"Integration noch stärker Polizeithema"

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Die erste türkischstämmige Nationalratsabgeordnete Alev Korun über die "Fahrlässigkeit" der Regierung in puncto Integration, über Tendenzen zu "Parallelgesellschaften" und über ihre Rolle als Pionierin.

Sie ist die erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Nationalrat: Alev Korun, die 39-jährige gebürtige Türkin und Integrations- sowie Menschenrechtssprecherin der Grünen. Ihre Kritik an den Integrationsplänen der Regierung ist scharf: Sie habe ihre Chancen in puncto Integration verschenkt.

Die Furche: Frau Korun, was ist - bezogen auf Integration - für Sie der problematischste Punkt im Regierungsübereinkommen?

Alev Korun: Es ist keine einzige konkrete Maßnahme vorgesehen, wo man sagen würde: Ja, das könnte die Integration von eingewanderten Menschen unterstützen. Das Integrationskapitel ist an Schwammigkeit nicht zu überbieten. Im Bereich Menschenrechte und Asyl droht das Regierungsprogramm mit neuen Gemeinheiten.

Die Furche: Welche Gemeinheiten?

Korun: Es wird explizit gesagt, dass mehr, früherer und längerer Schubhaft möglich sein wird. Es soll eine neue Schubhaftanstalt geschaffen werden, die zynischerweise als "Kompetenzzentrum" bezeichnet wird. Die Fremdenpolizei soll massiv aufgestockt werden und es wird von "Effizienzsteigerung bei Außerlandesbringungen" gesprochen. Sowohl inhaltlich als auch in der Sprache geht es um eine massive Verschärfung. Das Kapitel zu Asyl heißt "Asyl und Fremdenpolizei". Asyl kann diese Regierung offensichtlich nicht getrennt von fremdenpolizeilichen Maßnahmen denken.

Die Furche: Gibt es nichts, was positiv ist, z. B. die Rot-Weiß-Rot-Card?

Korun: Das ist Etikettenschwindel. Alles, was diese Card vorsieht, haben wir jetzt schon im Schlüsselkräfteverfahren. Neu wäre nur, dass die Quote wegfallen würde und Schlüsselkräfte Deutschkenntnisse mitbringen müssten, in deren Fall sehr oft irrelevant für den Job. Das wenige, was positiv sein könnte, wird nicht näher ausgeführt: etwa die Andeutung, nachgereisten Familienangehörigen früher einen Arbeitsmarktzugang zu gewähren.

Die Furche: Was ist der Unterschied zum Grünen-Modell für Arbeitsmigration?

Korun: Beim grünen Modell werden viel mehr Punkte einbezogen, als die Regierung berücksichtigen würde: beispielsweise, ob jemand hier Familienanschluss hat. Weiters haben wir nicht vorgesehen, die Sprachkenntnisse auf Deutsch zu reduzieren, auch Englischkenntnisse oder die Kenntnis von österreichischen Minderheitensprachen würden berücksichtigt.

Die Furche: Immerhin kündigt die Regierung einen "Nationalen Aktionsplan" an.

Korun: Allein der Begriff ist von Deutschland geklaut. Diese Regierung ist so ideenlos, dass sie sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, einen eigenen Begriff zu wählen. Ich habe schon so viele Runde Tische und Arbeitskreise im Innenministerium erlebt; dieser Aktionsplan würde der x-te Runde Tisch sein nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. Es ist auch peinlich gegenüber NGOs, die schon oft konkrete Vorschläge vorgelegt haben. Wenn man schon sagt, Integration sei eine Querschnittsmaterie, warum findet das dann nicht bei der Ressortverteilung in Form eines Integrations-Staatssekretariats seinen Niederschlag.

Die Furche: Überrascht es Sie, dass es kein solches Staatssekretariat gibt?

Korun: Mich überrascht vor allem die Fahrlässigkeit, mit der die Regierung an das Thema Integration herangeht und es noch stärker als Polizeithema behandelt.

Die Furche: Glauben Sie, dass der Regierung Integration in Wahrheit gar kein ehrliches Anliegen ist?

Korun: Meine Analyse ist, dass die ÖVP inzwischen genauso wie die FPÖ und das BZÖ versucht, aus Nicht-Integration von Migranten und Migrantinnen politisch Kapital zu schlagen. Bei der SPÖ ist es fast noch schlimmer: der ist das Thema egal, sie traut sich nicht, das Thema anzusprechen, vor lauter Angst, einen Teil der Wählerschaft mit der Wahrheit - dass Österreich ein Einwanderungsland ist - zu konfrontieren.

Die Furche: Es wird auch den Grünen vorgeworfen, dass sie gewisse Probleme nicht sehen wollen: etwa Frauenunterdrückung in Teilen von Migrantenfamilien.

Korun: Frauenunterdrückung ist in der gesamten Gesellschaft noch immer ein Thema. Ja, es gibt Konservativismus auch in Migrantenfamilien, es ist in puncto Integration sehr viel zu tun. Aber ganze Bevölkerungsgruppen pauschal zu verdächtigen, ist etwas anderes, als Unterdrückung zu thematisieren. Vor allem wird die Bekämpfung von Frauenunterdrückung dort nicht glaubwürdig, wo die Regierung bis jetzt alles mögliche gemacht hat, um Frauen in Abhängigkeit von ihren Männern zu halten, Stichwort Aufenthaltsrecht. Genau deshalb müssen wir Migrantinnen sowohl gesetzlich als auch sozial in ihrem Befreiungsschlag unterstützen und nicht nur über Unterdrückung reden.

Die Furche: Wie groß schätzen Sie das Problem sogenannter Parallelgesellschaften ein?

Korun: "Parallelgesellschaft" ist zum negativen Kampfbegriff verkommen, daher verwende ich diesen Begriff nicht. Dieses Unter-Sich-Bleiben hat so lange Bestand haben können, weil es nicht unbedingt gewollt war, dass Migranten Teil der Gesellschaft werden. Sie wurden als Gastarbeiter geholt und beide Seiten sind davon ausgegangen, sie gingen nach ein paar Jahren wieder zurück. Mit Schuldzuweisungen kommen wir aber nicht weiter. Wir sollten endlich die Problemlagen erkennen, konkrete Maßnahmen ergreifen und auch positive Beispiele sehen: es gibt viele Migrantenfamilien, die sehr bildungsambitioniert sind. Die öffentliche Diskussion wird aber von einer Defizitträgerdebatte dominiert: "Migranten können dieses und jenes nicht." Bei jenen aber, die Erfolg haben, wird so getan, als wären sie keine Migranten.

Die Furche: Nun, es gibt Fortschritte, Sie selbst - Sie sind die erste Migrantin im Nationalrat. Sehen Sie sich als Pionierin?

Korun: Zunächst bin ich stolz auf die Grünen, die den Bann gebrochen haben. In gewisser Weise bin ich eine Pionierin. Mein Ziel ist es, durch meine Politik vor allem Migranten der zweiten und dritten Generation zu verdeutlichen: Ihr gehört hierher, ihr könnt mitgestalten und das ist auch erwünscht. Ich spreche mit vielen Jugendlichen, sie möchten dazugehören und auch Erfolg haben. Ich möchte ein klares Zeichen setzen, damit sie an ihre Träume glauben können.

Die Furche: Das klingt fast nach einem weiblichen Barack Obama auf Österreichisch …

Korun (lacht): Es ist sicher eine symbolträchtige Rolle, eine große Herausforderung und auch eine große Verantwortung, weil viele Menschen eben das auch erwarten und erhoffen, dass ich für sie und in ihrem Namen beweise, dass Migranten hierhergehören und diese Gesellschaft positiv beeinflussen können. Wenn mir das gelingt, ist das sicher eine große Ehre. Die Nachwelt soll beurteilen, ob ich ein weiblicher Obama war.

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