"In die falsche Richtung unterwegs"

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"Mit dem Vorhaben der Gutachten-Reduzierung klingt eine völlige Deregulierung an. Mit der Gefahr, dass mit einem Federstrich ausgelöscht wird, was wir uns bisher erarbeitet haben."

Der Klimaschutz wird im Programm der neuen Bundesregierung mit vielen Absichtserklärungen bedacht. Aber was steht darin über konkrete Maßnahmen ? Ein Interview mit Karl Steininger vom Wegener Center for Climate and Global Change der Universität Graz.

Die Furche: Wenn man als Laie das Regierungsprogramm zum Thema Klimaschutz liest, dann sieht man jede Menge guter Absichten: Die Regierung wird sich an alle internationalen Vereinbarungen halten, den Ausstieg aus der fossilen Energie entscheidend vorantreiben und Schwerpunkte auf erneuerbare Energien setzen?

Karl Steininger: Zunächst finde ich diese Absichtserklärungen auch gut und wichtig, das ist sicher keine Selbstverständlichkeit.

Die Furche: Das heißt, der große Rahmen ist gut. Wie steht es mit den Details?

Steininger: Bei den konkreten Maßnahmen ist ein deutlich engerer Fokus zu bemerken. Dass der Übergang auf die erneuerbaren Energien betont wird, ist richtig, haben wir aber auch in den vergangenen zehn Jahren so gehabt und die erneuerbaren Energien sind auch ständig ausgebaut worden. Trotzdem gibt es seit drei Jahren beständig steigende THG-Emissionen.

Die Furche: Wobei man dazu sagen muss, sie müssten eigentlich sinken.

Steininger: Tatsächlich müssten die Emissionen sinken. Selbst das Stabilhalten wäre da viel zu wenig, wenn wir die internationalen und die EU-Abkommen einhalten wollen. Also wir sind deutlich in die falsche Richtung unterwegs. Wer annimmt, das nur über die erneuerbare Energie lösen zu können, greift zu kurz.

Die Furche: Wohin müsste man greifen?

Steininger: Wir haben in Österreich einen deutlichen Nachholbedarf bei der Energieeffizienz. Wir brauchen also viel zu viel Energie pro Wertschöpfungseinheit. Und hier gibt es seit beinahe 20 Jahren keine Verbesserung. Wir sollten uns die Frage stellen, welche Dienstleistungen wir eigentlich wollen. Wir wollen zum Beispiel nicht unbedingt im Auto fahren, sondern einkaufen oder zum Arbeitsplatz. Das ist auch über eine andere Raumplanung ohne Auto möglich, oder indem wir digital die Arbeit teilweise von zu Hause aus erledigen. Und damit meine ich nicht nur Maßnahmen, die klimagünstig sind, sondern auch wirtschaftlich günstiger. Dieses grundlegende Umdenken sehe ich noch nicht.

Die Furche: Nun soll der Wandel, den die Regierung vorhat, nicht auf Basis von Steuern oder Einschränkungen passieren, sondern auf Basis von Anreizen. Deshalb gibt es auch keine Diskussion über das Dieselprivileg oder die Besteuerung von fossilen Kraftstoffen.

Steininger: Es ist eben ein Problem: Wenn eine Regierung nicht über Steuern eine Veränderung erreichen will, selbst wenn es nur eine Umschichtung wäre, dann müsste sie das über Förderungen machen, die aber dann erst recht wieder Finanzierung aus dem Budget benötigen. Wie auch immer das gelöst wird: Ich glaube, dass es spätestens in der Steuerreform 2020, die immer wieder erwähnt wird, eine deutliche ökologische Komponente braucht, wenn wir die Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 erreichen wollen.

Die Furche: Was passiert, wenn Österreich die Ziele nicht einhält?

Steininger: Weder das Pariser Klimaabkommen noch die Vereinbarungen innerhalb der EU sehen direkte Sanktionen vor. Auf beiden Ebenen wird jedoch sichtbar gemacht, ob wir die Reduktionsziele erreichen. Falls wir sie nicht erreichen, gibt es außer einem "schlechten Image" keine Sanktionen. Aber wesentlich schwerer wiegt, dass wir uns von der internationalen Wirtschaft und den klaren Trends, die es dort gibt, abhängen lassen.

Die Furche: Was wären das für Trends?

Steininger: China etwa ist der größte Hersteller von Windrädern, von Photovoltaikanlagen, von Speichertechnologie und bald auch von Elektroautos. Hier gibt es Bereiche, wo Europa insgesamt eine Entwicklung versäumt. Wir werden also einen wirtschaftlichen Schaden haben, der frühere Sanktionszahlungen deutlich übersteigt.

Die Furche: Sind da nur die Technologien betroffen oder geht es um mehr?

Steininger: Letztlich geht es darum, wie wir unsere Arbeit und unser Leben in Zukunft organisieren. Und auch darum, welchen Lebensraum wir uns schaffen. Schaffen wir es etwa, Städte noch als Umgebungen zu gestalten, in denen wir uns gerne aufhalten und wo sich letztlich auch Betriebe ansiedeln, weil die Mitarbeiter gerne hier leben?

Die Furche: Also geht es da vor allem um die Standortfrage.

Steininger: Ja, die Standortfrage kommt zwar sehr häufig vor im Regierungsabkommen, wird aber eher von der Seite des Steuer-Wettbewerbs mit dem Ausland thematisiert und nicht im Sinn von Lebensqualität. Letztere wird in ein paar Punkten sogar unterminiert.

Die Furche: Ihr gemeinsam mit Professor Schleicher verfasster Bericht des Wegener-Centers trägt den Titel "Wirtschaft stärken und Klimaziele erreichen". Sehen Sie im Regierungsprogramm Ansätze, dass ihre Strategien Gehör finden?

Steininger: Ich würde ganz allgemein sagen: Dieses Programm präsentiert eine alte Art der Klimapolitik. Ein Beispiel: Es werden "Rahmenbedingungen für öffentliche Gebäude zur Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien" erwähnt. Aber wir haben mittlerweile viel mehr Möglichkeiten als nur eine neue Energieform. Etwa Netze, die Wärme, Abwärme, Kälte und Strom in ein umfassendes Konzept integrieren. Mir fehlt der Fokus auf modernste Möglichkeiten. Und das wäre ja durchaus im Sinne unserer Regierung, der Digitalisierung zentral ist.

Die Furche: Aber denken Sie, dass der Klimaschutz noch nicht bei den Wählern angekommen ist?

Steininger: Ich glaube, dass das Bewusstsein sehr wohl da ist, in der Bevölkerung aber auch in der Politik. Unser Problem ist eher, dass Klimapolitik eine sehr langfristige Sache ist, und noch dazu eine, deren Versäumnisse einen persönlich nicht immer sofort betreffen. Vielfach haben wir eben eine Politik, die macht, was aktuell möglich ist, aber nicht möglich macht, was langfristig sinnvoll wäre. Wenn ich etwa 140 auf einzelnen Autobahnstrecken zulassen möchte, dann habe ich sicher sofort den Applaus.

Die Furche: Vom Klimaschutz aus betrachtet, wäre diese Maßnahme nicht besonders zielführend.

Steininger: Im Gegenteil. Ein Auto verbraucht mit 140 Stundenkilometern um zwei Drittel mehr Treibstoff als bei der optimalen Geschwindigkeit von 70 Stundenkilometern.

Die Furche: Sie würden also die Höchstgeschwindigkeit senken und nicht erhöhen.

Steininger: Mit Sicherheit.

Die Furche: Apropos Verkehr: Auch die dritte Startbahn auf dem Flughafen Schwechat hat Eingang in das Regierungsprogramm gefunden. Diese Startbahn wurde ja in einem mittlerweile aufgehobenen Urteil wegen Klimaschutzbedenken blockiert. Nun ist sie sogar Regierungsprogramm. Ist da das wirtschaftspolitische Hemd näher als der umweltpolitische Rock?

Steininger: Auch hier stellt sich die Frage, ob die Erreichbarkeit der Stadt Wien, die das Ziel dieser Maßnahme ist, grundsätzlich mit dieser Startbahn besser gewährleistet ist als mit dem Ausbau etwa des Bahnnetzes, ähnlich wie wir es zwischen London, Paris und Brüssel haben. Es ginge also um andere Mobilitätsformen, die weitere Vorteile für die lokale Bevölkerung hätten. Grundsätzlich aber könnte es ein Problem mit der Erhaltung der Umweltqualität geben. Künftig soll es einen Standortanwalt geben, der die Wirtschaftsinteressen ein zweites Mal vertritt. Letztlich könnte das ein Gegengewicht zu den Umweltinteressen sein. Noch dazu, wo sein Wort mehr Gewicht hat als jenes der Regelungen der Länder und Gemeinden. Also in einigen Detailmaßnahmen wird bestehendes Recht konterkariert.

Die Furche: Zum Beispiel?

Steininger: Zum Beispiel, wenn es auf Seite 136 heißt, "die große Menge an Nachweisführung und Erbringung von Gutachten ist zu reduzieren." Dann werden Gutachten für Lärm und Brandschutz, Strahlung und andere Emissionen bis zu Gutachten über psychische Belastung am Arbeitsplatz genannt. Da klingt eine völlige Deregulierung an. Mit der Gefahr, dass mit einem Federstrich ausgelöscht wird, was wir uns bisher erarbeitet haben.

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