Im Nachrüstungs-Wettlauf

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Russland hat ein milliardenschweres Rüstungsprogramm in auftrag gegeben. Es reicht vom sturmgewehr bis zur langstreckenrakete. Das Ziel: Der "Hybrid-krieg".

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Russland hat ein milliardenschweres Rüstungsprogramm in auftrag gegeben. Es reicht vom sturmgewehr bis zur langstreckenrakete. Das Ziel: Der "Hybrid-krieg".

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Zumindest für ein russisches Unternehmen haben sich der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland schon bezahlt gemacht: Kalaschnikow. Der Waffenhersteller hatte in den vergangenen zehn Jahren rote Zahlen geschrieben. Doch damit ist es nun vorbei. Der Chef der Waffenschmiede, Alexej Kriworutschko, verkündete jedenfalls vor wenigen Tagen stolz, dass man die Herstellung von Handfeuerwaffen im vergangenen Jahr habe verdoppeln können. Das Personal werde um etwa 30 Prozent bis zum Ende des Jahres aufgestockt werden und bei einem Reingewinn von 88 Millionen Rubel könne das Unternehmen aus der Stadt Ischewsk nun an Expansion denken.

In den kommenden Jahren wolle man fünf Milliarden Rubel in die Modernisierung von Unternehmensstätten investieren. Ein solches Volumen klingt bei einem Umsatz von drei Milliarden Rubel pro Jahr zwar etwas sehr ambitioniert. Aber Tatsache ist, dass die russische Waffenindustrie das Liebkind des Kreml geworden ist. Aufsehen erregendstes Zeichen dafür: Präsident Wladimir Putin, der zur Feier der russisch-ägyptischen Freundschaft dem ägyptischen Machthaber Fattah al-Sisi gleich eine Maschinenpistole mitbrachte, samt unterschriftsreifem Kooperationsvertrag in Sachen Rüstung.

Rüstungsausgaben verdoppelt

Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, heißt es doch. Nachfolgend soll es um diese Mittel gehen, Produkte, deren Mehrwert die Erhöhung von Zerstörungswert ist und deren Wirkung allein in der angedrohten oder tatsächlichen Zerstörung anderer Wertgegenstände liegt, und sei das auch nur, um die Waffen anderer unschädlich zu machen. In diesem Sinn heizt nicht nur der Krieg in der Ukraine die Waffenproduktion in Russland an. Vielmehr scheint ein effektives Nachrüsten im Gang zu sein, das von Wladimir Putin auf allen Ebenen der Streitkräfte verordnet wurde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem der russische Propagandakanal Sputnik nicht einen Fortschritt oder eine Neuerung bei der Modernisierung der Armee verkündet.

Insgesamt rechnet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SI-PRI für die russische Föderation mit einer Jahresteigerung der Produktion von 14 Prozent. In den vergangenen 10 Jahren hat sich demnach der Verteidigungsetat mehr als verdoppelt, während die Militärausgaben von bedeutenden NATO-Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Großbritannien wegen der Sparauflagen in Folge der Finanzkrise schrumpften, beziehungsweise stagnierten. Und diese Investitionen sind deutlich sichtbar.

Die russischen Traktorenwerke bauen an einem neuen Schützenpanzer mit dem Ziel, besser als alle in der NATO eingesetzten Schützenpanzer zu sein. Für die Bodentruppen wird ein neues Sturmgewehr konstruiert, die strategischen Raketentruppen werden mit Milliardenetats ausgestattet. Schon im kommenden Jahr sollen 24 neue Raketen des Typs "Jars" mit Mehrfachnuklearsprengköpfen stationiert werden. Auch die Luftwaffe soll bis 2020 mit neuen Kampfjets der Marke Sukhoi aufgerüstet werden. 2014 erhielten die Streitkräfte 138 neue Kampfflugzeuge, 259 Kampfhubschrauber und fünf U-Boote.

Die "stärkste Armee der Welt"

Vizepremierminister Dmitri Rogosin freute sich Anfang des Monats denn auch triumphierend über den neuen Aufschwung der russischen Rüstung. Unter dem Titel "Russlands Armee ist die stärkste der Welt" wurden Aussendungen fabriziert und Rogosin selbst ließ Folgendes vernehmen: "Noch vor drei Jahren waren alle der Ansicht, wir könnten bloß Kochtöpfe bauen. Jetzt sind die USA über unsere Neuausrüstung der Streitkräfte real besorgt". Aber dieser Respekt der anderen kostet enorme Summen - und das in einer Zeit, in der Russland die negativen Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen zu spüren bekommt, die den Rubel in schwere Turbulenzen brachten. Wladimir Putin scheint das allerdings wenig zu kümmern: "Unsere Verteidigungspläne sollten realistisch sein und wie bisher den ökonomischen Möglichkeiten des Staates Rechnung tragen."

Größere Probleme als mit der Waffenproduktion scheint Russland derzeit aber mit der Motivation seiner Soldaten zu haben. Menschenrechtsaktivisten berichten vom Protest ganzer Hundertschaften der Armee gegen eine geheime Entsendung in die Ostukraine. Russische Soldaten, die dort fallen, werden unter dem Code "Gruz-200" nach Russland transportiert und sofort beerdigt. In den Totenscheinen, die den Verwandten zugestellt werden, finden sich dann Todesursachen wie "Herzversagen". Das ist der "Hybrid"-Krieg, wie die russischen Generäle ihn nennen - er verläuft unerklärt, geleugnet und ist trotzdem oder vielleicht gerade deshalb so opferreich. Bis zu 20.000 Tote seit Anfang 2014.

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