"Ich hab' in der Politik nie hasardiert"

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Zwölf Jahre war Heinz Fischer Erster Nationalratspräsident. Nach dem Wahlsieg der ÖVP hat er nun den Sessel, einem ungeschriebenen Gesetz folgend, geräumt. Im Furche-Gespräch zieht Fischer Resümee, erzählt von Freunden und Feinden und erklärt, warum er als Zweiter NR-Präsident weitermacht.

Die Furche: Herr Präsident, nach zwölf Jahren haben Sie vom Platz des Ersten auf den des Zweiten Nationalratspräsidenten wechseln müssen. Eine schmerzliche Zäsur?

Heinz Fischer: Schmerzlich ist das Wahlergebnis vom 24. November, insbesondere die Tatsache, dass die SPÖ den Platz als stärkste Fraktion verloren hat. Alles weitere ist nur die logische Konsequenz davon. Wir haben nun einmal eine gute Gepflogenheit, wonach die stärkste Fraktion einen Vorschlag für den Präsidenten macht. Und ich bin sehr dafür, an solchen ungeschriebenen Regeln festzuhalten. Egal, ob das im Einzelfall Freude oder weniger Freude macht. Und sicher war es auch für die ÖVP sehr schmerzlich, als sie 1970 die erste Position verloren hat und Alfred Maleta auf den Platz des Zweiten Präsidenten wechseln musste.

Die Furche: Wenn Sie Resümee ziehen: was konnten Sie als Nationalratspräsident initiieren und durchsetzen?

Fischer: Das parlamentarische System konnte weiter ausgebaut werden. Das Haus wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und auch die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten haben wir entscheidend verbessert. Genauso konnte die Geschäftsordnung in wichtigen Punkten reformiert werden. Und wir haben auch in sehr sensiblen politischen Phasen - und ich denke da zum Beispiel an die letzten drei Jahre - im Kernbereich der parlamentarischen Führung, in der Präsidialkonferenz, ein hohes Maß an Konsens erzielt. So dass ich mit Genugtuung und gutem Gewissen auf diese zwölf Jahre zurückschauen kann.

Die Furche: Es gibt immer wieder Klagen, die parlamentarische Kultur, das Niveau der Debatten habe verloren...

Fischer: Das sehe ich nicht so, das sind Momentaufnahmen. Es ergibt sich für mich oft die Notwendigkeit, in alten Protokollen nachzulesen. Da findet man zuweilen stürmische, ja beinharte Debatten. Heftige Auseinandersetzungen bis hin zu Sitzungsunterbrechungen hat es gegeben, und das wird es auch weiterhin geben. Wichtig ist, dass solche Momente eine Ausnahme bleiben, während die Regel ein vernünftiges Arbeitsklima ist. Und dass auch in solchen Situationen der Emotionalität mit Augenmaß und Objektivität Vorsitz geführt wird, damit die Dinge nicht eskalieren.

Die Furche: Für Ihre Vorsitzführung wurden Sie mit dem Spitznamen "Onkel Salomon" bedacht - ein Kompliment?

Fischer: Ja, ich habe das immer als Kompliment empfunden. Am Tisch des Nationalratspräsidenten sind zuweilen sehr schwierige Probleme zu verhandeln, und da waren salomonische Entscheidungen notwendig. Das ist für mich die primäre Aufgabe des Präsidenten. Denn das Vertrauen, dass man absolut objektiv und überparteilich die Entscheidungen trifft, muss immer neu erworben werden.

Die Furche: Viele sind gekommen und gegangen - einer ist immer geblieben: Heinz Fischer; seit 1962 sind Sie im Parlament - haben Sie eine Erklärung dafür?

Fischer: Ich hab' in der Politik nie Vabanque gespielt, nie hasardiert. Und ich habe mich nie in Funktionen gedrängt, die mir dann keine Freude gemacht oder die mich überfordert hätten. Die Aufgaben, die man mir übertragen hat - zwölf Jahre Klubsekretär, zwölf Jahre Klubobmann, vier Jahre Minister, zwölf Jahre Nationalratspräsident: macht in Summe vierzig Jahre -, habe ich gerne und mit Freude und in solidarischer Gesinnung gemacht.

Die Furche: Auch nach 38 Jahren im Parteivorstand der SPÖ scheint in Ihrem Fall die geläufige Steigerung Feind - Todfeind - Parteifreund keine Berechtigung zu haben...

Fischer: Ich glaube sagen zu können, dass ich in meiner politischen Tätigkeit kaum Feinde gehabt habe - sicher nicht in den eigenen Reihen, aber auch nicht wirklich bei den anderen politischen Parteien. Wohl bin ich gelegentlich mit dem einen oder anderen etwas härter aneinander geraten und es hat heftigere Dispute gegeben. Aber ich würde mir schwertun, persönliche Feindschaften zu benennen.

Die Furche: Aber es gibt in der Politik, so heißt es, auch keine wirklichen Freundschaften. Teilen Sie diese Erfahrung?

Fischer: Ich habe das Glück, gute und verlässliche Freunde in der Politik zu haben. Gerade als Politiker braucht man gute Freunde und ein intaktes Umfeld, um sich auszutauschen, um Impulse und Anregungen zu bekommen, damit auch der intellektuelle Aspekt in der Politik nicht zu kurz kommt. Politik ohne Nachdenken und intellektuelle Befruchtung verliert ihre Faszination. Umgekehrt finde ich es wahnsinnig spannend, Fragen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Praxis und Theorie zu studieren. Darum habe ich mich eigentlich immer bemüht.

Die Furche: Sie haben weit mehr Zeit im Parlament als in Regierungsfunktionen verbracht. Hat das damit zu tun, dass Sie mehr Stratege, Grundsatz- und Vordenker Ihrer Partei sind?

Fischer: Als ich von Kreisky 1975 das Angebot bekommen habe, als Klubobmann zu arbeiten, hat mich das fasziniert. Ich war glücklich, dass meine Arbeit vielseitiger war, als die eines Ressortministers. Am Ende der Ära Kreisky wurde mir dann der Posten des Außenministers in der Regierung Sinowatz angeboten.

Die Furche: Geworden sind Sie aber dann Wissenschaftsminister...

Fischer: Ja, ich habe um das Wissenschaftsministerium gebeten, da mich zu dieser Zeit Hochschul- und Forschungsfragen besonders interessiert haben. Ehrlich gesagt war ich auch der Meinung, dass ein sozialdemokratischer Außenminister damals sehr stark im Schatten von Bruno Kreisky gestanden wäre. Und ich habe Loyalitätskonflikte befürchtet: entweder als Erfüllungsgehilfe des ehemaligen Bundeskanzlers zu erscheinen oder in Konflikt mit Bruno Kreisky zu kommen. Das wollte ich aber unbedingt vermeiden.

Die Furche: Die SPÖ macht seit geraumer Zeit, nicht erst seit dem 24. November, einen etwas orientierungslosen Eindruck. Welchen Weg soll Ihrer Meinung nach die österreichische Sozialdemokratie beschreiten? Den wirtschaftsliberal akzentuierten von Tony Blair und New Labour - oder eher einen an den Gewerkschaften und der Stammklientel ausgerichteten?

Fischer: Da werden uns immer künstliche Alternativen vorgesetzt. Wir sollen uns zwischen zwei Alternativen entscheiden, die nicht die unseren sind. Ich hab' keine Lust zu sagen: Modell Blair oder Modell Schröder. Wir sind für Leistung, wir müssen Anreize für Leistung geben. Aber wir glauben nicht, dass man diese Haltung mit einer unsozialen Grundeinstellung kombinieren muss. Intelligent ist es, der Gesellschaft Wachstumsimpulse zu geben, Leistung zu fördern, aber Anliegen des sozialdemokratischen Solidaritätspostulats - oder der christlichen Soziallehre - nicht beiseite zu lassen.

Die Furche: Also letztlich doch eher nicht New Labour?

Fischer: Das wünsche ich mir auch aus einem ganz bestimmten Grund nicht: Solche Implantate tun nie gut. Wir müssen das aus unserer Erfahrung und Diskussion heraus selber entwickeln. Auf keinen Fall können und dürfen wir auf den europäischen Supermarkt gehen und beispielsweise bei New Labour ein Pensionsmodell einkaufen. So kann es nicht funktionieren.

Die Furche: Haben Sie nach der Wahl mit dem Gedanken spekuliert, Ihre politische Karriere zu beenden?

Fischer: Nach so langer parlamentarischer Arbeit hätte ich mir sehr gut vorstellen können, einen Schlussstrich zu ziehen. Ich leugne nicht, dass einiges dafür gesprochen hat.

Die Furche: Sie haben sich dann aber dennoch für's Weitermachen entschieden. Warum?

Fischer: Weil ich ein politischer

Mensch bin, und wenn Sie die letzten drei, vier Wochen mit Tarnkappe bei mir gesessen wären und zugehört hätten, wie viele mich zum Weitermachen motiviert haben, dann könnten Sie wahrscheinlich verstehen, weshalb ich mich für den Verbleib im Präsidium entschieden habe. Ich bin mir keineswegs zu gut, auf den zweiten Platz zu wechseln, und ich hoffe, dass meine Entscheidung richtig ist. Außerdem: wenn ich diese Aufgabe jetzt einmal annehme, dann kann ich immer noch aussteigen, falls ich zur Überzeugung komme, ein Schlussstrich wäre besser. Wenn ich aber einmal ausgestiegen bin, kann ich nicht mehr einsteigen. Last but not least hat mir die Wiener Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann gesagt, es sei gescheiter, von 6.000 Touren nicht gleich auf Null zu schalten...

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

Mit Figl und Raab noch im Parlament

"Als ich im Parlament 1962 zu arbeiten begonnen habe, war Leopold Figl der Präsident des Nationalrates. Franz Olah hatte soeben seinen Posten als Zweiter Präsident im Konflikt mit der SPÖ zurückgelegt. Kreisky, Jonas, Raab gehörten damals zu den Abgeordneten des Nationalrats." Ein Gespräch mit Heinz Fischer ist immer auch ein Gang durch die politische Geschichte der Zweiten Republik, die der stellvertretende Vorsitzende der SPÖ seit 40 Jahren maßgeblich mitgestaltet.

Heinz Fischer wurde am 9. Oktober 1938 in Graz geboren. Nach dem Jus-Studium war Fischer von 1963 bis 1975 Sekretär des Klubs der sozialistischen Parlamentsfraktion, ab 1975 deren Geschäftsführender Obmann. 1983 wechselte Fischer vom Parlament in die Regierung - als Wissenschaftsminister unter Bundeskanzler Sinowatz. Nach seiner Rückkehr in den Nationalrat, 1986, übernahm er die Funktion des Klubchefs, die er bis zur Wahl zum Nationalratspräsidenten am 5. November 1990 innehatte.

Seit 1978 ist der Verfassungsexperte Universitätsdozent, im Mai 1993 wurde ihm auf Antrag der Juridischen Fakultät Innsbruck der Titel "Ordentlicher Universitätsprofessor" verliehen.

Innerparteilich hat sich Fischer um verschiedene Grundsatzkonzepte der SPÖ verdient gemacht. So war er federführend am SPÖ-Programm für die Zukunft "Sozialdemokratie 2000" beteiligt. Auch am Grundsatzprogramm der Sozialistischen Internationale hat Fischer mitgearbeitet.

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