In vielen kleinen Schritten zum großen Wurf

Werbung
Werbung
Werbung

Die Koalitionsregierung schafft zur Halbzeit eine bemerkenswerte Beschlusslage und gibt sich für die zweite ein ambitioniertes Programm. Steuereinnahmen erleichtern dies. Eine Analyse.

Die wahren Beweggründe mögen ungeklärt bleiben, aber die Bundesregierung hat sich jedenfalls für die zweite Hälfte der Legislaturperiode ein ambitioniertes Arbeitsprogramm gegeben. Mit konkreteren Zielen und festgelegten Fristen verabschiedeten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger im Kreis ihrer 15 Kabinettskollegen eine teilweise Neufassung des Regierungsübereinkommens. Erste und etwas oberflächlich geratene Beobachtungen vermuten dahinter das Bemühen, aus einem Tief in den Ergebnissen der Meinungsforschung zu gelangen. Viel eher dürfte es sich um tatsächlichen Problemdruck als Antriebsfeder handeln, die - zweitens - dank gestiegener Steuereinnahmen freigesetzt wurde, wie die Einigung bei der Pflege zeigt.

Das Pflegepaket - zusammengesetzt aus dem Pflegegeldreformgesetz und dem Pflegegesetz - beruht auf einem politischen Kompromiss von Sozialminister Rudolf Hundstorfer und dem in der Konferenz der Landeshauptleute den Vorsitz führenden Landeschef von Oberösterreich, Josef Pühringer. Doppelgleisigkeiten werden aufgehoben, das Landespflegegeld geht in die Bundeskompetenz, die bisher knapp 300 auszahlenden Stellen werden, noch immer unübersichtlich genug, auf ein Dutzend vermindert. Allerdings: Möglich wurde der Kompromiss, weil der Bund rund 600 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellt. Es ist Geld, welches Reformen und Kompromisse möglich macht. Und genau um dieses geht es in der Regierung.

Finanzministerin Maria Fekter gab sich hinsichtlich einer Steuerreform bedeckt, sowohl hinsichtlich der Senkung von Steuern als auch der Vereinfachung des Systems. Die Steuereinnahmen, die sprudeln jedenfalls. Teils ursächlich einiger Erhöhungen, etwa der Mineralölsteuer, teils wegen Preissteigerungen etwa bei Energie, wodurch sich die Einnahmen aus der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer nochmals erhöhen. Die Einnahmen der Republik liegen jedenfalls gegenwärtig um 7,5 Prozent über jenen des Vorjahres und um das Doppelte über dem Präliminierten. Da lassen sich Kompromisse leichter finden, denn auch die Bankenabgabe trug mit 148 Millionen Euro zu jenen 1,9 Milliarden Euro bei, die der Bund im heurigen ersten Quartal mehr einnahm als in jenem des Vorjahres. Allerdings sind auch die Ausgaben gestiegen.

Das ist ein Zeichen für die Folgen der Sündern der Vergangenheit, der eigenen und jener, die andere begingen. Die Ausgaben der Bundesregierung liegen im ersten Quartal um 1,2 Milliarden über jenen des Vorjahres. Die Hälfte davon, 615 Millionen Euro, entfällt auf die Hilfe für Griechenland. Ein weiterer erheblicher Teil "auf unerwartet hohe Pensionszugänge“, wie das Sozialministerium einräumt, ohne allerdings konkrete Zahlen zu nennen. Aber auch die Bundesbahnen erhielten um 211 Millionen mehr - unter dem Titel einer Offensive in der Infrastruktur.

Das Bestreben, den Partner nicht zu reizen

Die Vertreter der Koalition, Faymann und Spindelegger, sprachen im Rahmen der Klausur am Semmering von "konkreten Schritten“ in einer "harten Arbeit“, um "Österreich weiterzubringen“. Auf 19 Seiten schildern die Ressorts in "sieben Arbeitspaketen“ gut 90 Maßnahmen. So soll Österreich frei werden von importiertem Strom aus Kernenergie, bis 2050 eine völlige Energieautarkie erreichen. Zeitlich näher liegen die bis 2012 abzuschließenden Arbeiten am neuen Lehrerdienst- und -besoldungsrecht, der Ausbau der Neuen Mittelschule und von Ganztagesplätzen. Bis zum Herbst 2013 will die Bundesregierung von zehn zu einem einem einheitlichen Spitalsgesetz gelangen. Noch rascher, nämlich bis zum Ende des Jahres, sollen die Aufgaben von nahezu 200 Behörden in einem einheitlichen Bundesamt für Asyl- und Migrationswesen zusammengefasst werden. Die schwierigen Themen, welche für die Koalition politischen Sprengstoff bedeuten und sie an die Bruchstelle brächten, wurden ausgeklammert: Die Debatte über die Wehrpflicht und die Gesamtschule wurden ausgeklammert. Die Regierungsparteien wollten es vermeiden, den Partner zu reizen.

Etwas gereizt hingegen scheint die Stimmung in der Öffentlichkeit zu sein, insbesondere in politiknahen Bereichen. Die schlechten Werte an Zustimmung für einzelne Minister mögen irritieren, selbst wenn die Antworten in Umfragen auf mangelnder Kenntnis erst kurz im Amt befindlicher Minister und damit auf Meinungslosigkeit beruht. Wirklich irritierend wirken für die Regierung hingegen die teils von Fachleuten verbreiteten Postulate an Reformagenda.

So veröffentlichten Herbert Paierl und Markus Heingärtner (beide Management Club) den Band Reformen ohne Tabu. Dutzende teils außerordentliche renommierte Autoren präsentieren darin "95 Thesen für notwendige Reformen“. Die Salzburger Nachrichten wiederum liessen im Mai mit einem Manifest aus Salzburg aufhorchen: Darin werden zehn Reformen vorgeschlagen, die "Österreich jetzt braucht“. Der Standard publiziert ebenfalls seit kurzem eine Serie unter dem Arbeitstitel Reformagenda. Das, so scheint es, wird ernster genommen als die Wechselbäder der Medienschelte. Doch was zählt, ist das Ergebnis der Arbeit. Welches das sein soll, liegt jetzt vor.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung