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Im Irrgarten der Gesetze

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Seit rund 25 Jahren weiß die Öffentlichkeit, wie sehr die Umwelt bedroht ist. Zögernd, aber doch wurde auch auf politischer Ebene reagiert...

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Seit rund 25 Jahren weiß die Öffentlichkeit, wie sehr die Umwelt bedroht ist. Zögernd, aber doch wurde auch auf politischer Ebene reagiert...

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Mit Umweltschutz befaßte Behörden wurden eingerichtet bzw. ausgebaut, Umweltministerien mit der Koordinierung dieser Aufgabe betraut. Die Gesetzgebung nahm sich des Umweltschutzes an. In den letzten Jahren ist die Zahl der Normen (der Gesetze und Verordnungen), die Umweltfragen betreffen, stark gestiegen. Tatsächlich wurde in Österreich, das im internationalen Vergleich zu den Umweltmusterländem zählt, auch einiges erreicht: Die Seen und ein Großteil der Fließgewässer wurden saniert, in Fragen der Luftreinhaltung gab es beachtliche Fortschritte...

Gesetze sind jenes Werkzeug, auf das unsere Gesellschaft nun einmal bei der Steuerung menschlichen Verhaltens setzt. Das ist im Grunde genommen auch das einzige Mittel, das der pluralistischen Gesellschaft zur Verfügung steht, geht sie doch vom Grundsatz aus, daß jeder nach seiner eigenen Facon selig werden dürfe. Das einzige Band, das die Bürger zusammenhält, ist die Rechtsordnung, die oft bis ins Detail vorschreibt, was zu tun und was zu unterlassen sei.

Man sehe sich nur die Seitenzahl der Bundesgesetzblätter an: von Jahr zu Jahr mehr. Längst ist der Wust an Gesetzen auch für den Fachmann unüberschaubar, längst die Einhaltung der Vorschriften unkontrollierbar. In weiten Bereichen lebt der Staatsbürger neben den Gesetzen. Im Falle ihrer Übertretung wird er häufig nicht beanstandet. Das gilt für das Steuer-, das Verkehrs- das Arbeitsrecht, und so weiter... Und es gilt auch für das Umweltrecht. Es habe in den letzten drei Jahren mehr Rechtsveränderungen gegeben als in den zwei Jahrzehnten davor, berichtet Wolfgang Huber, ein Sachverständiger für Wasserrechtsfragen. Sich am laufenden zu halten, bedeute einen beachtlichen Aufwand. Die Verfahren würden immer aufwendiger, müßten zunehmend mehr Aspekte berücksich-ten. Dazu der Bezirkshauptmann von Wr. Neustadt, Herbert Marady: „Als junger Beamter hatte ich Gewerbeverhandlungen mit fünf bis zehn Auflagen. In der letzten Zeit, als ich noch selbst Verhandlungen führte, waren es 20 bis 30. Heute sind Werte von 70 bis 80 gängig, manchmal sind es 150!”

Gebote, Verbote, Grenzwerte, Auflagen: Der Versuch, perfektes Funktionieren durch perfekte Normierung zu erreichen. Was im technischen Bereich mit Erfolg angewendet wird, muß nicht überall ähnlich wohltätig wirken. Bei Umweltfragen handelt es sich um einen Bereich mit sehr komplexen Zusammenhängen. Man durchschaut sie meist nicht zur Gänze. Daher ist es schwierig, die Folgen eines bestimmten Tuns eindeutig abzuschätzen und so läßt sich über sie leicht streiten.

Nicht zuletzt daher rührt die Anfälligkeit von Umweltverfahren, sich endlos durch die Instanzen zu schleppen. Das kann fünf Jahre und länger dauern: Bezirkshauptmannschaften, Magistra-

Redaktionelle Gestaltung: Christof Gaspari te, Landesregierungen, Ministerien, der Verwaltungsgerichtshof werden bemüht (siehe Seite 25).

Weil handfeste Interessen mit der Erlassung oder Verhinderung eines Bescheides verbunden sind, nützen die Beteiligten oft jeden noch so kleinen formalen Fehler, um Verfahren in die Länge zu ziehen. Da diese aber immer komplizierter werden, sei es kaum mehr möglich, sie gänzlich fehlerfrei durchzuführen, versichern erfahrene Beamte. So sei beispielsweise das Verfahren zur Sanierung der im Baum Wr. Neustadt gelegenen Fischer-Deponie (sie gefährdet die Grundwasservorkommen) wegen formaler Probleme schon dreimal beim Verwaltungsgerichtshof gewesen, obwohl in der Sache eigentlich alles geklärt sei.

Ohne Kooperation der Bürger geht es einfach nicht

Daß die Dinge so laufen, ist deswegen nicht überraschend, weil die Verfügungen der Behörden ja den Handlungsspielraum einiger Beteiligter einengen, gegen irgendjemandes Interesse stehen, möglichst billig davonzukommen. Zwar haben Betriebe ein Interesse daran, mit ihrem Umfeld in Frieden zu leben, da sie aber auch unter Konkurrenzdruck stehen, sind sie versucht, Auflagen zu verhindern beziehungsweise sie zu unterlaufen (siehe Seite 25).

Damit ist ein Grundproblem angesprochen: Umweltgesetze können das Zusammenleben nur dann gedeihlich regeln, wenn auch die Bereitschaft besteht, sich von ihnen leiten zu lassen. Die Behörde muß überfordert sein, wenn sie im großen Stil das Recht gÄgen die Beteiligten durchzusetzen hat. Würde niemand mehr in Österreich Strafmandate für Verkehrsübertretungen bezahlen, sondern gegen deren Verhängung ein Rechtsmittel ergreifen, so wäre die Polizei hilflos.

Ähnliches gilt bei der Umsetzung der Umweltgesetze: Niemand kann beispielsweise ein Unternehmen und seine Produktionsverfahren so durchschauen und kontrollieren, daß die Erzeugung von Sonderabfällen überblickt werden könnte. Eine wirklich konsequente Einhaltung von Auflagen ist einfach nicht sicherzustellen.

Besonders offensichtlich ist dies beim Betrieb von Deponien: Eine lückenlose Kontrolle sei unmöglich, wird mir erklärt. Stichprobenartige Untersuchungen hätten wohl einen psychologischen Effekt. „Aber, was tatsächlich hineinwandert, ist nicht zu erfassen”, meint Huber, denn die Untersuchung von Stichproben sei teuer. Im Falle von Unregelmäßigkeiten könne ein Strafverfahren eingeleitet werden. Da die Höchststrafe aber bei 100.000 Schilling liegt, sei die Abschreckung nicht überwältigend. Allein die Sanierung eines Tankerunfalles habe kürzlich zwei Millionen Deponiekosten ergeben. Bei solchen Beträgen, kann man schon einmal eine (unwahrscheinliche) Strafe riskieren.

Insgesamt zeichnet sich ab, daß die Vorschriftenflut der letzten Jahre die Exekutive an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geführt hat. Dieser Ansatz lasse sich nicht beliebig fortsetzen, stellt auch Umweltminister Martin Bartenstein (Seite 22) fest. Eine Politik im Dienste der Erhaltung unseres Lebensraumes wird daher andere Akzente setzen müssen: Umweltgerechtes Verhalten muß zum Anliegen von jedermann bei der Verfolgung seiner eigenen Interessen werden.

Die Umweltbelastung rührt aber eindeutig von der Überfülle an erzeugten Stoffen und deren allzu großer Vielfalt, sowie vom Einsatz von zu viel (vor allem fossiler) Energie. Daher muß es wirtschaftlich interessant werden, mit diesen Faktoren extrem sparsam umzugehen. Von einer Reduktion auf ein Zehntel wird gesprochen (furche 43/1995). Um eine Umorientierungunseres Wirtschaftens geht es also.

Die bisherige Gesetzgebung hat allzu stark am Ende der Kette wirtschaftlichen Tuns angesetzt, ohne das Grundprinzip des Wachsens von Produktion und Konsum anzutasten. Sie hat versucht, die schlimmsten Folgewirkungen etwas in den Griff zu bekommen: Im Fachjargon eine „end of the pipe”-Technik. Auf diese Weise erzielt man zwar in Teilbereichen Erfolge, verschiebt die Probleme aber meist nur: Man säubert das Wasser und sitzt auf Bergen von problematischen Schlämmen; man filtert die Abluft und sammelt hochgiftige Filterrückstände; man verzichtet auf Salzstreuung im Winter und erzeugt Staubwolken...

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