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25 Jahre nach der Militärdiktatur geht die Aufarbeitung nur schleppend voran. Gewaltverbrechen stehen in Guatemala noch immer auf der Tagesordnung.

Der Ixcán ist so etwas wie der Wilde Westen Guatemalas, eigentlich der Wilde Nordwesten, wo die Grenze eine kerzengerade Trennlinie zu Mexiko zieht. Die Ölpipeline, die hier entlang der Straße stellenweise durch die Vorgärten der Anwohner verläuft, verrät, dass hier enorme Bodenschätze lagern, die die entlegene Region nicht nur für Kleinbauern und Rinderbarone interessant macht. Noch vor wenigen Jahren war der Ixcán praktisch nur aus der Luft oder über Saumpfade zu erreichen: ein ideales Gelände für Schmuggler jeder Art und vor weniger als 20 Jahren auch noch für die Guerilla. Heute ist die Asphaltstraße, die den Hauptort Playa Grande mit Cobán, der nächstgelegenen Provinzhauptstadt verbindet, nahezu fertig.

Trotzdem muss man für die 370 Kilometer aus der Hauptstadt auch heute noch gut zehn Stunden einplanen. Wenn nicht ein Felssturz oder ein Erdbeben einen Teil der Straße für Tage unpassierbar macht.

Spuren der Militärdiktatur

Nirgendwo kann man besser die Tragödie dieses landschaftlich und kulturell berückenden Landes besser nachzeichnen als im Ixcán, wo Angehörige verschiedener Maya-Völker aus mehreren Landesteilen die Agrargrenze vorangetrieben haben und den kargen Boden mit Mais, Bohnen und vielleicht etwas Gemüse bebauen.

Jerónimo Osorio Chen vom Volk der Achí war noch ein Kind, als die Soldaten in sein Dorf Río Negro bei Rabinal kamen und ein Massaker an Kleinbauern verübten. Sein Vater wurde verschleppt und tauchte nie wieder auf. Erst später verstand er, dass sich die Dorfbewohner gegen ein Staudammprojekt gewehrt hatten, das ihre Häuser und Äcker unter Wasser setzen sollte. Widerstand wurde mit Subversion gleichgesetzt. Die Militärs unterschieden nicht zwischen Guerilla-Kämpfern und Dorfbewohnern, die ihnen zu Essen gaben oder auch nur im Operationsgebiet der Rebellen wohnten. Das Wasserkraftwerk von Chixoy war in den 1970er-Jahren eines der Prestigeprojekte der Militärdiktatur und sollte einige Generäle sehr reich machen. Osorio konnte mit seinem großen Bruder fliehen. Nach Monaten, in denen sie sich von Wurzeln und Beeren ernährten, landeten sie in einem Widerstandsdorf im Urwald, wo Vertriebene jahrelang den Attacken der Armee auszuweichen verstanden. "Man durfte fast nie kochen“, erinnert sich der Mann, der heute in Playa Grande lebt. Untertags hätte sie der Rauch verraten, nachts das Feuer.

Heute geht von den Soldaten keine unmittelbare Gefahr mehr aus. Nach dem Friedensabkommen von 1996 musste sich die Armee in die Kasernen zurückziehen und beschränkte sich darauf, die eigenen Interessen zu schützen. Sie konnte aber nicht verhindern, dass die Massengräber der Massakeropfer nach und nach entdeckt und geöffnet werden. Guatemalas forensische Teams gehören inzwischen zu den besten in ganz Lateinamerika. Von den insgesamt 187 Opfern der Ortschaft Río Negro wurden die meisten ausgegraben. Jerónimo Osorios Vater war nicht dabei.

Zwei Kommissionen arbeiteten nach dem bewaffneten Konflikt die blutige Geschichte auf: eine kirchliche unter Leitung von Bischof Juan Gerardi und eine offizielle der Vereinten Nationen. Beide kamen zu dem Schluss, dass über 90 Prozent der 150.000 Todesopfer auf das Konto von staatlichen Organen oder staatsnahen Todesschwadronen gingen. Eine geringe Anzahl konnte nicht zugeordnet werden. Für etwa fünf Prozent der Morde sei die Guerilla verantwortlich. Bischof Gerardi wurde 1998 wenige Tage nach Veröffentlichung seines Berichts in der Garage des bischöflichen Palais erschlagen. Jahrelang wagte es darauf fast niemand, gegen Militärs oder Polizisten auszusagen.

Erst in den letzten Jahren gelang es, Zeugen zu finden, die vor Gericht zu ihren Beobachtungen standen. Der deutsche Anwalt Michael Mörth, der eine Menschenrechtsanwaltskanzlei in Guatemala berät, arbeitet auch mit Zeuginnen und Zeugen vor Verhandlungsterminen. So gelang es etwa, für die Überlebenden des Massakers von Río Negro umgerechnet 200 Millionen Euro Entschädigung zu erstreiten. Allerdings hat die Regierung nie gezahlt.

Es konnten aber auch Militärs für Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden. So ein ehemaliger Offizier und drei Ex-Soldaten, die für ein Massaker an 201 Kleinbauern im Jahr 1982 zu 6000 Jahren verurteilt wurden. Efraín Ríos Montt, der Guatemala nach einem Putsch im März 1982 fast anderthalb Jahre diktatorisch regierte, steht vor Gericht, wo er sich für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss. Die Aussicht, dass er auch verurteilt wird, stehe nach Meinung von Michael Mörth nicht schlecht.

Polizeiarchiv als Fundgrube

Die Ermittler können sich jetzt auch auf eine Quelle von unschätzbarem Wert stützen. Vor wenigen Jahren wurde durch einen Zufall das Polizeiarchiv entdeckt, dessen Existenz von der Polizei immer geleugnet worden war. Millionen Akten, die die Polizeiarbeit von 1883 bis 1992 akribisch dokumentieren, liefern wertvolle Hinweise auf die Täter von Menschenrechtsverbrechen. Zuerst werden die Jahre 1975 bis 1985 aufgearbeitet. "Das war der Höhepunkt der Repression“, sagt Alberto Fuentes, der die Arbeiten leitet. Dank der Protokolle konnten zwei Polizisten verurteilt werden, die im Februar 1984 den Gewerkschafter Fernando García mit einem Kollegen festnahmen. Nach drei Tagen im Polizeigewahrsam verliert sich deren Spur. Flores ist überzeugt, dass auch noch die Leute gefunden werden, die die Verdächtigen folterten und dann verschwinden ließen. Der ehemalige Polizeioffizier Pedro García Arredondo, der am 31. Jänner 1980 den Befehl gab, die von indianischen Kleinbauern friedlich besetzte spanische Botschaft in Brand zu stecken, sitzt dank Aufzeichnungen des Archivs bereits in Untersuchungshaft. Ihm werden insgesamt über 4000 Morde angelastet.

Präsident Otto Pérez Molina, der seit Jänner regiert, war selbst in der Armee und leitete in den 1980er Jahren, als die Repression ihren Höhepunkt erreichte, als Major Operationen im indianischen Hochland. Kurz nach seiner Angelobung stellte er klar: "Hier gab es keinen Völkermord. Hier fand ein bewaffneter Konflikt statt, den die Guerilla ins Landesinnere trug, wo sie die Maya-Völker hineinziehen wollte.“ Trotzdem hat er die Justiz bisher arbeiten lassen.

Konfliktherd brodelt weiter

Pérez Molina wurde nicht zuletzt gewählt weil er eine Politik der harten Hand versprochen hatte. Guatemala ist mit rund 550 Gewaltopfern pro Monat eines der gefährlichsten Länder der Welt. Jugendbanden, kriminelle Organisationen und die Drogenmafia fackeln nicht lange. Da über 95 Prozent der Verbrechen nicht bestraft werden, greifen aufgebrachte Dorf- oder Stadtteilbewohner oft zur Lynchjustiz, wenn sie einen Dieb oder Gewalttäter stellen. In letzter Zeit entbrennen aber auch zunehmend Konflikte um Bergwerke, Staudämme oder Ackerland, das sich Investoren mit dubiosen Mitteln aneignen. In Polochic, unweit des malerischen Izabal-Sees, werden indigene Bauern vom Land ihrer Väter vertrieben, weil das jetzt für profitable Zuckerrohr- und Palmölplantagen gebraucht wird. Agrosprit erzielt weltweit gute Preise.

Innenminister Mauricio López Bonilla freut sich über erste Erfolge gegen die ausufernde Gewalt: Im ersten Quartal 2012 sind 313 Menschen weniger getötet worden als noch im Vorjahr. Kein Verständnis hat er für Widerstand, der sich gegen Großprojekte und die Expansion von Monokulturen richtet. Dass die Landbevölkerung um den Chixoy-Damm bis heute nicht ans Stromnetz angeschlossen ist und dass Bauern im Umkreis von Goldminen statt Teilhabe am Gewinn nur verseuchtes Wasser und unfruchtbare Äcker bekommen, lässt er als Argument nicht gelten: "Vor 30 Jahren wurden vielleicht Fehler gemacht, aber wir haben daraus gelernt.“ Wenn man die weiterhin gängige Praxis betrachtet, muss man daran zweifeln.

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