Ideologie des bösen Verdachts

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In der Asyl-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik ist ein Paradigmenwechsel dringend nötig.

Man muss über den Rechtskunde-Unterricht, den der Sprecher des Verfassungsgerichtshofs letzte Woche der Öffentlichkeit (und hoffentlich auch der Politik) erteilte, froh sein: Das "Bleiberecht" für Asylwerber, die sich schon lange im Lande aufhalten, sei keine Frage der politischen Entscheidung - sondern einer rechtlichen Beurteilung. Kurz gesagt: Wenn die rechtlichen Kriterien erfüllt sind, gibt es einen Anspruch aufgrund der Menschenrechtskonvention. Verfassungsgerichts-Sprecher Christian Neuwirth nannte unter diesen Kriterien etwa, dass die familiären Bindungen zum Herkunftsland geprüft werden müssten. Im Klartext: Man kann jemanden, der praktisch ausschließlich in Österreich aufgewachsen ist, nicht so einfach abschieben (dass - dem entgegen - versucht wurde, asylwerbende Schüler(innen) aus Oberstufenklassen zu reißen, hat ja unter anderem die aktuelle Debatte losgetreten). Es tut dieser Debatte gut, sie den Fängen der Tagespolitik zu entwinden und entgegen dem populistischen Hickhack und Zickzack-Kurs, das bei diesem Thema die Koalitionäre überkommt, feststellen zu können: Wer lange in Österreich lebt und hier gut integriert ist, darf grundsätzlich auch bleiben. Das gilt schon jetzt.

Ist die Debatte also einmal mehr ein Sturm im Wasserglas, den die Großparteien in ihrer wechselseitigen wie selbstgemachten Lähmung vorführen? Nicht nur. Denn die Auseinandersetzung, so fragmentiert und unausgegoren die Vorschläge von Franz Voves bis Erwin Pröll und Josef Pühringer, von Kanzler bis Präsident auch sein mögen: Immerhin tut sich in dieser Auseinandersetzung ein Funke an Erkenntnis auf, dass die Probleme von Integration und Zuwanderung nicht mit himmelhoch aufgetürmten juristischen Mauern à la aktuelles Fremdenrecht in den Griff zu kriegen sind. (Die betrübliche Facette des Ganzen: Solche Erkenntnis hat sich noch lange nicht bis zum Innenminister durchgesprochen.)

Es gibt zum Thema also - neben allzu nobel verschwiegenen juristischen Fakten - auch politische Argumente für mehr Liberalität mit Augenmaß. Und für vernetzte Zugänge, denn die Causa Bleiberecht ist da ja nur ein Aspekt jenes Komplexes, der um Asyl, Zuwanderung, Integration kreist.

Der vorherrschende politische Wille zum Umgang mit diesem Komplex ist von einer Ideologie des bösen Verdachts genährt: Flüchtlinge werden da vornehmlich als potenzielle Asylmissbraucher, Arbeitsuchende in erster Linie als Arbeitsplatzräuber und Heiratswillige als grundsätzliche Scheinehe-Erschleicher wahrgenommen - und dann auch vom Gesetz her so behandelt.

Letzeres Beispiel ist besonders unappetlich: Man muss zur Zeit raten, nur ja nicht eine(n) Nicht-EU-Bürger(in) ehelichen zu wollen! (Und dieses Fremdenrecht ist von jener Partei wesentlich zu verantworten, die als Mantra "ihre" Ehe- und Familienwerte vor sich her trägt- offenbar gelten diese nur für Inländer …)

Ein Paradigmenwechsel weg von solcher Ideologie des bösen Verdachts zu offenen Gesellschaften mit Augenmaß ist dringend nötig. Auch dafür gibt es handfest globale wie lokale politische Gründe. Die Nahostexpertin Karin Kneissl vergleicht in ihrem jüngstem Buch Die Gewaltspirale das Verhältnis von Orient und Okzident 1907 mit jenem von 2007 - und kommt dabei zum ernüchternden Schluss, dass die aktuellen Konflikte nicht zuletzt daraus resultieren, dass es zwischen beiden kulturellen Sphären kaum mehr Austausch gibt. Einen Gutteil trägt dazu bei, dass sich der Westen (und das gilt für Österreich ganz besonders) für Reisende, Studierende etc. aus diesen Weltgegenden abschottet. Gleiches trifft auch auf den Westbalkan zu: Man for-dert von Bosnien, Mazedonien Serbien oder vom Kosovo Demokratie, aber dass Menschen von dort kommen, um konkret zu sehen, wie der Westen "friedlich" funktioniert? Nein danke!

Es gibt also nicht nur - belächelte bis ge-brandmarkte - "gutmenschliche" Argumente für solch einen Paradigmenwechsel. Denn Österreich trägt durch oben skizzierte Politik sein Scherflein dazu bei, die globalen Span-nungen zu verschärfen. In der ersten Phase der Legislaturperiode, wo Wahlen noch fern sind und Populismus nicht vorherrschen müsste, wäre es Zeit, diesen Paradigmenwechsel um des Friedens willen anzugehen.

otto.friedrich@furche.at

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