"Ich darf nichts sagen

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An der Europaschule in Linz herrscht Aufbruchstimmung Richtung "Neue Mittelschule" - und dicke Luft: Wie Schule zum Brennpunkt politischer Interessen wird.

Es ist Freitag, der 15. Februar. Semesterschluss. In den geräumigen Klassenzimmern der Europaschule in der Linzer Lederergasse nehmen die 206 Hauptschülerinnen und -schüler ihr Halbjahreszeugnis in Empfang. Besser gesagt jene "Dokumentation der Lern-, Leistungs- und Sozialentwicklung", in der die Selbsteinschätzung der Schüler und die Rückmeldung der Lehrer detailliert gegenübergestellt werden. Nur die vierten Klassen erhalten zusätzlich noch ein Notenzeugnis. Für dieses innovative Beurteilungssystem hat die Praxisschule der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich im April vergangenen Jahres den "AK-Schul-Preis" eingeheimst.

Mauer des Schweigens

Derzeit steht die Europaschule, die neben einer Haupt- auch eine Volksschule beherbergt, wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Als einzige oberösterreichische Einrichtung nimmt sie ab Herbst 2008 am Schulversuch "Neue Mittelschule" teil. 100 Prozent der betroffenen Lehrer haben dem Ansinnen zugestimmt. Weil die Telefone schon vor Beginn der Anmeldefrist am 25. Februar heißlaufen - und weil gerade Schulschluss ist -, hat sich ein Fernsehteam von ORF Oberösterreich angesagt. Im Büro von Direktor Stefan Giegler hofft man auf zitable Sager - und stößt auf eine Mauer des Schweigens. "Ich darf nichts sagen", sagt Giegler. Per schriftlicher Weisung sei ihm vom Rektor der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, Wolfgang Ratzinger, verboten worden, mit den Medien zu sprechen. Er habe freilich bereits im Bildungsministerium einen Antrag auf Feststellungsbescheid gestellt, in dem geprüft werde, ob eine solche Weisung zulässig sei.

Während Giegler sagt, dass er nichts sagen darf, geht unten vor der Europaschule Wolfgang Ratzinger auf und ab. Er wartet auf das Fernsehteam, um Fragen zum Schulversuch zu beantworten. Die Fragen der Furche zum Maulkorb für Stefan Giegler beantwortet er etwas später. Giegler sei ein "hochqualifizierter Leiter", versichert Ratzinger, aber erst gegen Ende der Weihnachtsferien habe er ihn über den geplanten Schulversuch informiert. Und schon am 9. Jänner wäre die Meldung in den Medien gewesen. Vor allem Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer (ÖVP) sei nach der Zeitungs-Lektüre "wie von der Tarantel gestochen" aufgesprungen, erzählt Ratzinger. "Es wäre schon fair gewesen, Enzenhofer als Vorsitzenden des Hochschulrates der Pädagogischen Hochschule, zu der die Europaschule gehört, vorher zu informieren."

"Vollkommene Kontrolle"

Also alles nur die Folge verspäteter Meldungen? Oder doch ein Politikum? Tatsächlich ist Stefan Giegler auch Linzer SPÖ-Gemeinderat - und in dieser Funktion als Befürworter der "Neuen Mittelschule" aufgetreten. "Enzenhofer vertritt aber alle Lehrer in Oberösterreich, und gerade AHS-Lehrer haben beim Thema Gesamtschule Ängste", erklärt sich Wolfgang Ratzinger die Aufregung. Ein Insider drückt es anders aus: "Es geht um die vollkommene Kontrolle des Systems. Viele Bundesländer sind hochpolitisiert im Bildungswesen - und Oberösterreich ist es eher mehr als weniger."

Schon die Wahl Wolfgang Ratzingers zum Rektor der neuen Pädagogischen Hochschule im August 2006 hatte für heftige Reaktionen gesorgt: Der fünfköpfige Hochschulrat - Landesschulratspräsident Enzenhofer (ÖVP) als Vorsitzender, drei von Ex-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) bestellte Mitglieder, ein vom Land nominiertes Mitglied - hatte bei seinem Dreiervorschlag nicht den langjährigen Direktor der Pädagogischen Akademie, Josef Fragner (SPÖ), erstgereiht, sondern Wolfgang Ratzinger (ÖVP), bis dahin Abteilungsleiter für Studiengänge an der Pädak. Prompt ortete Oberösterreichs SP-Landeschef Erich Haider eine "Machtübernahme der ÖVP bei der Lehrerausbildung". Aber auch unabhängige Beobachter kritisierten die "Schwarzfärbung" der neu geschaffenen Institution.

"Das war für mich natürlich nicht lustig", erinnert sich Ratzinger. Dass er Fragner auf den zweiten Platz verdrängt habe, sei freilich weniger an seiner Weltanschauung gelegen als am Umstand, dass Fragner "als starker Vertreter der Integrationspädagogik" womöglich polarisiert habe. Wie auch immer: Er selbst, meint Wolfgang Ratzinger in einem Nebenzimmer der Europaschule, stehe hinter diesem Schulversuch: Schließlich würde er der Schule pro Klasse sechs zusätzliche Lehreinheiten pro Woche bescheren.

Auch Johannes Leeb, Administrator der Praxishauptschule und Vertreter seines schweigenden Chefs, sieht die zusätzliche Ressourcen als wesentlichen Motivator. Geplant sind Klassen mit Schülern unterschiedlicher Leistungsniveaus, die von Pädagogen der Europaschule sowie von AHS-Lehrerinnen und -Lehrern der benachbarten Bundesanstalt für Kindergartenpädagogik (BAKIP) unterrichtet werden. Wer den Lehrstoff der AHS bewältigt, erhält ein Mittelschulzeugnis, alle anderen ein Hauptschulzeugnis.

Schwache bevorzugt

Um sicherzustellen, dass aus der überlaufenen Versuchsschule keine Eliteschule wird, hat die Schule einen speziellen Aufnahmeschlüssel erarbeitet: "Wir nehmen gezielt sozial benachteiligte Schüler auf", sagt Johannes Leeb.

Im Büro von Landesschulratspräsident Enzenhofer, dem die BAKIP in der Lederergasse als Landesschule untersteht, verfolgt man das Projekt gleichwohl mit Skepsis. "Länder wie Wien sehen aus guten Gründen davon ab, schon jetzt mit diesen Schulversuchen zu starten", gibt man zu Protokoll.

BAKIP-Direktorin Susanne Klawora sieht das anders. "Das Schlagwort der ehemaligen Bildungsministerin Gehrer vom, lebenslangen Lernen' sollte auch für uns Lehrer gelten", meint sie gegenüber der Furche. Konkreteres zur "Mitverwendung" ihrer Lehrer an der Europaschule darf sie nicht sagen: Sprechverbot.

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