die Furche: Herr Bösch, Sie waren maßgeblicher Initiator der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF und der Rücktritt der EU-Kommission 1999 geht auch großteils auf Ihr Konto - mit welchen Aktionen darf man jetzt von Ihnen rechnen?

Herbert Bösch: Ich bin kein Skandalisierer; diejenigen, die gerne "Skandal" rufen, tragen meistens zu einer Lösung Null-Komma-Josef bei; die rufen meist auch am falschen Ort "Skandal". Da geht es dann darum, dass jemand mit dem Dienstauto zwei Kilometer zu weit gefahren ist. Und daneben seh' ich Millionen den Bach runter gehen - weil wir falsche Vorschriften haben, weil die Kooperation zwischen Brüssel und den Mitgliedsländern nicht optimal funktioniert, weil wir einfach eine unvollständige Konstruktion sind …

Die Furche: Unvollständig, weil der EU auch in Budgetfragen die Verfassung abgeht?

Bösch: Natürlich brauchen wir die EU-Verfassung wie einen Bissen Brot; aber ich weiß nicht, bis wann das mit der Verfassung soweit ist, und bis dahin müssen wir auch etwas tun. Deswegen ist es mir jetzt ein großes Anliegen, eine bessere Vernetzung mit den Haushaltskontrollausschüssen in den nationalen Parlamenten zu erreichen. Und auch unsere Zusammenarbeit mit dem Europäischen Rechnungshof gehört intensiviert - der ist ein scharfes Schwert an unserer Seite.

Die Furche: Mehr Zusammenarbeit, bessere Strukturen, mehr Effizienz lautet also Ihr Arbeitsprogramm.

Bösch: Das mag jetzt nicht so sexy klingen, aber wie gesagt: Ich bin nicht der EU-Skandalmeister, ich möchte im Nachhinein sagen können, es ist wieder ein bissl besser geworden - das ist mein Job.

Die Furche: Ein bissl besser? Macht der EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien die EU nicht anfälliger für Korruption und Betrug?

Bösch: Die Aufnahme jedes neuen Landes macht die Arbeit im Haushaltskontrollausschuss schwieriger. Noch dazu, wo wir die Erfahrungen mit den zehn nicht mehr ganz neuen Mitgliedsländern noch gar nicht richtig aufgearbeitet haben. Unser größtes Problem ist jedoch, dass der Mittelabfluss in diese Länder sehr langsam ist. Auf der anderen Seite ist mir lieber, es geht langsamer, als es geht daneben.

Die Furche: Es bleibt Geld in Brüssel liegen, weil es die neuen EU-Länder nicht abholen - warum?

Bösch: Es fehlt einfach die Expertise, das ist gar kein Vorwurf an diese Länder. Im Gegenteil: Die EU-Kommission wurde vom Rechnungshof schwer dafür kritisiert, dass 2004 Geld nachgeschossen wurde, obwohl die Aufnahmekapazitäten von Rumänien und Bulgarien erschöpft waren. Die Kommission hat zwar auf Weisung eines Gipfelbeschlusses der EU-Staats-und Regierungschefs gehandelt - trotzdem, das ist Verschwendung von A bis Z. Da muss die Kommission Mann und Frau genug sein und sagen: Freunde, das geht nicht! In ein Fass, das voll ist, hineinschütten, das kann nur danebengehen.

Die Furche: Voll ist das Fass ja eigentlich nicht - es gibt in diesen Ländern doch genügend Aufholbedarf.

Bösch: Stimmt, und man ist in den neuen Mitgliedsstaaten auch gewaltig bemüht. Aber die Probleme fangen schon an, wenn das Handbuch für EU-Förderungen zum Beispiel nur auf Englisch aufliegt - na bitte schön, die Gelder werden ja nicht in Bukarest oder Sofia ausgegeben. Das muss ja jeder Bürgermeister in der Provinz verstehen können - und die sind nun mal keine Oxford-Professoren. Da hapert es oft an Kleinigkeiten, aber so wird viel von Brüssel aus in den Sand gesetzt.

Die Furche: Was kann die EU dagegen unternehmen - mit mehr Übersetzungen wird es nicht getan sein?

Bösch: Da brauchen wir nicht die große Wissenschaft, sondern einfach Leute, die ein bissl mitdenken. Und das System muss möglichst offen sein. Wenn sich nur eine Handvoll Experten auskennen, ist das nie gut, dann wird die Gefahr immer größer, dass sich die an einem Tisch zusammensetzen und mauscheln …

Die Furche: … und EU-Geld versickert.

Bösch: Wobei, das ist auch klar, der überwiegende Teil der Unregelmäßigkeiten passiert in den Mitgliedsstaaten, nicht in Brüssel. Wenn es einen Bösch-Kontrollbericht gibt, in dem ich die Probleme aufzähle - und die Leute sagen dann: "Die in Brüssel können mit dem Geld nicht umgehen!" -, dann stimmt das so nicht: Die Betrügereien passieren vor allem in den Mitgliedsstaaten. Zum Beispiel der Betrug mit Zolleinnahmen; die Grenzen sind ja nicht in Brüssel. Für die Agrar-und Strukturpolitik gilt dasselbe. Das hat nichts mit bestochenen Beamten in Brüssel zu tun. Das wird mir immer ein Ziel sein, diese Dinge gerade zu rücken.

Die Furche: Und was wollen Sie speziell in Österreich in Bezug auf die EU gerade rücken?

Bösch: Ganz wichtig wäre, dass man auch bei uns sagt, was alles mit europäischen Geldern geschehen ist. Ich habe einmal eine Pensionistengruppe aus Lustenau zu Besuch in Brüssel gehabt. Und ich hab' die Leute gefragt, wo in Lustenau überall europäisches Geld liegt? Die EU hat dort ganze Gewerbeparks finanziert, aber kein Mensch hat das gewusst - und ich fürchte sehr, das gilt für ganz Österreich.

Die Furche: Inklusive sehr vieler Politiker …

Bösch: Das sehe ich, wenn ich in den Bundesländern versuche, Landtagsabgeordnete zu motivieren, sich um EU-Mittel zu kümmern. Da hab ich oft das Gefühl, dieses Geld hat einen komischen Geruch. Da gibt es ein, zwei Hofräte, die sich auskennen, und ein paar Spezialisten in der Bauern-, Wirtschafts-, Arbeiterkammer, das war's dann schon. Dabei kriegen wir pro Jahr 1,4 Milliarden Euro von der EU - das ist viel Geld für das kleine Österreich.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Streitbar, hemdsärmelig, direkt

"Ärmel rauf und gib ihm!" - so müsste Österreichs Einstellung zur EU seit dem 1. Jänner 1995 lauten, kritisiert der meistens hemdsärmelig auftretende SPÖ-Europaparlamentarier Herbert Bösch gegenüber der Furche die halbherzige heimische EU-Politik.

Seit Österreichs EU-Beitritt 1995 ist der frühere Bundes-und Nationalrat Bösch Mitglied des Europaparlaments. Eingefädelt wurde der letztwöchige Karrieresprung von Bösch zum neuen Chef des Haushaltskontrollausschusses noch von der früheren SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament und jetzigen Justizministerin Maria Berger. Die brachte schon vor gut zwei Jahren eine tragfähige österreichisch-ungarische Allianz zusammen, die Bösch jetzt als Nachfolger eines ungarischen Vorgängers im Haushaltskontrollausschuss ermöglichte. Zweieinhalb Jahre wird Bösch nun in diesem wichtigen Gremium den Vorsitz führen.

Der 52-Jährige machte 1998 von sich reden, als er die Schaffung eines unabhängigen Amts für Betrugsbekämpfung forderte. Im Zuge des Rücktritts der EU-Kommission unter Präsident Jacques Santer, 1999, wegen mehrerer Korruptionsskandale wurde die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF tatsächlich eingerichtet. Über Jahre hindurch machte sich Bösch außerdem einen Namen als Kämpfer gegen den Zigarettenschmuggel in der EU. Als seinen persönlich bedeutendsten Erfolg sieht Bösch die Abschaffung der EU-Exportsubventionen für Lebendtiertransporte Ende 2005.

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