Im Leiden froh

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Mit ihrer rechten Politik verlor die SPÖ nach rechts. Die Arbeiterschaft wählt nun freiheitlich.

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Mit ihrer rechten Politik verlor die SPÖ nach rechts. Die Arbeiterschaft wählt nun freiheitlich.

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Österreich wird zur Wahlheimat des Rechtsextremismus in Europa. Nirgends auf dem Kontinent erringt der Populismus derartige Erfolge. Im Gegenteil; der Vormarsch der Rechten in Paris, Rom oder im Osten Deutschlands schreckte Anfang der neunziger Jahre die internationalen Beobachter, doch mittlerweile scheint ihr Aufstieg gebremst. Hierzulande ist es jedoch möglich, mit signalgelben Plakaten eine beispiellose Haßkampagne zu entfachen und dennoch - wenn nicht gar deshalb - zu einer machtvollen Partei aufzusteigen.

Kaum jemand stellt sich der Volksverhetzung entgegen. Zwar sind die Lügen von den potenzsteigernden Spritzen für Ausländer, von den Vorzügen nazistischer Beschäftigungspolitik und über Menschen dunkler Hautfarbe allzu offensichtlich, aber wen kümmert's. Die Anhänger der FPÖ und die Leser der Krone scheren sich nicht um Petitessen wie Wahrheit und Fakten. Nicht, was stimmt, sondern was einstimmt, ist gefragt.

Wo die Vergangenheitsaufarbeitung erst spät einsetzte, wo jeglicher Dissens ausgeblendet wird, dort verkommt beinah die gesamte Öffentlichkeit zum Stammtisch; inhaltliche Auseinandersetzung setzt sich da nicht durch. Übrig bleiben nur das bierige Gegröle der Freiheitlichen und das Schunkellied von Eintracht und Proporz. Zwischen der Konsenspolitik der Sozialpartnerschaft und dem Populismus der rechten Opposition bleibt kein Raum für offenen Diskurs. Die Kronenzeitung bestimmt den Disput.

Die Koalition beugte sich dem Boulevard und der Xenophobie. Bundeskanzler Viktor Klima vermeinte, Jörg Haider in die Schranken zu verweisen, indem er ihn rechts liegen läßt. Die Regierung vermied die inhaltliche Offensive gegen Haider. Im Gegenteil; drei Tage vor der Wahl blies Innenminister Schlögl zur Drogenrazzia gegen Afrikaner. Die Krone jubelte. Die Koalition selbst stimmte in das Lieblinsgthema der FPÖ ein.

Die Parole, wer Haider will, möge Schlögl wählen, konnte kaum jemanden überzeugen. Wen wundert's? Die Sozialdemokratie erlitt Schiffbruch, weil sie nicht gegen den Wind segeln wollte, sondern ihr Boot und ihre Mannschaft dem Sturm überließ. Viktor Klima bot keine eigenen sozialdemokratischen Reformkonzepte. Er versuchte, der bessere Populist zu sein und mit Hilfe der Kronenzeitung den Populismus zu schlagen. Mit rechter Politik verlor die SPÖ nach rechts. Die Mehrheit der Arbeiterschaft wählt nun die Freiheitlichen.

Der parlamentarische Pluralismus blieb dabei auf der Strecke. Das Liberale Forum, das gegen Boulevard und für Menschenrechte eintrat, ist gescheitert. Wie merkwürdig; viele liberale Wähler entschieden sich zum Schluß für SPÖ oder ÖVP, um jene schwarzblaue Koalition zu verhindern, die nun möglicher scheint denn je. ReiDie Freiheitlichen gewannen zusätzlich an Macht durch den Wegfall der Liberalen. Die Verhandlungsposition der Sozialdemokratie hingegen ist durch diesen Kahlschlag, durch Einbuße von zehn Mandataren auf Seiten der Ampel, empfindlicher geschwächt worden als aufgrund des Verlustes von sechs eigenen Abgeordneten.

Der eigentümlichste Gewinner dieser Wahl ist Wolfgang Schüssel. Er hat sein Mascherl abgelegt. Nach der Wahl zeigte er sich gewandelt; neu gewandet und gewandt. Mit seinem Schachzug, der Drohung mit dem Weg in die Opposition, konnte er den vollkommenen Bankrott abwenden. Die Volkspartei vermochte ihre Mandate zu halten. Nun feiert sie ihre Niederlage, weil das Debakel eben doch nicht ganz so schrecklich wurde. Noch hat sie sich nicht entschieden, ob sie Dritte ist oder bloß die "zweite Zweite".

Die Christlichsozialen scheinen auf eine gewisse unverdrossene Weise beinah Gefallen an ihrem dornenreichen Leidensweg zu finden. Es ist, als dringe in ihrer Politik der religiöse Glaube durch, daß der Passion die wahre Erlösung erwachse. In der Tat; obgleich die Konservativen in der Wählergunst weiter absanken, sind sie nach dieser Wahl machtvoller als zuvor. Da sie mit den Freiheitlichen beinahe gleichauf liegen, könnten sie über kurz oder lang gar die Kanzlerschaft beanspruchen. Sollten die Sozialdemokraten ihnen dieses Amt verweigern, wird die FPÖ sich gerne erbötig zeigen.

Nun wird sich erweisen, über wieviel Rückgrat das österreichische Bürgertum verfügt. Der Erfolg Jörg Haiders beruht nicht bloß auf seiner Angstmache, sondern auf der Mutlosigkeit und dem Opportunismus seiner Gegner. Soll er endlich geschlagen werden, dann braucht es Zivilcourage und eine Absage an jegliche Koalition mit dem Rassismus. Es geht um nicht weniger als diese Republik.

Der Autor ist Historiker und Schriftsteller

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