Ideen von Machtleere

19451960198020002020

Dass Geld die Welt regiert, ist eine Wahrheit, die simpel scheint. Aber was ist das eigentlich -Macht? Ein britischer Ökonom gibt Antwort am Beginn einer FURCHE-Serie.

19451960198020002020

Dass Geld die Welt regiert, ist eine Wahrheit, die simpel scheint. Aber was ist das eigentlich -Macht? Ein britischer Ökonom gibt Antwort am Beginn einer FURCHE-Serie.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Diskussion über Macht und Machtverhältnisse prägt die Geschichte der menschlichen Gesellschaft. War es in biblischer Zeit die Macht der Könige, Krieger und Priester, so sind es heute Diskussionen über wirtschaftliche und politische Einflussmöglichkeiten von Eliten. Der Journalist Roman Chlupaty hat darüber mit dem britischen Ökonomen Roger Tooze gesprochen. Tooze ist Experte für Internationale Interessenspolitik und Professor für Politische Ökonomie in Bristol. Dieses Interview steht am Beginn einer FURCHE-Serie über eine sich verändernden Welt und die Mechanismen, die sie zusammenhalten. Sie erscheint einmal pro Monat unter dem Titel: "Power - Macht, Energie, Zukunft."

Die Furche: Es gibt eine interessante Studie, in der die 16 bekanntesten Lehrbücher der Ökonomie zum Thema Macht analysiert wurden. Herauskam, dass alle diese Bücher in Summe null Seiten dem Thema Macht widmen. Wenn man einmal die Wichtigkeit der Ökonomie in Betracht zieht, erscheint das doch absurd.

roger Tooze: Die meisten Menschen sehen Macht als Instrument zur Ressourcenkontrolle. Und offensichtlich ist es ja: Jemand, der viel Geld hat oder Öl, verfügt über etwas, das auch viele andere haben wollen. Aber diese Wahrnehmung, die oft als Ausgangspunkt der Machtdebatte verwendet wird, ist nur die Spitze des Eisberges. Wir benehmen uns wie der Kapitän auf der Titanic, der die restlichen 99 Prozent des Berges nicht sehen wollte. Einfach gesagt: Was wir nicht sehen, nehmen wir nicht wahr. Und so sehen wir eine sichtbare Machtquelle sehr klar, lassen aber eine andere außer Acht, weil sie nicht offensichtlich ist oder weil sie dem politischen Konsens widerspricht.

Die Furche: Aber wie können wir denn Macht ohne entsprechendes Vokabular diskutieren und ohne die Rahmenbedingungen, die uns die Natur setzt?

Tooze: Das ist es doch, was uns die Wissenschafter seit der Gründung der Sozialwissenschaften versprochen haben. Dass sie eine bestimmte Anordnung von Theorien verwenden, die universell einsetzbar und anwendbar sind. Ich finde, das ist nicht möglich. Man kann nicht über Macht sprechen in der gleichen Art und Weise wie Wissenschafter über das Atom sprechen. Ich glaube also, dass die Antwort auf die Frage, ob eine objektive Darstellung möglich ist, eigentlich sehr einfach ist: Nein, das ist nicht möglich.

Die Furche: Dann wäre unsere Unterhaltung eigentlich unnötig.

Tooze: Nicht unbedingt - Das Problem ist, dass man Diskussionen über Machtfragen sozusagen erst in der Mitte beginnt. Es ist so, als würden sie sich entscheiden, sich in einer Autobahn dem Verkehrsfluss einzuordnen. Der Zustand der Autobahn und die Verkehrsrichtung sind bereits entschieden. Wir müssten uns bewusst machen, dass wir gewisse Regeln schon unbewusst akzeptiert haben, ehe wir in den Verkehrsstrom einsteigen. Das wird uns helfen, die Konsequenzen unseres Handelns zu verstehen. Wir müssen uns also klar darüber werden, was unsere Gesellschaft über Verkehrsrecht und die Straßenverkehrsordnung vorgibt und über die gesamte Infrastruktur. Genau so ist es mit Machtfragen. Der Brite nimmt Macht und Machtausübung ganz anders wahr als etwa ein Kanadier oder ein Chinese. Wir haben nicht den selben und auch nicht den gleichen Common Sense. Jede Gesellschaft konstruiert ihr eigenes Machtsystem, um gewisse Wahlmöglichkeiten zu rechtfertigen und zu unterstützen. Eine Machtstruktur kann also für die eine Gesellschaft Sinn machen, für eine andere gar keinen.

Die Furche: Wer sitzt denn jetzt aber an der Schaltstelle bei so einem Machtprozess? Geht es nach David Graeber, dann muss jeder, der in einer Gesellschaft agiert, den Grundgesetzen dieser Gesellschaft gehorchen.

Tooze: Das gilt sicher für formelle und informelle politische, soziale und ökonomische Strukturen. Aber wir sollten uns nicht einfach herausnehmen, indem wir meinen, der Mensch könne nicht verantwortlich sein. Wir sprechen über ein soziales System, nicht über etwas von Gott Gemachtes, das von uns nicht mehr beeinflusst werden kann. Unser System ist ein Produkt der menschlichen Kommunikation und Interaktion. Es ist auch ein zielorientiertes Handeln und ein Austausch von Interessen. Und tatsächlich können wir auf einer historischen Ebene sehen, wie sich die Parameter des Systems ändern, sobald es einschneidende Ereignisse gibt wie etwa Krieg oder einen technologischen Sprung. Sobald sich die Menschen ihrer Möglichkeiten der Veränderung bewusst werden, und sobald es in ihrem Interesse ist, ändert sich auch das System.

Die Furche: Aber wo und bei wem sollten wir denn anfangen, wenn wir einen Systemwandel andenken wollen?

Tooze: Wir sollten bei den Regierungen beginnen, weil sie die Ressourcen und die Möglichkeiten haben, eine strukturierte Macht aufzubauen. Wir sollten achtgeben, welche Regierungen die Fähigkeit haben, die Gesetzmäßigkeiten des Systems zu beeinflussen. Ich meine damit nicht die formalen Regeln, sondern eher die Regeln, nach denen etwa die globalisierte Ökonomie funktioniert. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als Ronald Reagan an die Macht kam, verlor die US-Schwerindustrie ihre Wettbewerbsposition an die Japaner und die Koreaner. Plötzlich wandte sich der Diskurs ab von der Förderung des Freihandels, von dem die neoklassischen Ökonomen immer sagten, er sei zum Besten aller in eine andere Richtung. Aus Free Trade wurde Fair Trade. Und Reagan fokussierte nun den Diskurs auf die Dienstleistungen, einem Bereich, in dem die Amerikaner sehr wettbewerbsfähig waren. Seit damals redet man über Freihandel ausschließlich im Dienstleistungsbereich. Das braucht Zeit, und vielleicht ist es auch nicht erfolgreich, aber das Ziel ist es, die Spielregeln so zu ändern, dass das Spiel im Interesse des mächtigsten Spielers läuft.

Die Furche: Mahathma Gandhi sagte "erst an dem Tag, an dem das Gesetz der Liebe die Liebe zur Macht ersetzt, wird die Welt Frieden haben." Glauben Sie, dass es möglich ist, diesen Zustand zu erreichen?

Tooze: Das mündet in die Frage nach dem menschlichen Wesen. In dieser Hinsicht gab es noch nie eine menschliche Gesellschaft, in der nicht Macht den Schlüssel für die Struktur der Gesellschaft gebildet hätte und als eine der erstrangigen Ziele der sich darin befindlichen Menschen. Was die Menschenliebe und der Altruismus in einer neuen Gesellschaft mit der Macht zu tun haben werden, wird davon abhängen, wie die menschlichen Bedürfnisse gestillt werden. Wenn unsere Bedürfnisse in materieller, spiritueller und emotioneller Hinsicht gestillt werden, dann ist es möglich, dass die Rolle der rohen Macht signifikant verkleinert wird. Nichtsdestotrotz: Glaube ich, dass die Menschheit je einen Status erreichen wird, in dem Macht irrelevant sein wird? Ich würde es gerne hoffen, aber ich glaube es nicht.

Übersetzung: Oliver Tanzer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung