Im Kosovo begann der Zerfall Tito-Jugoslawiens begann

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Zwei lesenswerte, aufschlußreiche Bücher analysieren den historischen Hintergrund der Kosovo-Krise, die letztlich gescheiterten diplomatischen Friedensbemühungen sowie Ablauf und Auswirkungen des NATO-Kampfeinsatzes. Das Resümee ist zwiespältig: ein halber Sieg der NATO, die momentane Entschärfung eines zentralen Krisenherdes am Balkan durch die Stationierung einer Friedenstruppe, doch von einer dauerhaften Lösung des Konfliktes keine Spur.

So schreibt der österreichische Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch in seinem Buch "Kosovo - Mythen, Daten, Fakten" die "optimistische Hoffnung" auf einen politischen Kompromiß zwischen demokratisch legitimierten Parteien in Pristina und Belgrad sei "nunmehr, nach 10.000 zivilen albanischen Opfern, der Vertreibung und Flucht von Serben und Roma aus dem Kosovo und einem materiell und moralisch devastierten Milosevic'-Serbien gegen Null gesunken".

Erfolg oder Mißerfolg der Rekonstruktion eines multiethnischen und demokratischen Kosovo besäßen enorme regionale, aber auch exemplarische Bedeutung: "Das Scheitern eines "multiethnischen Kosovo würde das Experiment Bosnien und Herzegowina - und ein solches ist es immer noch - aufs Ernsteste gefährden. Mehr noch, es würde den Fortschritt der europäischen Einigung in Frage stellen." Erst wenn Ost- und Südosteuropa, erst wenn die Krisenregion Balkan gleichberechtigte Teile einer demokratischen Union geworden seien, werde man von einem wirklich vereinten Europa sprechen können. Ein solches will Petritsch zwar nicht auf den St. Nimmerleinstag verschieben, sieht es jedoch in sehr weiter Ferne: "Diese konkrete Vision aber verweist uns weit ins nächste Jahrhundert ..."

Utopien dieser Art sind die Sache von Erich Reiter - Beauftragter für Strategische Studien des Verteidigungsministeriums - nicht. Er vertritt in einer von ihm herausgegebenen Studie "Der Krieg um das Kosovo 1998/99", daß man um die Frage der Selbständigkeit des Kosovo nicht herumkommen wird. Schon die Dayton-Lösung für Bosnien-Herzegowina habe die Brüchigkeit vom Westen auferlegter Friedenslösungen gezeigt: "Das war vielleicht nur ein vorläufiger und kein definitiver Erfolg, denn dort wird zusammengehalten, was nicht zusammengehört und nicht zusammengehören will."

Aufgrund der Greuel im Kosovo ist es für Reiter nur schwer vorstellbar, daß das Kosovo faktisch wieder unter serbische beziehungsweise jugoslawische Hoheit kommen wird: "Gerade das - zu lange - Zuwarten des Westens, der die Anliegen der Kosovo-Albaner und deren passiven Widerstand nicht so recht zur Kenntnis nehmen wollte, hat diese neues Situation geschaffen; die militärische Intervention wird möglicherweise das Ergebnis eines neuen faktisch unabhängigen Staates gebracht haben."

Einig sind sich Reiter und Petritsch sowie dessen Co-Autoren, die Historiker Karl Kaser und Robert Pichler, allerdings in der Beurteilung, daß das Aufbrechen des Kosovo-Konfliktes den Zerfall des alten Tito-Jugoslawiens eingeläutet habe. Die Staatengemeinschaft - so Reiter - habe lange Zeit die Gefährlichkeit des Kosovo-Konfliktes unterschätzt, "obwohl es gerade die Aufhebung der unter Tito 1974 eingeführten politischen Autonomie für das Kosovo in der Ära des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic' 1989/90 war, die eine Katalysatorfunktion in bezug auf die nachfolgenden ,jugoslawischen Erbfolgekriege' hatte".

Petritsch, Kaser und Pichler orten den Beginn des Zerfallprozesses in der Zeit der ersten Studentenproteste in Pristina ein Jahr nach Titos Tod: "Mit dem Aufbrechen der nationalen Spannungen im Kosovo 1981 begann der Desintegrationsprozeß Jugoslawiens, der in der Folge auch Slowenien, Kroatien und später Bosnien und Herzegowina erfaßte."

Kosovo - Mythen, Daten, Fakten. Von Wolfgang Petritsch u.a., Wieser Verlag, Klagenfurt 1999, 363 Seiten, geb., öS 348,-/e 25,29 Der Krieg um das Kosovo 98/99. Herausgegeben von Erich Reiter, Hase &Koehler Verlag, Mainz 1999, 276 Seiten, kart., öS 263,-/e 19,11

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