"Ich schau nicht gern zurück"

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"Wer das Gute will, findet auch einen Weg." Nach diesem Motto lebt und kämpft Katharina Neumayer, christliche Gewerkschafterin der ersten Stunde. Am 11. August wurde die Wienerin, die "lieber nach vorne schaut als zurück", 100 Jahre alt.

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"Wer das Gute will, findet auch einen Weg." Nach diesem Motto lebt und kämpft Katharina Neumayer, christliche Gewerkschafterin der ersten Stunde. Am 11. August wurde die Wienerin, die "lieber nach vorne schaut als zurück", 100 Jahre alt.

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In der Ein-Zimmer-Wohnung der Katharina Neumayer ist nichts zu viel: Bett, Schrank, Tisch und Stühle, eine Kommode. Dafür Radio, Fernseher, Zeitungen. "Ich leb' doch jetzt", sagt die kleine Dame mit den leuchtenden Augen und dem geraden Rücken. Kürzlich hat sie wieder ein paar Unterlagen aus dem Schrank geräumt und weggeworfen. Je älter sie wird, desto mehr Platz gibt es um sie herum. Am 11. August feierte die Wienerin ihren 100. Geburtstag.

Unbeschwert vom Unwesentlichen hat Katharina Neumayer ihr ganzes Leben gelebt. Die wechselnden Notwendigkeiten der Gegenwart haben ihr ihren roten Faden in die Hand gelegt, mutig und demütig hat sie ihn ergriffen und weitergesponnen: als Gewerkschafterin, als Mitarbeiterin des "Verbands der christlichen Hausgehilfinnen Österreichs", als Vorkämpferin für die Rechte der "Dienstbotinnen".

Schon mit 14 hat sie am eigenen Leib erfahren, was es heißt, "bei der Herrschaft zu dienen". Als sie die geliebte Bürgerschule abgeschlossen hat, schickt der Vater, ein Buchdrucker, das älteste seiner vier Kinder zum Baron nach Mauerbach: "Eine Arbeitszeit hat es nicht gegeben, sondern eine Ruhezeit, von zehn Uhr abends bis sechs Uhr früh".

Wenige Jahre später dann die Fabrik, nach dem schweren Verkehrsunfall im November 1918: Akkordarbeit an der Strickmaschine: "Das ist eine gute Vorschule für mich gewesen. Von zu Hause wußte ich: was du tust, tu' ordentlich. In der Fabrik habe ich gelernt, daß das Kapital des Arbeiters seine Leistung ist. Ich habe dort auch erfahren, daß es eine Gewerkschaft gibt." Katharina Neumayer tritt bei, wird 1919 Mitglied den Christlich-Sozialen, besucht Gewerkschaftskurse am Rennweg.

Über die Marianische Kongregation der Sodalinen stößt sie in dieser Zeit auf eine große Frau: Johanna Weiß, Gründerin (1909) und Leiterin des "Verbands der Hausbediensteten". Weiß "übersetzt" die Enzyklika "Rerum novarum" in die Realität der Dienstbotinnen. 1920 erkämpft sie das erste Hausgehilfinnengesetz, 1921 die Einbeziehung in die verpflichtende Krankenversicherung, 1927 die rechtliche Grundlage für die Alterssicherung der Hausangestellten.

Katharina Neumayer wird 1922 von Weiß als Sekretärin engagiert und geht zehn Jahre lang bei ihrem Vorbild "in die Lehre". "Eine Kochkiste haben wir gezimmert und Bohnen gekocht, damit die Stellensuchenden am Abend etwas zu essen hatten": Neumayer hilft Stellen vermitteln, Unterkünfte besorgen, ein Netz von Wohn-, Erholungs- und Altersheimen aufbauen. Sie organisiert Aus- und Weiterbildung, arbeitet sich in die rechtliche Interessensvertretung ein, macht gemeinsam mit Weiß "Hausbesuche" bei den Dienstgebern: "Probleme gab es zum Beispiel, wo kein eigenes Zimmer für die Hausangestellten vorhanden war. Manch eine schlief auf dem Tafelbett, einer Holzplatte über einer Kiste, auf der tagsüber der Nudelteig gewalkt wurde."

Bereits mit "Lehrantritt", 1922, als sich der Verband der Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften Österreichs anschließt, wird Neumayer als Verbandsvertreterin in die Gewerkschaft entsendet. Bis 1927 ist sie dort die einzige weibliche Funktionärin.

Diese erste Ära als Gewerkschafterin endet zwei Jahre, nachdem Neumayer die Leitung des Verbands übernommen hat. 1934 werden infolge der Errichtung des Ständestaates die Gewerkschaften verboten. Der Verband, der bestehen bleibt, übernimmt Teile der Gewerkschaftsarbeit. Die Christlich-Soziale Neumayer wird Leiterin von zwei Obdachlosen-Heimen der Sozialisten. Sie setzt sich über die bestehenden Spannungen hinweg: "Für mich war es nicht wichtig, ob einer Sozialist ist. Man muß immer zuerst den Menschen sehen und respektieren."

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bringt 1938 dann das endgültige Aus für Neumayers Arbeit. Auf einer Polizeidienststelle in der Taubstummengasse setzt man die Frau von der Enteignung und Auflösung des Verbandes in Kenntnis, sie selbst wird beim Arbeitsamt dienstverpflichtet. Schluß ist jetzt auch mir dem Studium der Staatswissenschaften, das Neumayer sechs Semester lang neben ihrem Beruf her betrieben hat. Die Matura hatte sie in Abendkursen in Klosterneuburg nachgeholt.

Den Krieg übersteht die sozial Engagierte "immer mit einem Bein im Gefängnis". Trotz schwerer Bombardements, bei der auch ihre Unterkunft zerstört wird, verläßt sie die Stadt nicht. "Mir war ganz klar, daß ich bleibe. Man kriegt schon die Kraft, die man braucht." Noch heute bekäme sie im übrigen "diese kleine Kraft, die ich brauch'": wenn es nicht gerade stürmt oder schneit, macht sich Katharina Neumayer immer noch allmorgendlich auf den Weg zum Stephansdom, um die Messe zu besuchen.

Nach dem Krieg ist ans Weiterstudieren nicht zu denken: "Wir mußten doch helfen, wiederaufzubauen. Das war wichtiger. Mit der Verbandsarbeit haben wir sofort am 1. Mai 1945 wieder angefangen."

Der unabhängige Österreichische Gewerkschaftsbund konstituiert sich, Neumayer bekommt sofort Funktionen übertragen und geht als "Frau der ersten Stunde" in die ÖGB-Geschichte ein. In den folgenden Jahren ist sie maßgeblich beteiligt am Zustandekommen einer Novelle zum Hausgehilfinnengesetz, die eine Urlaubsregelung schafft, und an der Einbeziehung der Hausgehilfinnen in das Arbeitslosenversicherungs- und Mutterschutzgesetz.

Die Krönung ihres Lebenswerks wird das neue Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz, das am 23. Juli 1962 nach zähen Kämpfen und mit tatkräftiger Unterstützung von Sozialministerin Grete Rehor verabschiedet wird: "Es hat immerhin sechzehn Jahre gedauert, bis das zustandegekommen ist. Die Männer waren einfach dagegen."

"Die Frauen werden sich auch weiter durchsetzen", ist Neumayer trotz der vielen "Vernachlässigungen", die Frauen immer noch in der Gesellschaft erdulden müssen, überzeugt. Den Frauen, für die sie ein Leben lang gekämpft hat, ist sie bis heute treu. Weit über ihre Pensionierung im Jahr 1957 hinaus, bis 1978, ist sie dem österreichischen Verband der Hausgehilfinnen vorgesessen, 1959 hat sie die "Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hausgehilfinnen" gegründet.

Bis zu ihrem 90. Lebensjahr hat sie Besuche bei alten und kranken Hausangestellten gemacht, dann, als sie nicht mehr soviel unterwegs sein konnte, diesen Dienst auf das eigens dafür angeschaffene Telefon verlegt. Ihr persönlicher Lebensraum, die Ein-Zimmer-Wohnung in Wien-Meidling, gehört zu einem der von ihr forcierten Heime.

Dort, an ihrem Tisch, sitzt die kleine große Frau aufrecht und wach und studiert große Zeitungen, warnt vor den Folgen der Globalisierung für den Arbeitsmarkt, verfolgt mit Spannung Österreichs Politik im europäischen Einigungs- und Wachstumsprozeß: "Ich schau' nicht gerne zurück, lieber nach vorn. Aus der Vergangenheit soll man das Gute übernehmen, und dann das Bessere machen, und wer das Gute will, findet auch einen Weg. Das gilt für jeden in seinem kleinen Kreis und auch im Großen. Ich glaube an Österreich, und auch an Europa. Es wird schon werden."

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